Parteileben

Warum die Botschaft des Kniefalls auch heute brandaktuell ist

Kurz vor dem 50. Jahrestags des Kniefalls von Willy Brandt ist Norbert Walter-Borjans am Samstag nach Warschau gereist. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der polnischen Schwesterpartei erinnerte der SPD-Chef daran, warum die Botschaft Brandts nach wie vor topaktuell ist.
von Kai Doering · 5. Dezember 2020
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans im Warschau: „Das Mahnmal und die stumme Geste Willy Brandts halten die Erinnerung wach – an Tausende Ermordete hier und an Millionen weltweit.“
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans im Warschau: „Das Mahnmal und die stumme Geste Willy Brandts halten die Erinnerung wach – an Tausende Ermordete hier und an Millionen weltweit.“

Es ist ein milder Dezembermorgen in Warschau. Etwas windig. Das Thermometer zeigt um kurz nach neun acht Grad. Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch den Nebel. 50 Jahre zuvor, am 7. Dezember 1970, soll das Wetter deutlich schlechter gewesen sein. Von einem „nasskalten Dezembertag“ ist in den Zeitungen von damals die Rede. An diesem Tag passierte etwas, mit dem niemand gerechnet hatte: Statt nach einer Kranzniederlegung am Ehrenmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto kurz in Demut zu verharren, ging der damalige Bundeskanzler Willy Brandt auf die Knie. Der „Kniefall von Warschau“ wurde zum Symbol der Versöhnung und der „neuen Ostpolitik“ der sozial-liberalen Koalition.

Walter-Borjans steht da, wo Brandt kniete

Um an das Ereignis zu erinnern, ist der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans kurz vor dem Jahrestag nach Warschau gereist. Gemeinsam mit dem Chef der polnischen Schwesterpartei SLD Wlodimierz Czarzasty steht er an der Stelle, an der Willy Brandt 50 Jahre zuvor niederkniete. Beide legen einen Kranz mit gelben Gerbera nieder. „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“, steht auf den Schleifen, in deutscher und in polnischer Sprache.

„Dass wir beide heute hier stehen, ist ein Ergebnis der Aussöhnung, die Willy Brandt betrieben hat“, erinnert Norbert Walter-Borjans ein paar Meter weiter. Er und Czarzasty stehen auf dem Willy-Brandt-Platz. Seit 2000 erinnert hier, etwa 300 Meter Luftlinie entfernt, ein eigenes Denkmal an den Kniefall Brandts. Auf einer Bronzeplatte ist ein Bild des historischen Ereignisses verewigt.

Der Warschauer Vertrag ebnete Polens Weg in die EU

„Mit seiner Geste hat Willy Brandt der Opfer der Nationalsozialisten gedacht – den jüdischen, den polnischen“, erinnert SLD-Chef Czarzasty. Da die Zeugen der damaligen Ereignisse nach und nach weniger werden, „sind wir verpflichtet, an das, was damals passiert ist, zu erinnern“. Und das sei nicht nur der Kniefall gewesen, sondern auch der Warschauer Vertrag, in dem unter anderem die Oder-Neiße-Linie als Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen festgeschrieben wurde. Etwaige Gebietsforderungen Deutschlands an Polen waren damit vom Tisch.

„1970 haben vielen Polen zum ersten Mal daran geglaubt, dass die Gebiete auch wirklich sicher sind und polnisch bleiben“, sagt Czarzasty. Der Warschauer Vertrag habe damit auch „den Weg geebnet“ für den Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004. Der Präsident hieß damals Aleksander Kwasniewski, der Ministerpräsident Leszek Miller. Beide gehören dem SLD an. „Dass Polen ein wichtiger Partner in der EU ist, ist der Sozialdemokratie zu verdanken“, erinnert Parteichef Wlodimierz Czarzasty daher nicht ohne Stolz.

Die Aufgabe, Europa lebenswert zu halten

Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Inzwischen regiert in Polen die rechtskonservative PiS, die gerade gemeinsam mit Ungarn den EU-Haushalt für die kommenden Jahre sowie die Zahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds blockiert. Beide Länder wehren sich dagegen, dass die EU die Auszahlung von Geldern auch an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpfen will. „Die polnische Regierung darf die Auszahlung nicht verhindern“, fordert Czarzasty.

Norbert Walter-Borjans weiß er dabei an seiner Seite. „Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, Europa und seine freiheitlichen Werte für die zukünftigen Generationen zu bewahren, zu stärken und lebenswert zu halten“, sagt der SPD-Vorsitzende vor dem Denkmal des Kniefalls. „Daran gemeinsam zu arbeiten und Differenzen zu überwinden, das ist das Signal, das heute von hier ausgehen soll.“

Der Kniefall hält die Erinnerung an die Ermordeten wach

Mit dem Warschauer Vertrag habe Willy Brandt „eine der wichtigsten Säulen für die europäische Verständigung und die Stabilität des Friedens gebaut“. Diese sei heute, 50 Jahre später, wieder in Gefahr. Das Denkmal für die Helden des Ghetto-Aufstands vor dem Brandt kniete, „erinnert uns daran, wozu es führt, wenn Hetze und Hass Oberhand gewinnen. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass die Freiheit Oberhand erhält.“

Dafür sei es wichtig, „dass wir nie vergessen und nie relativieren, was damals passiert ist“, sagt Walter-Borjans. Gerade deshalb sei der Kniefall so wichtig gewesen. „Das Mahnmal und die stumme Geste Willy Brandts halten die Erinnerung wach – an Tausende Ermordete hier und an Millionen weltweit.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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