SPD: Seeheimer wollen den Sozialstaat grundlegend reformieren
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Nun beteiligt sich auch der „Seeheimer Kreis“ an der SPD-internen Debatte über die Zukunft des Sozialstaats. In einem vierseitigen Papier machen die als konservativ geltenden Bundestagsabgeordneten um die Sprecher Johannes Kahrs, Dirk Wiese und Dagmar Ziegler Vorschläge, wie das Sozialsystem in Deutschland vor dem Hintergrund der Digitalisierung neu aufgestellt werden sollte.
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängern
Der Fokus der Seeheimer liegt dabei „auf der Sicherung sowie Schaffung gut bezahlter und arbeitnehmerfreundlicher Arbeitsplätze“. Mithilfe von Weiterbildung und –qualifizierung sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet werden. Gleichzeitig soll die Arbeit flexibler werden, um sie an private Bedürfnisse wie Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen anzupassen. „Unsere Aufgabe ist es, sowohl Sicherheit als auch Freiräume zu schaffen“, schreiben die Seeheimer in ihrem Papier mit dem Titel „Mut zu mehr“.
Wer dennoch arbeitslos wird, soll künftig nicht mehr nach einem Jahr in die Sozialhilfe fallen. „Die derzeitige Regelung beim ALG II entwertet engagierte Lebensläufe. Deshalb muss die Bezugsdauer von ALG I verlängert werden“, fordert der Seeheimer Kreis. Auch angespartes Vermögen soll nicht mehr wie bisher angerechnet werden. Kinder und Jugendliche sollten künftig komplett vom Hartz-IV-System ausgenommen sein.
Leih- und Zeitarbeit abschaffen
Alleinerziehende wollen die Seeheimer künftig mit einer „staatlich geförderten Beschäftigungsinitiative“ unterstützen, um sie besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Leih- und Zeitarbeit sollen dagegen „in ihrer jetzigen Form“ abgeschafft werden, da sie ihre ursprünglich vorgesehene Aufgabe als „Zwischenschritt für Arbeitssuchende“ nicht erfülle. Kommen Hartz-IV-Empfänger ihren Verpflichtungen nicht nach, soll es nach Ansicht der Seeheimer zwar weiter die Möglichkeiten geben, ihnen Leistungen zu kürzen, „Sanktionen sollten aber nur letztendliches Mittel sein und maßvoll ergriffen werden“, heißt es in dem Papier.
In dem fordert der Seeheimer Kreis auch „eine Rentenversicherung für alle“ statt parallel existierender Systeme, ein neues Gesundheitssystem sowie eine Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde. „Ein Grundeinkommen ohne eigene Anstrengungen“ lehnen die Seeheimer dagegen ab. „Ein Recht auf bezahltes Nichtstun ist nicht unser Anspruch“ greifen sie in ihrem Papier eine Formulierung von SPD-Chefin Andrea Nahles auf.
Mehr Geld für den Schienenverkehr
Auch in der Wirtschafts- und Friedenspolitik formuliert der Seeheimer Kreis in seinem Papier klare Vorstellungen. So soll Künstliche Intelligenz dazu genutzt werden, „um Umwelt und Wirtschaft noch enger zusammenzubringen und damit für mehr Klimaschutz zu sorgen“. Für eine „konsequente Energiewende“ fordern die Seeheimer „massive Investitionen für Schienenwege und in neue Züge“, eine Fernbus-Maut sowie die Besteuerung von Flugbenzin.
Mithilfe einer CO2-Steuer soll der Ausstoß des klimaschädlichen Gases verringert werden. Steigende Kosten für die Bürger wollen die Seeheimer verhindern, indem im Gegenzug „Steuern, Umlagen und Abgaben auf Strom“ gesenkt werden.
In der Außenpolitik fordern die Mitglieder des Seeheimer Kreises eine „gemeinsame europäische Rüstungs- und Rüstungsexportpolitik“ sowie die Etablierung einer europäischen Armee.
Jahresauftaktklausur des SPD-Parteivorstands
Bereits im Dezember hatten die „Netzwerker“ ihre Vorstellungen für die künftige Ausrichtung der Sozialpolitik der SPD vorgelegt. Nun ziehen die Seeheimer mit ihrem Papier nach. Am 10. und 11. Januar trifft sich die SPD-Bundestagsfraktion zu ihrer Jahresauftaktklausur. Am 10. und 11. Februar tagt dann der SPD-Parteivorstand. Hier will die Partei Positionen für ihre Haltung in zentralen Fragen wie der Sozial- und der Umweltpolitik vorstellen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.