vorwärts-Gespräch: „Wir machen uns die Entscheidung über Ceta nicht leicht“
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Das Ceta-Abkommen soll den Handel zwischen Deutschland und Kanada regeln. Wozu braucht Deutschland überhaupt Handelsabkommen wie dieses?
Katarina Barley: Deutschland ist eine Exportnation, die vom Handel lebt. Dieser Handel braucht Regeln und Handelsabkommen wie Ceta legen diese fest. Das gab es auch früher schon. Aber es müssen eben gute Regeln sein. Im Optimalfall verständigen sich möglichst viele Staaten untereinander auf die gleichen fortschrittlichen Regeln.
Matthias Miersch: Natürlich brauchen wir Abkommen, um Regeln für den Handel festzulegen. Die Frage ist nur: Wie sollen die Abkommen ausgestaltet sein? Der Tenor der Diskussion seit Ende der 1990 Jahre ist, dass Handel durch jede Art von Regeln, die die Politik setzt, behindert wird. Das finde ich falsch.
Herr Miersch, in einer Einschätzung zu Ceta im August haben Sie geschrieben, dass aus Ihrer Sicht „kein sozialdemokratisches Mitglied eines Parlaments diesem Abkommen in der vorliegenden Fassung zustimmen“ kann. Gilt das noch?
Miersch: Bezogen auf den aktuellen Vertragsentwurf ja. Man muss aber auch sagen, dass die deutschen Sozialdemokraten an vielen Stellen über Sigmar Gabriel, Martin Schulz und Bernd Lange schon einiges verbessert und manche Giftzähne gezogen haben. In meiner Bewertung stelle ich fest, dass die derzeitige Fassung die roten Linien, die die SPD auf ihrem Bundesparteitag und einem Parteikonvent gezogen hat, an vier zentralen Punkten überschreitet. Allerdings habe ich auch geschrieben, dass ich einen Abbruch der Verhandlungen falsch finde, sondern stattdessen darauf setze, im parlamentarischen Verfahren Änderungen zu erreichen. Deshalb habe ich auch nicht gegen den Leitantrag des Parteivorstands für den Konvent in Wolfsburg gestimmt, sondern mich der Stimme enthalten. Jetzt ist die Stunde der Parlamente!
Der Leitantrag des Parteivorstands für Wolfsburg betont auch die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft. Wie soll die am Prozess für Ceta beteiligt werden?
Barley: Erst mal muss man festhalten, dass es ohne die Einmischung und das Engagement der Zivilgesellschaft gar nicht zu den Änderungen der vergangenen Wochen und Monaten gekommen wäre. In diesem Punkt bin ich sehr stolz auf unsere Partei. Wir haben uns auf die Diskussion eingelassen, ringen um jeden Schritt und sorgen für Transparenz. Die SPD ist die einzige Partei, die zu Informationsveranstaltungen eingeladen hat, bei denen wirklich offen pro und contra diskutiert wurde. All das zeigt, dass wir uns die Entscheidung über Ceta nicht leicht machen. Und das war auch nicht immer einfach für die Genossinnen und Genossen vor Ort. Denn der Druck, der von manchen Organisationen aufgebaut wird, ist schon heftig. Schwierig ist derzeit, gerade weil es ein so komplexes Thema ist, dass Teile der Öffentlichkeit sich festgelegt haben und gar nicht mehr im Einzelnen die Weiterentwicklungen nachvollziehen können, die wir erreicht haben. Klar muss aber auch am Ende sein, dass es nicht die eine Meinung gibt, die die einzig moralisch vertretbare ist.
Es gibt Menschen, die befürchten, dass ein „Ja“ des Parteikonvents zu Ceta eine Art Freifahrtsschein für die SPD-Führung im weiteren Verfahren wäre. Ist das so?
Miersch: Das ist aus meiner Sicht überhaupt nicht so. Viele denken ja auch, wenn im Oktober der EU-Ministerrat zustimmt, sei das Abkommen bereits verabschiedet. Auch das ist falsch, denn Ceta wird inzwischen als „gemischtes Abkommen“ eingestuft, was übrigens ein Verdienst der SPD ist. Ceta kann endgültig also erst dann in Kraft treten, wenn alle nationalen Parlamente der EU das Abkommen ratifiziert haben. Das Misstrauen kommt aus meiner Sicht vor allem daher, dass Teile des Abkommens vorläufig, also ohne Zustimmung der nationalen Parlamente, in Kraft treten sollen. Nach dem Beschluss des SPD-Parteivorstands ist aber klar, dass etwa der Bereich Investorenschutz von dieser vorläufigen Anwendung in jedem Fall ausgeschlossen werden muss.
Barley: Ich glaube, es ist das allererste Mal, dass ein bereits ausverhandeltes Abkommen noch einmal aufgeschnürt worden ist. Was wir erleben, ist absolutes Neuland. Als sich die SPD vorgenommen hat, noch mal an den Vertragstext ranzugehen, hat kaum jemand geglaubt, dass das funktionieren würde. Dabei hat uns der Umstand geholfen, dass die neue kanadische Regierung mindestens so links tickt wie die SPD, wenn es um Themen wie Umweltstandards, Arbeitnehmerrechte und den Schutz von Lebensgrundlagen geht. So ein Prozess auf Augenhöhe, wie wir ihn durchsetzen wollen, wäre auch vom Idealbild eines demokratischen Europas her gesehen ein richtig großer Schritt. Dazu gehört auch, dass das Europäische Parlament das Gewicht bekommt, das ihm zusteht.
Miersch: Bislang wurden Verhandlungen von der EU eigentlich immer geheim geführt und die Ergebnisse dann dem Europäischen Parlament vorgelegt, dass nur Ja oder Nein sagen konnte. Das ist absurd, wo es doch heute ein großes Informations- und Teilhabebedürfnis in der Bevölkerung gibt. Insofern hat auch die Diskussion über Ceta einiges in Bewegung gebracht.
Barley: In manchen Punkten ist das Problem ja auch nicht Kanada, sondern liegt innerhalb der EU, etwa bei der Frage der Arbeitnehmerrechte. Da können wir im Rahmen der Verhandlungen über Ceta Verbesserungen in anderen europäischen Staaten erreichen. Ich finde, dass wir als SPD die richtigen Fragen stellen und auf dem richtigen Weg sind.
Wie würde das Verfahren mit Ceta nach dem Parteikonvent weitergehen?
Miersch: Ich halte es für möglich, dass das Verfahren über die Bundestagswahl hinaus andauert. Wenn wir den Weg weitergehen, den wir eingeschlagen haben, dann werden der Diskurs mit der Zivilgesellschaft und die Anhörungen der nationalen Parlamente Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern.
Barley: Das ist dann auch richtig so, weil die Verhandlungen, die vorher unter der konservativen kanadischen Regierung gelaufen sind eher intransparent waren und man so genau gar nicht weiß, wer beteiligt war. NGOs gehörten auf jeden Fall in einem deutlich geringeren Maße dazu. Deshalb werden wir jetzt mit der von der SPD durchgesetzten Transparenz, also auch mit den Anhörungen im EU-Parlament und in den nationalen Parlamenten, ein Stück weit das nachholen, was zu Beginn des Verfahrens versäumt worden ist. Wir müssen dem Bedürfnis nach mehr Information und Beteiligung auch Rechnung tragen.
Sie haben bereits die roten Linien angesprochen, Herr Miersch. Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Miersch: In meinem Papier nenne ich vier Punkte, an denen die roten Linien der SPD überschritten sind. Im Bereich Investitionsschutz sind wir zwar bei der Einrichtung eines öffentlichen Handelsgerichtshofes einen Schritt weitergekommen. Aber im Vertrag finden sich immer noch viel zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe, die weite Auslegungsspielräume zulassen und damit ein Einfallstor für Schadenersatzklagen großer Konzerne gegen einzelne Staaten sind. Da muss noch viel passieren.
Das nächste Problemfeld ist, dass wir in Ceta den sogenannten Negativlistenansatz haben. Das bedeutet, dass Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge beschrieben werden, die nicht liberalisiert werden dürfen. Die SPD hat sich aber dafür ausgesprochen, explizit zu sagen, welche Bereiche liberalisiert werden dürfen, also eine Positivliste zu machen. Das schützt alle anderen, auch neu entstehende Bereiche der Daseinsvorsorge vor Privatisierung.
Ceta richtet außerdem einen so genannten „Gemischten Ceta-Ausschuss“ ein, der die unbestimmten Rechtsbegriffe im Vertrag weiter auslegen soll. Das ist eine klare Verletzung der Souveränität von Parlamenten, zumal völlig unklar ist, wie der Ausschuss überhaupt zusammengesetzt sein soll.
Und der vierte große Kritikpunkt ist das Thema Vorsorgeprinzip, nach dem in der EU Schäden für Gesundheit oder Umwelt im Voraus verhindert werden sollen. In den USA und Kanada gilt dieser Grundsatz nicht – man muss beweisen, dass etwas gefährlich ist, um es zu verbieten. Damit das Vorsorgeprinzip von der EU nicht aufs Spiel gesetzt wird, muss das im Ceta-Vertrag explizit betont werden. Das ist aber im Moment noch nicht der Fall.
An diesen Punkten muss Ceta verbessert werden – neben dem Bereich der ILO-Kernarbeitsnormen, der von den Gewerkschaften problematisiert wird. Sonst sind die roten Linien der SPD verletzt und ich könnte dem Vertrag nicht zustimmen.
Barley: Manche Punkte, wie etwa bei dem Vorsorgeprinzip, sehe ich ähnlich. Allerdings muss man sehen, was möglich ist. Wenn ich etwa an die Negativliste denke, ist die Frage, ob es möglich ist, das gesamte Abkommen für diesen Punkt noch mal aufzuschnüren. Aber es kann andere Verfahrenswege geben, unseren Bedenken Rechnung zu tragen, etwa durch verbindliche ergänzende Erklärungen der Vertragspartner. In einem Punkt bin ich aber anderer Ansicht und zwar beim gemischten Ausschuss. Der dient unter anderem eben gerade dazu, dass die Auslegung von Rechtsbegriffen nicht nur den Gerichten überlassen wird, sondern politischer Kontrolle unterliegt. Solche Ausschüsse sind im Übrigen grundsätzlich nichts Neues. Auch mit Kanada gibt es sie schon seit vielen Jahren. Wichtig ist aber in der Tat, dass die Kontrolle über die Parlamente und Regierungen sichergestellt ist. Die Parlamente müssen das letzte Wort haben. Dafür gibt es in Ceta klare Regeln. Vertraut man auf Gerichte allein, gibt es immer eine gewisse Unsicherheit, wie sie die Dinge am Ende auslegen.
Miersch: Deswegen sage ich ja, dass das Kapitel zum Investitionsschutz eigentlich ganz aus dem Abkommen gestrichen werden muss.
Barley: Das halte ich für nicht erforderlich. Bereits jetzt bedeutet der in Ceta erstmals vorgesehene Handelsgerichtshof einen großen Fortschritt. Wenn es gelingt, im weiteren Prozess noch zusätzliche Verbesserungen zu erreichen, etwa bei den unbestimmten Rechtsbegriffen, dann kann Ceta einen international neuen Standard im Investitionsschutz setzen. Und das wäre dringend nötig: Damit private Schiedsgerichte auch in anderen Abkommen endlich der Vergangenheit angehören. Die Investitionsgerichte ganz zu streichen, bedeutet, dass es schwierig wird, Verstöße gegen vereinbarte Standards auch entsprechend zu sanktionieren.
Miersch: Deshalb braucht das Ceta-Abkommen, sollte es in Kraft treten, auf jeden Fall eine Präambel, in der noch einmal deutlich steht, dass alle Vertragsparteien die internationalen Nachhaltigkeitsziele und das Pariser Klimaabkommen als Bezugspunkte für internationale Verträge sehen und sich Ceta auch daran orientieren muss. Dazu werde ich auf dem Parteikonvent in Wolfsburg auf jeden Fall einen Änderungsantrag stellen.
Was erwarten Sie insgesamt vom Parteikonvent?
Miersch: Ich wünsche mir vor allem eine sachliche Debatte und eine deutliche Verschärfung des Parteivorstandsantrags an den Stellen, die ich hier genannt habe. Wenn uns das gelingt, könnten wir tatsächlich einen neuen, sozialdemokratischen Weg für das weitere Verfahren skizzieren, der eine ganz neue Qualität des Umgangs innerhalb der Europäischen Union mit sich bringt.
Barley: Ich erwarte eine sachliche und vor allen Dingen respektvolle Debatte. Am Ende muss ein Beschluss stehen, der uns wirklich weiterbringt. Ich möchte das noch mal betonen: Ich finde, dass wir die richtigen Fragen stellen und dass wir auf dem absolut richtigen Weg sind. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten um Positionen und Verfahren gerungen wie keine andere Partei. Und insofern kann jede Genossin und jeder Genosse auch mit erhobenem Haupt und breiter Brust nach Wolfsburg fahren und in die kommenden Diskussionen gehen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.