Warum Angela Merkels Fahrer Wahlkampf für die SPD macht
Angela Merkel ist ein pflegeleichter Fahrgast. „Mit ihr können Sie sogar im offenen Wagen durch die Waschanlage fahren. An ihr perlt einfach alles ab.“ Als Jens Singer die Pointe gesetzt hat, ist das Gelächter in der Bischofsmühle, einem Ort für kulturelle Veranstaltungen in der Hildesheimer Innenstadt, groß. Singer lächelt und setzt zur nächsten Geschichte an. Neulich habe er die Kanzlerin zum Zahnarzt gefahren. „Sie brauchen eine Krone“, habe der zu ihr gesagt. Merkels Antwort: „Endlich erkennt das mal einer.“
Ein Jahresurlaub für die SPD
Singers Auftritt in Hildesheim ist einer von rund 20 im Bundestagswahlkampf. Als „Schofför der Kanzlerin“ ist der 49-Jährige bereits seit mehr als zehn Jahren im Kölner Karneval unterwegs. Bis zum 24. September unterstützt er SPD-Bundestagsabgeordnete im Wahlkampf. „Ich nehme dafür meinen gesamten Jahresurlaub.“ Ein Honorar nimmt Singer nicht, auch die Fahrtkosten trägt er selbst. „Das ist mein Beitrag für den Bundestagswahlkampf.“
Jens Singer ist seit seinem 16. Lebensjahr SPD-Mitglied, „in fünfter Generation“ wie er sagt. Aufgewachsen ist er in Leverkusen, „der einzigen Apotheke mit eigenem Ortseingangsschild“. Schon in der Schule war er in der Karnevals-AG aktiv. Dort verkörperte er einen Hausmeister. „In dieser Rolle durfte man sich ungestraft über die Lehrer lustig machen“, erzählt Singer. Schnell wurde ihm bewusst: „Sauer waren hinterher immer nur diejenigen, die nicht im Programm vorkamen.“
„Köln“-Hosenträger und schwarz-rot-goldene Krawatte
Sein Vater, Bundestagsabgeordneter von 1987 bis 1998, nahm Jens Singer zu den Kölner Karnevalssitzungen mit. So fand er seinen Weg in die Szene. Seit 2008 tritt er dort als Merkels Fahrer auf. Besonders gern ist Jens Singer bei kleinen Vereinen oder der Arbeiterwohlfahrt zu Gast, die sich teure Karnevalisten nicht leisten können. „Das sind aber unsere Leute“, weiß Singer.
Auch im niedersächsischen Hildesheim, das eher nicht als Karnevalshochburg bekannt ist, kommt Singer in seiner Rolle an. Die rund 80 Gäste sind begeistert über den Mann mit „Köln“-Hosenträgern, Chauffeursmütze und schwarz-rot-goldener Krawatte inklusive Bundesadler. „Neulich wurde uns eine Staatskarosse geklaut“, erzählt Singer gerade. „Wir haben das auch sofort gemerkt. Dass noch ein CSU-Minister dringesessen hat, ist allerdings erst drei Wochen später aufgefallen.“
Eine Arbeiterquote für die SPD
Doch nicht nur der politische Gegner kriegt in Singers Programm sein Fett weg. Auch die SPD ist das Ziel einiger seiner Pointen. „Martin Schulz ist eine ehrliche Haut, hat aber eher ein Gesicht fürs Radio“, sagt Singer etwa oder: „Wenn Sigmar Gabriel weiter abnimmt, sieht er bald so aus wie Franz Müntefering.“ Den Außenminister hat Singer auf seiner Fahrt nach Hildesheim zufällig im Zug getroffen – und angesprochen. So kann er dem Abgeordneten Bernd Westphal, den Singer an diesem Abend mit seinem Auftritt unterstützt, eine Notiz Gabriels überreichen, in der der Minister viel Glück für den Wahlkampf wünscht.
Westphal ist einer von rund 20 Abgeordneten, die Jens Singer im Wahlkampf besucht. Zuvor war er schon bei Stefan Ziercke in Schwedt, bei Sebastian Hartmann in Much und Barbara Hendricks in Kleve. „Ich möchte die unterstützen, die nicht ständig in den Talkshows sitzen“, erklärt Singer als sein Auftritt zuende ist. Besonders am Herzen liegen ihm Kandidaten ohne Hochschulabschluss. Singers Wunsch: eine Quote für die Arbeiterschaft, „mindestens fünf Prozent aller SPD-Mandate für Malocher“.
Einen Wunsch richtet Singer zum Schluss seines etwa 45-minütingen Programms auch an das Publikum in Hildesheim. „Damit ich auch weiter so frei reden kann wie heute, ist es wichtig, dass Sie alle wählen gehen.“ Und das meint der Kabarettist vollkommen ernst.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.