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SPD-Zukunftsdialog: Wie aus der Krise neue Solidarität wachsen kann

„Euer Applaus zahlt nicht unsere Miete“, mit diesem Motto startete am Montagabend der Zukunftsdialog der SPD. Zum Auftakt gab sich der stellvertretende Parteivorsitzende Hubertus Heil selbstkritisch, die SPD-Vorsitzende Saskia Esken stellt die Profitmaximierung in der Pflege zur Debatte.
von Benedikt Dittrich · 29. Juni 2020
Im Zukunftsdialog diskutieren die Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans (links) und Saskia Esken gemeinsam mit Publikum und Gästen.
Im Zukunftsdialog diskutieren die Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans (links) und Saskia Esken gemeinsam mit Publikum und Gästen.

Der Zukunftsdialog der SPD ist breit angelegt: Es geht um Wege aus der Krise, Wege in eine gerechtere, solidarische Zukunft. Eine Debatte, die am Ende in das Programm für die nächste Bundestagswahl einfließen soll – und die nicht im luftleeren Raum stattfindet: Zuschauer*innen dürfen mitdiskutieren, Fragen stellen, die ganze Debatte per Livestream verfolgen.

Von Systemrelevanz zu Solidarität

Dabei geht es bei der ersten Ausgabe nicht nur um bessere Löhne in systemrelevanten Berufen, sondern um den Wert von Arbeit insgesamt, wie die Parteivorsitzende Saskia Esken zunächst deutlich macht. Ihre Beobachtung: In vielen Bereichen ist die Wertschätzung für Arbeit verloren gegangen, angefangen bei Paketzusteller*innen: „Wir kennen sie gar nicht mehr", sagt sie mit Blick auf die vielen verschiedenen Zustelldienste mit wechselndem Personal, die immer mehr Pakete bringen. Dabei hänge aber das Alltagsleben vieler anderer Menschen von eben diesen Personen ab.

Eine Beobachtung, der sich nach Meinung von Stephan Grünewald aber in der Coronakrise viele Menschen bewusst geworden sind – und die auch zu einem neuen Gedanken der Solidarität geführt hat. Zu Beginn der Krise seien eben alle gleichermaßen von der Coronakrise betroffen gewesen, es gab einen Schulterschluss, sich „gemeinsam diesem Feind entgegenzustellen“, so beschreibt es der Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Rheingold, der per Video zugeschaltet ist: „Das ist der Nährboden für einen Solidargedanken.“

Die Pandemie polarisiert

Nur: Dieser Gedanke sei inzwischen verloren gegangen, im Verlauf der Krise sei die Debatte zunehmend polarisiert gewesen, weil sich die Wirklichkeit für die Menschen zwischen Existenzsorgen, Kurzarbeit und Home Office eben unterschiedlich entwickelt habe. „Der Solidaritätsgedanke steht jetzt auf dem Prüfstand“, meint Grünewald. Dem stimmt auch die zweite Diskussionsteilnehmerin zu, die Sozio-Informatikerin Katharina Zweig: „Es reicht nicht aus, nur zu klatschen.“ Es gehe darum, dass jeder Mensch – gerade in Krisenzeiten – versorgt sei, dass seine Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Essen und Hygiene erfüllt sind. Und dazu gehöre bei Krankenpfleger*innen eben auch, dass sie mit für ihre Arbeit dringend benötigten Schutzkitteln ausgestattet sind, meint Zweig. Das müsse garantiert sein, was auch eine Frage der Wertschätzung sei.

Doch an dieser Wertschätzung fehle es. „In den letzten Jahren wurden diese komplexen Systeme auf Effizienz getrimmt", sagt Zweig mit Blick auf die Gesundheitsbranche, „das fällt uns jetzt auf die Füße“. Deswegen formuliert sie in der Runde einen eindringlichen Appell: Systemrelevante Berufe müssten wieder sicher gemacht werden, mit guter Bezahlung, guten Arbeitsbedingungen.

Bedingungen, die in der Krise vielen Menschen bewusster geworden sind, meint Norbert Walter-Borjans – und da könne sich der Staat auch nicht allein auf Tarifverträge zurückziehen: „Der Staat kann handeln", sagt er, denn einige dieser Berufe fielen in den Bereich des öffentlichen Dienstes. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, der als Minister und stellvertretender Parteivorsitzender ebenfalls an der Debatte teilnimmt, gibt außerdem selbstkritisch zu: „Wir sind noch nicht weit genug gekommen.“ Viele Probleme habe die SPD auch schon vor der Coronakrise auf dem Schirm gehabt – beispielsweise die Arbeitsbedingungen bei den Paketdiensten.

Mindestlohn als Basis, Tarifvertrag als Ziel

Doch das könne es eben noch nicht gewesen sein. In vielen Bereichen sei aber über Jahrzehnte etwas schief gelaufen, fügt Heil hinzu und nennt die Fleischindustrie als Beispiel. Jetzt, wo die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu einem allgemeinen Gesundheitsrisiko würden, rücke diese Industrie in den Fokus. „Jetzt ist das vielen erstmals ins Bewusstsein gedrungen", so Heil.

Doch der Sozialdemokrat will weiter denken, unabhängig von Arbeitsbedingungen und Mindestlöhnen, die für den Sozialdemokraten nur die Untergrenze sind. „Die Tarifbindung ist in vielen Bereichen zerbrochen", kritisiert er. „Unser Ziel muss es sein, dass es oberhalb des Mindestlohns wieder eine anständige Gehaltsentwicklung gibt.“ Gewinne müssten wieder besser verteilt werden – was am Ende auch der Wirtschaft nütze. „Es ist jetzt die Zeit, in der wir mehr bewegen können, weil es mehr gesellschaftlichen Rückenwind gibt“, gibt er sich zuversichtlich.

Esken stellt Privatisierung der Pflege infrage

Das wird auch in einer Frage aus dem Internet aufgegriffen: Wie eine bessere Bezahlung in der Pflege garantiert werden kann, fragt ein Teilnehmer. Das Thema greift Heil gerne auf, der auf seine Bemühungen in den vergangenen Monaten verweist – er hofft darauf, dass sich die Arbeitgeberverbände zusammen mit den Arbeitnehmerverbänden auf einen Tarifvertrag einigen, den Heil dann als allgemeinverbindlich für die Branche erklären kann.

Um den Druck zu erhöhen, könnten auch mehr Menschen in Gewerkschaften eintreten, merkt ein weiterer Nutzer in der Debatte an – und fragt, warum das nicht passiert. Die Antwort von Saskia Esken: „Es ist insgesamt die Überzeugung verloren gegangen, dass ich, wenn ich mich mit anderen zusammentue, etwas für mich und alle andere erreichen kann.“ Das müssten wir als Gesellschaft erst wieder lernen: „Gemeinsam sind wir stärker.“

Aber unabhängig davon stellt Esken ganz grundsätzlich die Frage, ob Bereiche wie die medizinische Versorgung oder die Altenpflege überhaupt der Privatwirtschaft überlassen werden dürften. „Damit haben wir Druck auf Löhne erzeugt – und daraus entstehen solche Arbeitsverhältnisse“, schlussfolgert sie aus den Privatisierungs-Tendenzen der vergangen Jahre. Dass in einem solchen System überhaupt Gewinne gemacht werden müssten, hält sie grundsätzlich für problematisch.

Der Parteivorsitzenden geht es um einen grundsätzlichen Kurswechsel in diesen Bereichen, lässt sie an dieser Stelle durchblicken – wie schon zuvor im Gespräch mit dem „vorwärts“. Eine Richtung, die sie auch im Dialog mit dem Publikum und den Gästen beibehält.

Fortsetzung am 15. Juli

Die erste Folge des Zukunftsdialog am Montagabend war zunächst der Auftakt in eine Diskussionsreihe, der nächste Termin steht bereits fest: In zwei Wochen, genauer: am Mittwoch, den 15. Juli, soll die Diskussion unter einem neuen Motto fortgesetzt werden. In der Debatte zwischen Parteispitze und Gästen soll dann das Publikum sich erneut wieder einbringen, mitreden, mitdiskutieren.

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