Das sogenannte "Marxismus"-Dezernat der Gestapo stand unter der Leitung des Kriminaloberkommissars und SS-Obersturmführers Bruno Sattler. Seine Aufgabe war die Beobachtung, Verfolgung und Vernichtung des Widerstands aus den Reihen der SPD und der links von ihr stehenden, nichtkommunistischen Parteien, Organisationen und Personen. In dem umfangreichen Werk "Die V-Leute des Gestapo-Kommissars Sattler" dokumentiert der Wissenschaftshistoriker Siegfried Grundmann, wie der Einsatz von Spitzeln maßgeblich zur Zerschlagung der Sozialdemokratie in der NS-Zeit führte.
"SPD-Jäger" Bruno Sattler
Grundmanns Buch gingen langjährige Recherchen in Archiven voraus. Akribisch wertete er selbst kleinste Hinweise und Informationen aus. Dabei ging er den Fragen nach, wer, wie, wo, wann und warum Verrat begangen hat. Seine Erkenntnisse weisen darauf hin, dass alle direkt oder indirekt für die Beobachtung und Verfolgung der sozialdemokratischen Organisationen Verantwortlichen im Gestapo-Apparat das Ende der NS-Diktatur nicht oder nicht lange überlebten - mit Ausnahme des 1898 geborenen Bruno Sattler.
Kriminaloberkommissar Sattler beteiligte sich 1920 am rechten Kapp-Putsch, 1934 wurde das Mitglied der schlagenden Verbindung "Germania" und Leiter des neu gegründeten Dezernats "SPD, SAP, Reichsbanner, Gewerkschaften" ("Marxismus"-Dezernat). Der Gründung ging das Verbot der SPD, am 22. Juni 1933, voraus. Schon am Folgetag wurden alle Staatspolizeistellen angewiesen, die führenden Funktionäre der nun "staats- und volksfeindlichen" SPD festzunehmen und in Konzentrationslager zu überführen. Binnen einer Woche wurden mehr als 3.000 Sozialdemokraten verhaftet.
V-Leute in der SPD
Mit der Einführung des "Vertrauensmännersystems" schuf die Gestapo sich ein effizientes Mittel zur Bekämpfung ihres Gegners: 26 V-Personen führte das "Marxismus"-Dezernat nachweislich. Mindestens zwölf von ihnen waren zuvor SPD-Mitglieder gewesen. Grundmann charakterisiert die V-Leute mehrheitlich als "Gesinnungslumpen", bei denen "eigene, nicht die Interessen des NS-Regimes" im Vordergrund standen. Und er nennt Namen. So sieht der Autor es als erwiesen an, dass Herbert Kriedemann, vor 1933 Angestellter im SPD-Parteivorstand und nach 1945 Mitglied des SPD-Vorstands, einer der Spitzel war. Der Vertraute von Kurt Schuhmacher wurde 1949 in den Deutschen Bundestag gewählt, dem er bis 1972 angehörte.
Durch die Spitzel des "Marxismus"-Dezernats wurden hunderte Sozialdemokraten von NS-Gerichten verurteilt, viele von ihnen zum Tode. So waren die V-Leute "Teil des Terrors und mitverantwortlich für die begangenen Verbrechen", schreibt Grundmann. Ihre Tätigkeit war "durchaus effizient, in erschreckend hohem Maße sogar". Die Gestapo war darüber informiert, was die Sozialdemokratie in Europa plante und tat. So wurde der komplexe SPD-Apparat bekämpft, lahmgelegt und "ausgeschaltet". 1939 löste sich das "Marxismus-Dezernat" auf, denn der organisierte sozialdemokratische Widerstand war, wie der "SPD-Jäger" Sattler formulierte, "weitgehend zerschlagen, folglich erübrigte sich die Existenz" des Referats.
Mechanismen des Terrors
SS-Obersturmführer Sattler war nach der Auflösung des Dezernats unter anderem Leiter der Abteilung IV (Gestapo) in Belgrad und verantwortlich für die ihm unterstehenden Kommissariate "Widerstandsbewegung" und "Juden". Diese organisierten Transporte nach Auschwitz. So war Sattler, der selbst an den Folterpraktiken der Gestapo teilnahm, an der Verfolgung und Vernichtung von Tausenden beteiligt. 1952 wurde er in der DDR zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, 1972 verstarb er in der StVA Leipzig-Meusdorf.
Grundmann liefert mit seiner exzellenten Studie einen Beitrag zur Offenlegung der Mechanismen des nationalsozialistischen Terrors. Der Einsatz von V-Personen war ein wesentliches Instrument zur Verfolgung und Vernichtung der Sozialdemokraten. Das Buch "Die V-Leute des Gestapo-Kommissars Sattler" gehört zur Pflichtlektüre für alle SozialdemokratInnen. Spannend wie ein Krimi, nur leider bittere Realität.
Siegfried Grundmann: "Die V-Leute des Gestapo-Kommissars Sattler", Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin, 2010, 344 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3-941450-25-7