SPD-Zukunftsdialog: Warum Bildung Wahlkampfthema werden kann
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„Mal schauen was wir jetzt noch mit der Union hinbekommen“, sagt Lars Klingbeil am Donnerstag im Willy-Brandt-Haus, „und was ins Wahlkampfprogramm muss“. Damit macht der SPD-Generalsekretär klar: Bildung könnte ein zentrales Thema im nächsten Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr werden.
Es geht an diesem Donnerstagabend in der Parteizentrale um Bildung, um Gerechtigkeit, um Unterricht inmitten einer Pandemie – und darum, welche Lücken die Corona-Krise in den Köpfen des Nachwuchses hinterlassen hat. Die vergangenen Monate, das ist allen Gesprächsteilnehmer*innen beim zweiten SPD-Zukunftsdialog klar, haben große Probleme im Bildungssystem offenbart. Es fehlt an digitalen Lernangeboten, verlässlichen Kommunikationswegen mit Eltern und Schülern außerhalb der Schule und letztendlich an pädagogischem Fachpersonal, das unter den gegenwärtigen Bedingungen guten Unterricht für alle garantieren kann.
Probleme, die teilweise aber schon vorher da waren, weiß Saskia Esken. Auch vor Corona sei der Bildungserfolg schon maßgeblich von der Unterstützung der Eltern abhängig gewesen. „Jetzt geht die Bildungsschere weiter auseinander“, befürchtet die Parteivorsitzende, „Es ist unsere Pflicht, dass alle gleiche Bildungschancen haben.“ Auch Klingbeil erfährt die Sorgen der Eltern hautnah, da er gerade auf Tour durch seine niedersächsische Heimat ist: „Es gibt eine große Angst, dass die junge Generation ein Jahr verloren hat oder noch mehr Zeit verliert“, berichtet er. Einen Seitenhieb kann er sich auf die politischen Konkurrenz im Bundestag nicht verkneifen und spielt auf die schleppende Digitalisierung an, die die SPD schon früher gefordert hatte: „Hätte man damals auf uns gehört, wäre man vermutlich besser durch manche Situation gekommen – auch durch die Coronazeit.“
Corona-Krise als Chance für Reformen sehen
Aber er möchte nach vorne schauen, die Krise als Chance verstanden wissen – und deswegen richtet er sich direkt an den Lehrer Dejan Mihajlovic. Fragt, was die Politik machen kann, um Schulen und Pädagog*innen zu unterstützen. Der kann mit einer Reihe von Ansätzen aufwarten, die über die Corona-Krise hinausreichen: Er fordert mehr Zeit für Projekte, losgelöst von starren Unterrichtsformen und Inhalten „um Schulentwicklung stattfinden zu lassen“, erklärt Dejan, der auch Vorstandsmitglied beim Digital-Forum D64 ist. Außerdem müssten die Kommunikationsstrukturen im Schulsystem vereinfacht werden, weniger starr und hierarchisch gestaltet werden. „Das dauert alles zu lang“, klagt er über die Entscheidungsprozesse zwischen Lehrern, Schulleitung und Ministerien. Es müsse bessere Rahmenbedingungen, Unterstützungsangebote geben für die Schulen, „damit die ihren Weg gehen können“, so Dejan weiter – die Entwicklung aber müsse in den Schulen, vor Ort stattfinden.
Wie das in der Praxis aussehen kann, konnte Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Bettina Martin berichten: In ihrem Bundesland sind die Schulen seit ein paar Tagen wieder offen, findet wieder Unterricht in den Klassen statt – unter wechselnden Krisen-Bedingungen. „Es ist eine Herausforderungen, aber wir haben das super gemeistert“, sagt sie selbstbewusst, die ersten Rückmeldungen seien positiv. „Aber wir müssen das engmaschig begleiten", sagt sie, nicht nur mit Blick auf das Coronavirus.
Verlässliche Kommunikationswege gesucht
„Schulen sind große Meister darin, Mangelsituationen zu meistern“, sagt Esken auch anerkennend, ergänzt aber: Es fehle an der einen Stelle an schnellen und verlässlichen Kommunikationswegen mit den Eltern, an der anderen Stelle an Endgeräten, sodass jede*r an seinem eigenen Computer lernen kann. Dafür gebe es bereits zwar den Digitalpakt, so Esken weiter, bei der Ausbildung der Lehrer könne die Politik auf Bundesebene aber eben nicht viel tun. „Da sind wir draußen", sagt Esken. Bildung ist in Deutschland überwiegend in der Hand der Länder. Dass es aber jetzt vor allem auf gut ausgebildetes Personal ankomme, da stimmt auch Martin zu: „Gutes Lernen steht und fällt mit guten Lehrkräften.“ Da müsse man jetzt ran, sagt die Bildungsministerin, bittet aber gleichzeitig um Unterstützung und um Geduld: „Das geht leider nicht von einen auf den anderen Tag.“
Es sind diese Details, die immer wieder in der Diskussion mitschwingen und die offenbaren: Das Bildungssystem in Deutschland war schon vor der Krise eine Baustelle – aber die Pandemie hat nun eine „neue Normalität“ geschaffen, wie Klingbeil es formuliert. Diese Situation will der Sozialdemokrat nutzen: „Wir haben jetzt die Möglichkeit, das Thema richtig anzugehen“, sagt der Politiker, statt den Kopf in den Sand zu stecken müsse es jetzt heißen „jetzt erst recht“.
Hybrider Unterricht als Antwort auf die Krise
Einigkeit herrschte in der Runde darüber, dass dabei nicht nur langfristige, sondern vor allem flexible Lösungen gefunden werden müssten – die Rede ist immer wieder von hybriden Unterrichtsformen, also einer Mischung aus Präsenz in der Schule und Unterricht zu Hause, digital und analog, vermischt, verknüpft, flexibel, interaktiv. Denn weder sei die Krise vorbei, noch sei der weitere Verlauf absehbar. „Wir müssen lernen, mit Unsicherheit umzugehen, vorbereitet zu sein“, sagt Kai Maaz als Wissenschaftler und Vater von schulpflichtigen Kindern in Brandenburg. Dass es Lernrückstände bei Schülerinnen und Schülern gibt, ist für ihn klar. „Die müssen wir jetzt möglichst schnell identifizieren und abfangen können.“ Technisch müssten sich die Schulen dabei auch Fachpersonal holen für den Aufbau oder die Erweiterung der digitalen Lernangebote, ergänzt Digitalisierungsexpertin Katharina Zweig.
Für die Genoss*innen ist am Donnestag klar: Die Bildungsungerechtigkeit, die schon vor der Krise da war und jetzt noch verschärft wurde, muss abgeschwächt werden. Auf diese Gefahr weisen sowohl Maaz als auch Martin hin, die das Problem der vergangenen Monaten klar benennen kann: „Die Schüler haben nur ganz eingeschränkt Unterricht bekommen“, sagt die Ministerin und verteidigt damit auch die Schulöffnung: „Diesen Zustand mussten wir jetzt beenden.“ Wo der Unterricht nicht wie gewohnt stattfinden konnte und Eltern einspringen mussten, gehe die Bildungsschere weiter auseinander, ergänzt Esken. Bei einigen fehlte Zuhause der eigene Computer, der eigene Schreibtisch – oder schlicht eine stabile Internetverbindung. „Man hat nicht alle Schüler zuhause erreichen können“, bilanziert die SPD-Chefin.
„Es geht um ein anderes Denken, anderes Lernen", schlägt Klingbeil am Ende den großen Bogen, „und das ist unabhängig von Corona. Wie verändern wir Lernen grundlegend?“ Dass dabei nicht von Anfang an alles perfekt laufen muss, ist aus Sicht von Saskia Esken eine positive Erfahrung aus der Krise. „Wir haben jetzt auch den Mut, mit Provisorien zu leben.“ Manchmal gehe eben auch was schief. „Aber das ist okay!“, wirbt sie dafür, neue Methoden auszuprobieren, mehr zu versuchen. „In dieser Pandemie stecken Chancen – und die müssen wir jetzt nutzen.“
Im ersten Teil des Zukunftsdialogs der SPD ging es um Solidarität in der Krise.