Parteileben

Standfest auch im Sturm

von ohne Autor · 19. September 2009
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Als der Kandidat aus dem Bus steigt, bricht die Sonne durch die Wolken. Am Vormittag hat es gegossen. Jetzt macht das Grau mehr und mehr einem Blau Platz. Ralf Stegner blickt kurz in den Himmel, lächelt und geht auf eine kleine Menschengruppe zu, die unter einem roten Sonnenschirm steht und ihn schon erwartet. Es ist ein Donnerstagnachmittag Anfang September, und Ralf Stegner steckt mitten im Wahlkampf. Der Supermarkt-Parkplatz im Örtchen Molfsee, auf dem der Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen SPD nun steht und Rosen verteilt, ist eine von 38 Stationen, die Stegner bis zum 27. September besucht.

"Sympathiewerbung" nennt der Kandidat diese Art von Wahlkampf. Dazu zählen auch Hausbesuche und Veranstaltungen wie die Reihe "Ein Abend mit Ralf Stegner", bei der die Zuhörer den Kandidaten als Privatmann kennenlernen können. Meistens ist auch seine Frau dabei, die dann auch schon mal Fragen zur Fliegenvorliebe ihres Mannes beantworten muss.

Im Wahlkampf fehlt dieses charakteristische Merkmal Stegners völlig. "Ich trage zurzeit keine Fliege, weil ich kein Staatsamt ausübe", erklärt er. Stattdessen trägt der 49-Jährige unter dem Sakko ein zartrosafarbenes Hemd, der oberste Knopf ist offen. Auch auf dem Wahlplakat hat er sich so abbilden lassen. "Ein richtig guter Ministerpräsident" steht darauf und "sozialer. stärker. stegner."

Einkaufen für die Tafel

Derselbe Spruch ziert den roten Bus, mit dem Ralf Stegner durch Schleswig-Holstein tourt. Mit dem geht es zum nächsten Termin, einem Supermarkt in Bor­desholm. In der Kleinstadt wohnt der in Rheinland-Pfalz geborene Sohn eines Gastwirts mit seiner Frau und den drei Söhnen seit fünfzehn Jahren. Im Land schon länger. "Seit fast 20 Jahren ist Schleswig-Holstein für mich zur Heimat geworden." Erste Kontakte zum Land zwischen Nord- und Ostsee gab es schon früher. "Als Kind habe ich den Bruder meines Großvaters in Neumünster häufig besucht." Er war es auch, der den kleinen Ralf mit zu Skat-Turnieren nahm. Bis heute ist Stegner begeisterter Kartenspieler. Er sammelt Tatortfilme und entspannt sich beim Lesen von Krimis.

Das Gespräch kommt auf den CDU-Ministerpräsidenten Peter-Harry Carstensen. Der hatte Stegner für den Bruch der großen Koalition im Juli verantwortlich gemacht. Stegner habe einer Millionenzahlung an den gescheiterten Chef der landeseigenen HSH-Nordbank zugestimmt, dann jedoch öffentlich erklärt, diese Entscheidung nicht mitzutragen. Eine Lüge des Ministerpräsidenten, wie sich kurz darauf herausstellte. Carstensen und Stegner, der landesväterliche Nordfriese und der scharfzüngige Wahl-Norddeutsche - die Fehde zwischen beiden hat Tradition. 2008 trat Stegner als Innenminister zurück und rettete die Koalition. "Mir ist Herr Carstensen relativ egal", sagt Stegner heute. "Sein Bild von mir ist negativer als meins von ihm."

Dann ist Bordesholm erreicht. Der Wahlkampfbus biegt auf einen Supermarkt-Parkplatz ein. Ralf Stegner zieht sein Sakko an, wirft einen Blick auf sein Handy, von dem er regelmäßig per Twitter Kurznachrichten verschickt, und steigt aus. Mit einem Einkaufwagen betritt er den Supermarkt und zieht eine Liste aus der Tasche. "Die hat meine Frau aufgeschrieben", erklärt er. Stegner kauft für die Bordesholmer Tafel ein, die kostenlose Lebensmittel für Obdachlose und Arme anbietet. Fisch in Dosen, Milch, Nudeln und Honig legt er in den Wagen - alles Dinge, die bei der Tafel Mangelware sind.

"Zu Hause gehe ich nur selten einkaufen", gibt Ralf Stegner zu, während er den voll beladenen Wagen zur Kasse schiebt. Am Samstag jedoch gehe er regelmäßig auf den Markt. "Dann bringe ich meiner Frau auch Blumen mit." Sie sind seit 22 Jahren verheiratet.

Zurück nach Kiel, am Abend steht eine Podiumsdiskussion mit den Bundestagskandidaten der anderen Parteien auf dem Programm. Ansonsten konzentriert sich die SPD an der Küste voll auf die Landtagswahl. "Hier kriegen wir die Polarisierung, die im Bund fehlt", ist sich Stegner sicher. Gleichzeitig hofft er auf eine höhere Wahlbeteiligung durch die Bundestagswahl.

Arbeiten für den Sympathiebonus

Kurz bevor der Bus die Landeshauptstadt erreicht, bricht es dann aus Ralf Stegner hervor. Es nerve ihn, dass die Leute ihm Namen wie "roter Rambo" gäben. "Das ist eine konservative Inszenierung", ist er überzeugt. "Allerdings sage ich stets klar meine Meinung." Das bekam im September 2008 auch SPD-Chef Franz Müntefering zu spüren. Nach dem Rücktritt von Kurt Beck enthielt sich Stegner der Stimme als es darum ging, im Parteipräsidium einen neuen Vorsitzenden vorzuschlagen. "Mir ist es lieber, wenn die Leute sagen 'Der ist durchsetzungstark', als wenn sie meinen, ich sei eine Flasche."

Dennoch weiß der promovierte Politikwissenschaftler und Harvard-Absolvent, der seine Dissertation über "Theatralische Politik made in USA" geschrieben hat, wie wichtig eine positive Außenwirkung ist. "Die Menschen entscheiden nicht nur nach Kompetenz. Sie müssen den, den sie wählen, letztlich auch sympathisch finden." Privat sei er sehr harmoniebedürftig. Er suche die Harmonie aber nicht bei der politischen Konkurrenz. Für die gelte eher ein anderes Motto: "Man muss auch mal starken Gegenwind aushalten." Und wie zur Warnung ergänzt er: "Ich kann das."
Der Wahlkampfbus stoppt vor einem Restaurant in der Kieler Innenstadt. Kurz bevor Ralf Stegner aussteigt kommt er noch mal auf die Sache mit der Fliege zurück. "Krawatten sind mir einfach zu langweilig", erklärt er seine Vorliebe für den besonderen Halsschmuck. Wann wird er wieder einer Fliege umbinden? "Wenn ich Ministerpräsident bin." n

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