vorwärts.de: Herr Gabriel, unlängst fand in Berlin die IV. Innovationskonferenz zum Thema "Green Recovery" statt. Was konkret kann man sich darunter vorstellen?
Gabriel: Es geht um die richtige Strategie für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, für den Erhalt von Arbeitsplätzen sowie für Millionen zusätzlicher neuer Jobs. Also um das, was den Kern von Frank-Walter Steinmeiers Deutschland-Plan ausmacht. Um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, müssen wir Rohstoffe effizienter nutzen und Schritt für Schritt auf erneuerbare Rohstoffe - nicht nur im Energiebereich - übergehen.
Denn die Weltbevölkerung wächst, und die Industrialisierung nimmt weiter zu. Gleichzeitig aber sind Rohstoffe knapp, und ihr Verbrauch ist oft mit massiver Umweltzerstörung verbunden. Das können wir nur mit technologischen Innovationen bewältigen. Und genau da liegt Deutschlands Kernkompetenz.
Ist Umweltschutz nicht eine Frage des Geldes? Können wir uns das angesichts der Wirtschaftskrise noch leisten?
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Nur durch Investitionen in den Klimaschutz und in Umwelttechnologien gehen wir gestärkt aus der Wirtschaftskrise hervor. Sie sind gerade jetzt ein Stabilitätsanker der deutschen Wirtschaft und der Schlüssel für einen neuen Wirtschaftsaufschwung. Schon jetzt hat Deutschland bei den Umwelttechnologien einen Weltmarktanteil von 20 Prozent, der Anteil im Bereich der Erneuerbaren Energien liegt sogar bei einem Drittel. Unabhängige Studien bestätigen uns, dass auf diesem Markt in den nächsten vier Jahren zwei Millionen neue Jobs möglich sind.
Die Union hat gerade in den letzten Monaten versucht, wichtige Vorhaben der Regierung im Umweltbereich zu torpedieren oder zu verhindern: das Umweltgesetzbuch, das Energieeffizienzgesetz und vor allem den Ausstieg aus der Atomenergie. Ist eine verantwortungsvolle Umweltpolitik mit der Union aus Ihrer Sicht überhaupt durchsetzbar?
Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Menge erreicht: Etwa ein ganz konkretes Klimaschutzpaket, das sich weltweit sehen lassen kann. Damit werden wir bis 2020 den CO2-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber dem Kyoto-Basisjahr 1990 reduzieren. Aber das haben wir nur gegen den massiven Widerstand der Union geschafft.
Was CDU und CSU betreiben, ist im Kern Lobbyismus für die vier großen Atomkonzerne: Sie wollen die Laufzeiten auch von alten Pannen-Reaktoren verlängern, weil man damit eine Million Euro pro Tag verdienen kann.
Droht in Deutschland die viel beschworene Energielücke, wenn das letzte AKW abgeschaltet wurde?
Quatsch. Das ist eines der ältesten Propagandamärchen der Atomlobby. Deutschland produziert mehr Strom als es verbraucht. Selbst als kürzlich sieben Reaktoren wegen Pannen oder Wartung
stillstanden, war die Stromversorgung gesichert. Wir bauen die Erneuerbaren konsequent aus und setzen auf Energieeffizienz - das macht uns unabhängig von Energieimporten, schafft Arbeitsplätze,
hilft den Verbrauchern Geld zu sparen und schützt das Klima.
Die Bundesregierung investiert verstärkt in Forschung und Entwicklung Erneuerbarer Energien. Wäre das nicht der Job der Unternehmen?
Die Unternehmen - vor allem die vielen kleinen Mittelständler - tun eine Menge. Aber Forschungsförderung ist auch eine Sache des Staates. Denn das sind Investitionen in die Zukunft unseres Landes - vergleichbar mit Investitionen in Erziehung und Bildung. Zudem sind die Erneuerbaren Energien Zukunftstechnologien, die für die Entwicklung unseres Landes und unsere zukünftige Energieversorgung von enormer Bedeutung sind.
Durch die Förderung regenerativer Energieformen stärken wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und schaffen damit zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wer auf gezielte Forschungsförderung verzichtet, verspielt seine Zukunftsfähigkeit.
Zweifelsohne engagieren sich einige Firmen stark für den Klimaschutz. Andere investieren in große Marketingkampagnen, die minimale Umweltziele maximal verwerten. Was können Politik und Verbraucher gegen diese Art des Greenwashings unternehmen?
Zunächst mal müssen sich die Verbraucher ihrer Macht bewusst werden. Niemand ist gezwungen, seinen Strom von einem Atomkonzern zu beziehen. Aber auch die Politik ist gefragt. Wir müssen für mehr Transparenz sorgen. Ein gutes Beispiel ist schon heute der Blaue Engel. Unternehmen, die ihre Produkte durch diese Auszeichnung aufwerten möchten, müssen strenge Umweltkriterien erfüllen. Dadurch können Verbraucher sicher sein, dass Waren mit dem Blauen Engel das Klima weniger belasten als vergleichbare Produkte.
Interview: Fréderic Verrycken
Chefredakteur der DEMO, Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf