Parteileben

W wie Wahlversprechen, Wahrheit und Wut

von Hans Bartels · 28. März 2012

Wahlversprechen

Man kann die politische Messlatte mühelos so hoch legen, dass man sie garantiert immer reißt. So ein höhergelegter, moralisierender Messlattenbegriff ist „Wahlversprechen“. Ein Ehrenwort: Wer etwas verspricht, muss es halten. Da die Einlösung aber in der Zukunft liegt, wirbt die Rhetorik des Versprechens um Glauben und Vertrauen jetzt. Wählt mich, dann tu ich, was ich versprochen habe!

Solche Kommunikation kann aber in der komplexen politischen Praxis von Koalitionen in Parlamenten und einer sich beständig wandelnden Welt nur scheitern. Um jedenfalls einen Teil seines Programms zu verwirklichen, macht man in Wirklichkeit Kompromisse. „Alles oder nichts“ wird selten gespielt.

Also besser keine „Versprechungen“ mehr! (Außer wirklich persönlichen Sachen wie: Ich werde mir den Bart abrasieren, wenn wir gewinnen, und so etwas.) Was in Wahlprogrammen steht, sind Vorhaben, ist politischer Wille, kein Versprechen, das schon das Ergebnis vorwegnimmt. Nicht „wir werden“, sondern „wir wollen“ lautet die einfache Alternative.

Wahrheit

Geboten ist immer die Wahrheit, oder? „Du sollst nicht lügen!“ heißt es in der Bibel. Aber sollst du deshalb jede Tatsachenaussage, Behauptung, Prognose oder Meinung, wenn du selbst sie für richtig hältst, als „Wahrheit“ und die Äußerungen deiner Gegner als „Lüge“ hinstellen? Braucht es immer diese große Münze, um gewöhnliche politische Unterschiede zu kennzeichnen?

Wahrheit ist ein Signalbegriff des Grundguten. Was wahr ist, erscheint klar, egal was andere dazu meinen. Diskussion überflüssig! Oder?

Als Finanzminister Steinbrück und Bundeskanzlerin Merkel im Herbst der Bankenkrise 2008 den Deutschen die Sicherheit aller ihrer Spareinlagen „garantierten“, sagten sie mit Bedacht nicht die ganze Wahrheit. Die hätte einige „Wenns“ und „Abers“ erfordert und die Einschränkung, dass es natürlich keine hundertprozentige Garantie geben könne. Aber weil sie das nicht sagten und weil die Deutschen ihrer Regierung in dieser schwierigen Lage glauben wollten, ließen sie ihr Geld auf der Bank und der GAU blieb aus.

Wut

Es gibt tatsächlich eine wissenschaftliche Studie, nach der Bürger in der Zeitung eher dem subjektiven Meinen und Dafürhalten dort zitierter Mitbürger glauben als einer im gleichen Zusammenhang verwendeten Statistik. Meinungen über Tatsachen bedeuten uns häufig mehr als die Tatsachen selbst. Emotion schlägt Information – nicht ständig, aber oft.

Deshalb ist eines der wirksamsten politischen Argumente die emotionale Selbstauskunft: „Ich bin so wütend!“, „Ich bin echt betroffen!“, „Das macht mich nur noch traurig!“ Nicht jeder mag diesen bauchorientierten Debattierstil. Er ist in unterschiedlichen Parteien und Milieus unterschiedlich stark zu Hause, scheint insgesamt aber auf dem Vormarsch zu sein.

Interessant war bei der großen Bahnhofskrise in Stuttgart, dass am Ende auch ein Volksentscheid nicht allen „Wutbürgern“ als Legitimation fürs Weiterbauen ausreichte. Ihnen gilt eine Entscheidung nur dann als demokratisch, wenn sie diese selbst gutheißen. Das aber ist nicht demokratisch, sondern – traurig.

Autor*in
Hans Bartels

ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Autor („Victory-Kapitalismus“) ist zugleich Sprecher der „AG Demokratie“ in der SPD-Bundestagsfraktion. Für den vorwärts schreibt er regelmäßig das "Wörterbuch der Politikverdrossenheit".

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