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Warum die SPD ihr Aufstiegsversprechen erneuern muss

Wie findet die SPD zurück in die Erfolgsspur? Ohne eine fundamentale Kurskorrektur werden rein organisatorische Reformen keine Wirkung entfalten können, ist Frederick Cordes sicher. Der Vorsitzende der NRW-Jusos fordert: Die SPD muss ihr Aufstiegs- und Gerechtigkeitsversprechen umfassend erneuern.
von Frederick Cordes · 10. Oktober 2017
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Die Krise der Sozialdemokratie hat in diesem Jahr wohl nirgends so hart zugeschlagen wie bei uns in NRW. Im Mai verloren wir als NRWSPD eine lange Zeit sicher geglaubte Landtagswahl mit einem Stimmverlust von acht Prozent krachend. Im September folgte dann die uns allen bekannte historische Schlappe auf Bundesebene mit dem schlechtesten SPD-Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik.

Die Flamme neu entfachen

Ohne den Juso-Landesverband NRW wäre es ehrlich gesagt in beiden Wahlen noch deutlich schlimmer gekommen. Tausende junge Menschen waren in beiden Wahlkämpfen unermüdlich unterwegs, um für unsere Ideale und unsere Juso-Inhalte zu kämpfen. Und das zahlte sich auch ohne kostspielige Agentur aus: Bei der NRW-Wahl konnte im Segment der 18-24-Jährigen ein ähnlich starkes Ergebnis erzielt werden, wie beim Wahlsieg 2012 („nur“ minus ein Prozent).

Und selbst bei der Bundestagswahl wählte dasselbe Wähler-Segment die SPD (gemeinsam mit der Union) zur stärksten Kraft. Wir jungen Menschen haben die Flamme der Sozialdemokratie im stärksten Sturm ihrer bundesrepublikanischen Geschichte nicht erlöschen lassen. Folglich ist es auch an uns, diese Flamme jetzt neu zu entfachen.

Landeskonferenz der NRW Jusos legt Grundstein zur Parteierneuerung

Den Grundstein dafür haben wir NRW Jusos bei unserer Landeskonferenz am vergangenen Wochenende gelegt. Unter dem Motto „#machneu“ versammelten sich 150 Delegierte und mehr als 100 Gäste (darunter zahlreiche Neumitglieder) im Kulturzentrum Herne, um die Erneuerung der SPD anzuschieben. Klar wurde dabei ganz unmissverständlich: Zuallererst muss eine umfassende, vorbehaltlose, inhaltliche Erneuerung der deutschen Sozialdemokratie in Angriff genommen werden. Ohne eine fundamentale Kurskorrektur werden rein organisatorische Reformen keine Wirkung entfalten können.

Die Wählerinnen und Wähler haben am Wahlsonntag nicht nur die große Koalition abgewählt, sondern eine Sozialdemokratie, die selbst nicht mehr weiß, wofür sie steht. Dass 80 Prozent der Befragten einer Studie nicht sagen konnten, was die SPD unter Gerechtigkeit verstehe, ist da nur die traurige, aber logische Konsequenz. 20,5 Prozent als Wahlergebnis sind der finale Leistungsnachweis einer Politik des schleichenden Ausverkaufs sozialdemokratischer Werte.

Eine neue, geschlossene Erzählung muss her

Der Versuch, einen rot angepinselten „Neoliberalismus light“ verkaufen zu wollen, ist krachend und endgültig gescheitert. Diese letzte sozialdemokratische Erzählung begann bereits 1999 mit dem Schröder-Blair-Papier. Da war ich 13. Und trotzdem werde ich bis heute an jedem Infostand von Bürgerinnen und Bürgern dafür in Haftung genommen, als hätte ich die Agenda 2010 eigenhändig entworfen. Und so geht es der gesamten SPD. Egal, ob man die Agenda (halb) gut oder schlecht findet: Wir kommen nur mit einer umfassenden und geschlossenen neuen Erzählung weg von dieser nun zwanzig Jahre dauernden Hypothek.

Deshalb ist es für die Verantwortlichen nun an der Zeit, neuem Personal und einer neuen sozialdemokratischen Erzählung Platz zu machen. Diese muss sich an den Sorgen der Menschen orientieren, die für sich und ihre Kinder eine schlechtere, prekärere und ungerechtere Zukunft befürchten müssen. Sie muss das Aufstiegs- und Gerechtigkeitsversprechen und damit DAS zentrale Wesensmerkmal der Sozialdemokratie umfassend erneuern.

Die SPD: Vorreiterin der Erneuerung von links

Und dabei muss sie vor allem den entscheidenden Gegenentwurf zur völkischen und auf Ausgrenzung basierenden Scheinlösung der AfD (und schon bald auch wieder der Union) liefern. Die SPD muss wieder zur Vorreiterin der Erneuerung von links werden und die Diskurshoheit über den politischen Bereich links der Mitte zurückgewinnen. Dies ist die entscheidende Herausforderung der Sozialdemokratie in ganz Europa. Die Abkehr vom „Dritten Weg“ muss jetzt endlich in Angriff genommen werden. Nur dann ist eine neue sozialdemokratische Erzählung möglich. Nur mit dem erneuerten Gerechtigkeitsversprechen und einer Politik für viele und nicht wenige können wir den voranschreitenden Nationalismus in Europa bekämpfen.

Apropos Europa: Ein unbegreiflicher Fehler des Bundestagswahlkampfes bestand darin, mit Martin Schulz den Mann, der wie kein zweiter für ein geeintes, offenes und solidarisches Europa steht, nicht mit genau diesem Thema auf die Reise zu schicken. Und das, obwohl man die Begeisterung vieler Menschen für genau diese Fragen mit Händen greifen konnte. Stattdessen entwickelte das Willy-Brandt-Haus einen Wahlkampf, der nichts weiter war als ein wahllos zerstückelter Flickenteppich ohne Hand und Fuß, ohne Fundament und Richtung, bei dem man das Gefühl hatte, die konservative Presse habe Regie geführt. Erst wenn die SPD wieder weiß, wer sie ist und für wen sie Politik macht, kann es wieder Kampagnen aus einem Guss geben. Wenn die handelnden Personen aus drei verlorenen Bundestagswahlen dies jetzt nicht endlich begreifen, können wir den Laden zusperren.

Wir sind jünger, wir sind weiblicher und wir sind bereit

Und somit ist auch klar, dass mit der programmatischen Erneuerung eine grundlegende personelle Veränderung einhergehen muss. Dass nach drei Wahlklatschen in Folge jedes Mal ohne jede Analyse dieselben Köpfe ihre Pöstchen sichern konnten, hat maßgeblich mit zum Vertrauensverlust und Niedergang beigetragen. Zur sichtbaren Erneuerung fordern wir deshalb unter anderem die angemessene Vertretung junger Menschen in Parteigremien und Parlamenten. Das heißt: Mindestens ein stimmberechtigtes Juso-Mitglied gehört in die geschäftsführenden Gremien der Partei. Der neuen SPD-Bundestagsfraktion gehört kein Mensch unter 30 Jahren an. Die Verfahren zur Listenaufstellung und Personalentwicklung in unserer Partei müssen deshalb grundlegend überdacht werden.

Zudem braucht es dringend echte Beteiligungsmöglichkeiten statt Partizipationsfassaden wie in den vergangenen Jahren. Tausende Menschen sind in die SPD eingetreten, weil sie genau darauf Bock haben. Dieses Engagement müssen wir binden und nicht abschrecken, wenn wir überleben wollen.

Wir Jusos sind nicht nur Plakatekleber und Flyerverteilmaschinen, sondern vor allem inhaltlicher Motor und Antreiber der Modernisierung unserer Partei. Wir sind jünger, wir sind weiblicher. Und wir sind bereit. Ein besseres Land gibt es nur mit uns – einer erneuerten, gestärkten, einer besseren SPD. Fangen wir an. Freundschaft und Glück Auf!

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