Warum Anke Rehlinger gute Chancen hat, Ministerpräsidentin zu werden
Oliver Dietze
Erwartungsvoll schaut sie aus dem Fenster. Die Maske hat Anke Rehlinger nur kurz für ein Foto abgenommen. Sie strahlt. Dann gibt sie Gas und fährt mit ihrem elektrisch betriebenen Audi A3 los. Denn die Landesvorsitzende der saarländischen SPD hat ein Ziel fest vor Augen: die Staatskanzlei in Saarbrücken.
Mit dem „Anke-Taxi“ in die Staatskanzlei
Allerdings nicht auf direktem Weg. Denn bis zur Landtagswahl am 27. März sind es an diesem Tag im Februar noch ein paar Wochen hin. Erst einmal gilt es, die Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, dass Rehlinger die bessere Wahl als Ministerpräsidentin ist im Vergleich zu CDU-Amtsinhaber Tobias Hans. Und es sieht gut aus für einen Regierungswechsel. In Meinungsumfragen liegt die SPD kurz vor der Wahl 13 Prozentpunkte vor der Union. Auch Rehlingers persönliche Beliebtheitswerte sind deutlich besser als die ihres bisherigen Koalitionspartners.
Und doch ist es keine einfache Situation, um eine Landtagswahl zu gewinnen. Wahlkampfstände oder Haustürbesuche, der so wichtige direkte Austausch mit Bürger*innen, das ist aufgrund der Corona-Pandemie schwierig geworden. „Ein bisschen sind die üblichen Wege versiegt. Deswegen muss man neue Wege suchen“, sagt Rehlinger. So entstand die Idee für das „Anke-Taxi“. Das Konzept ist leicht erklärt: Rehlinger fährt damit durch Saarbrücken und fragt Menschen, ob sie irgendwohin mitgenommen werden wollen. Während der Fahrt entwickelt sich ein persönliches Gespräch über die Themen, die der Person jeweils am Herzen liegen. „Es sind oftmals Menschen, die nie an einen Infostand kämen“, sagt Rehlinger.
So wie an diesem Tag im Februar. Es ist nassgraues Winterwetter in der saarländischen Landeshauptstadt und der junge Mann aus Kamerun ist froh über die Mitfahrgelegenheit. Zwar ist er am 27. März nicht wahlberechtigt. Und doch ist das Gespräch für die SPD-Spitzenkandidatin sehr aufschlussreich. Er studiert Maschinenbau, will später mal im Saarland arbeiten und gehört daher zu den Fachkräften, die Rehlinger braucht, um ihr zentrales Wahlkampfziel zu erreichen: für 400.000 gute Arbeitsplätze zu sorgen im kleinsten Flächenland der Bundesrepublik.
Langfristige Zielsetzungen
Die Pläne dafür hat sie erst wenige Stunden zuvor präsentiert. Zurzeit sind es 394.700 Arbeitsplätze (Stand November 2021), wie die SPD-Landesvorsitzende referiert. Allerdings ist das Saarland als Bergbauregion und Industriestandort in besonderem Maße von der wirtschaftlichen Transformation betroffen. Deshalb ist für Rehlinger die entscheidende Frage: „Wem trauen die Leute zu, bestehende Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen?“ Dies sei das wichtigste Thema im Wahlkampf, auf das sie am häufigsten angesprochen werde. Dieses Ziel sei „ambitioniert, aber nicht überambitioniert“.
Rehlinger will daher „Landeskinder im Land halten und Exil-Saarländern Brücken zurück in die Heimat bauen“. Bis 2030 will sie 100.000 Menschen im Bundesland eine berufliche Weiterbildung ermöglichen. Eine langfristige Zielsetzung, weswegen ein Journalist nachfragt, ob dieser Zeitraum lediglich die kommenden zehn Jahre des Bundeslandes umfasse oder ihre geplante Amtszeit als künftige Ministerpräsidentin abbilden solle. „Nach meiner persönlichen Einschätzung wäre das deckungsgleich“, antwortet Rehlinger und lacht.
Rekordhalterin im Kugelstoßen
Es ist ein kraftvolles, energisches und zugleich ansteckendes Lachen einer Frau, die schon früh gelernt hat, sich durchzusetzen. Einst als Leichtathletin – bis heute hält sie mit 16,03 Metern den saarländischen Rekord im Kugelstoßen, den sie 1996 aufgestellt hat – später auf der politischen Bühne, als SPD-Stadtverbandsvorsitzende, Kreisvorsitzende, stellvertretende Juso-Landeschefin und Landtagsabgeordnete. Seit zehn Jahren ist sie Ministerin, zuletzt für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr, seit acht Jahren stellvertretende Ministerpräsidentin, seit vier Jahren SPD-Landesvorsitzende, seit drei Jahren ist sie SPD-Vize im Bund.
Eine Aufzählung, an deren Ende einem fast schwindelig wird. Aber Rehlinger will noch mehr. Sie will das „Vize“ aus ihrem Titel streichen, wie sie auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember erklärt hat. Was sich natürlich nur auf das Amt als Ministerpräsidentin bezieht, wie sie im Gespräch mit dem „vorwärts“ klarmacht. Rehlinger will „von vorne führen“, wie sie sagt. „Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Herausforderungen, bei denen ich ohne ‚Vize‘ mehr erreichen kann“, glaubt sie.
Rückkehr der SPD nach 23 Jahren
Nach 23 Jahren würde mit ihr wieder eine Sozialdemokratin in die Saarbrücker Staatskanzlei einziehen. „Es wäre aus Sicht der Partei eine Krönung der vergangenen Monate und der Schlusspunkt hinter einem langen Konsolidierungskurs der Saar-SPD“, sagt Rehlinger. Die Sozialdemokratie ist aus ihrer Sicht innerhalb der saarländischen Parteienlandschaft die „einzige Konstante für Stabilität“. Währenddessen müssen Linke und Grüne auch aufgrund innerparteilicher Querelen um den Einzug in den Landtag bangen.
Auch Ministerpräsident Tobias Hans, der 2018 nach dem Weggang von Annegret Kramp-Karrenbauer ins Amt kam, ohne eine Landtagswahl gewonnen zu haben, scheint in der eigenen Partei nicht unumstritten zu sein. Medienberichten zufolge soll die Bundes-CDU die Wahl bereits verloren gegeben haben. Hans verfügt über weniger Regierungserfahrung als Anke Rehlinger, seine Beliebtheitswerte sind schlechter. Das wird auch beim direkten Aufeinandertreffen der beiden Koalitionspartner deutlich.
Vormittags wird in Völklingen die neue Intensivstation einer Klinik eingeweiht, die noch vor Beginn der Corona-Pandemie geplant worden war. Rehlinger und Hans sind vor Ort, als Regierungsmitglieder und auch als Kontrahent*innen im Wahlkampf. Beide sprechen ein Grußwort und besichtigen anschließend die Station. Es riecht noch frisch gestrichen. Die Geräte sind neu. Hans fragt nach technischen Details. Rehlinger interessiert sich mehr für die Menschen, die Ärzt*innen, die Pfleger*innen, die Betreuungsschlüssel.
Rehlingers Handynummer steht auf Postkarten
Sie kann gut mit Menschen umgehen und sucht den direkten Draht zu ihnen. Im persönlichen Gespräch wechselt Rehlinger schnell stärker ins Saarländische, beispielsweise am Bürgertelefon. Ihre Handynummer steht im Internet und auf Postkarten. Telefonisch, per SMS oder WhatsApp können sich die Menschen melden und viele tun das. „Mir geht es darum, mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu sein und Rückmeldungen zu bekommen. Viele nutzen auch die Gelegenheit und geben mir einiges mit“, sagt Rehlinger, bei der es manchmal fast so scheint, als kenne sie alle 983.991 Saarländer*innen persönlich.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo