SPD Rheinland-Pfalz: 52 Kandidat*innen in Malus Wohnzimmer
Malu Dreyer ist auf Tour durch Rheinland-Pfalz. Eigentlich nicht ungewöhnlich. Schließlich ist am 14. März Landtagswahl, und die Ministerpräsidentin und SPD-Spitzenkandidatin möchte die Wahlkreiskandidat*innen unterstützen und ihre Bekanntheit steigern. Doch dieses Mal ist alles anders. Denn die Tour findet digital statt. Gesendet wird das neue Format – die Wir-Mit-Ihr-Tour – live aus einem digitalen Wohnzimmer in der SPD-Landesgeschäftsstelle in Mainz. Statt volle Wahlveranstaltungen zu besuchen und Malu Dreyer persönlich an einem Infostand zu begegnen, können die Wähler*innen ihre jeweiligen Wahlkreiskandidat*innen im Gespräch mit der Ministerpräsidentin erleben.
Täglich ein bis drei Wohnzimmergespräche
Dafür hat die SPD zwei bisher nicht genutzte Räume in der ersten Etage des historischen Mainzer Proviantamtes – errichtet in den 1860er Jahren als Lager fürs Militär – als Wahlkampfstudio eingerichtet. In einem Raum stehen Mischpults, Laptops und Ersatzmikrofone, der andere Raum ist zur Hälfte Aufnahmestudio mit Kameras, Scheinwerfern, jeder Menge Kabel und Steckdosen, die andere Hälfte ist als Wohnzimmer gestaltet – mit Parkett, dunkelgrüner Wand, einem grauen Sofa, zwei Sesseln, kleinen Tischchen und Flauschteppich. Wer hier „wohnt“, zeigen rote Deko-Würfel mit weißer SPD-Aufschrift.
Wer hier zu Gast war und ist, wird deutlich durch die Landeskarte, auf der die Besucher*innen ihr Bild in ihren jeweiligen Wahlkreis heften, und durch die Regale voller Geschenke, die die Kandidat*innen aus ihrem Wahlkreis mitgebracht haben: von der bemalten Fassdaube über Öle, Bücher und Bilder, Schokolade und Schnaps bis zur Currywurst in der Weißblechdose. Täglich ein bis drei Wohnzimmergespräche werden hier geführt und live auf Facebook, YouTube und Twitter gestreamt. 52 Talks werden es insgesamt sein. Bei Interesse kann man sie sich auch später noch anhören und anschauen, auch auf www.spd-rlp.de.
Lewentz bringt „Blumen für die Chefin“
Die Atmosphäre im Raum ist entspannt, die Abläufe haben sich seit dem Beginn der Veranstaltungen im digitalen Wohnzimmer eingespielt – außer den Treffen der Wir-Mit-Ihr-Tour fanden und finden hier auch andere Gesprächsrunden statt. Die Technik funktioniert. Kameramann, Fotograf und Toningenieure wissen genau, was sie zu tun haben. Heute ist Roger Lewentz zu Gast, rheinland-pfälzischer SPD-Chef, Innenminister und Direktkandidat im Wahlkreis 8 (Koblenz/Lahnstein). Er hat unter anderem „Blumen für die Chefin“ mitgebracht und nimmt auf dem Sofa Platz – zwischen Moderatorin Alina Hanss und der „MP“, wie sie hier kurz heißt. Alle drei sind frisch coronagetestet.
Letzte Handgriffe an Mikros und Frisuren, ein kurzer Test für Ton und Bild, dann ruft jemand: „Achtung! Noch zehn Sekunden . . . .9, 8, 7, . . 2,1“, es wird still, die Eröffnungsmusik wird eingespielt. Dann geht es los: Locker wird geplaudert, aber auch sachbezogen informiert über alle Themen, die das Land und die Wählerschaft bewegen: von der Stadt-Land-Schere und den Corona-Regelungen über Bildung, Bundesgartenschau und neuer Brücke über den Rhein bis zur Gesundheitsversorgung, Arbeitsplätzen und den wehrhaften Umgang mit der AfD.
Weniger Pausen im digitalen Wahlkampf
Dass die Ministerpräsidentin am Vorabend bis Mitternacht an Beratungen teilgenommen und seit dem Morgen schon wieder mehrere virtuelle Konferenzen geleitet und Online- und andere Gespräche geführt hat, ist ihr dabei nicht anzumerken. Sie wirkt locker und gut gelaunt, lobt viel – unter anderem Polizei und Rettungskräfte und ehrenamtlich Engagierte und SPD-Mitglieder und den SPD-Landesverband – und sie sieht die Partei gut aufgestellt. Die SPD sei wie eine Familie, nicht immer seien alle einer Meinung, aber letztlich vertraue man sich und arbeite gut zusammen am gemeinsamen Ziel: das Land gut voranzubringen. Jeder Wahlkampf sei eine neue und riesige Herausforderung, da sei es ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Partei hinter ihr stehe.
„Ja, ich komme oft außer Atem hier an“, erzählt sie später. Schließlich hat sie als Ministerpräsidentin gerade in Coronazeiten besonders viel zu tun. Und es ist nicht so, wie manch politischer Laie es sich vorstellt: dass nämlich der digitale Wahlkampf stressfreier ist, weil doch schließlich die Autofahrten durchs ganze Land wegfallen, das Hetzen vom Gespräch zum Vortrag, zur Ehrung, zum Mitgliedertreffen, zur Bürgerversammlung. Im Gegenteil: Der digitale Wahlkampf ist eng getaktet, der Tagesplan voller als sonst und ohne Pausen. „Wissen Sie, im Auto kann man auch mal entspannen, das fällt gerade weg.“
Eine Viertel Million Menschen erreicht
Ob Sie den Applaus vermisst? Nein, eigentlich nicht. „Sicherlich trägt es einen, wenn man vor einem vollen Saal spricht und dann Applaus bekommt, deshalb war das digitale Wohnzimmer anfangs ungewohnt, aber das hat sich schnell geändert.“ Schließlich führe sie ja ein persönliches Gespräch mit dem jeweiligen Besuch. Insgesamt ist sie sehr zufrieden, wie der digitale Wahlkampf läuft.
Daniel Stich, Generalsekretär und Landesgeschäftsführer der rheinland-pfälzischen SPD, kann ihr da nur zustimmen. „Mit der Veranstaltungsreihe aus dem digitalen Wohnzimmer haben wir insgesamt bisher rund eine Viertel Million Menschen erreicht, das ist mehr als bei analogen Veranstaltungen.“ Denn zum einen wird die Liveübertragung im Internet gesehen – vermutlich vor allem im Wahlkreis, aus dem der Kandidat oder die Kandidatin kommt – , zum anderen wird die Aufzeichnung später immer wieder angeklickt. Stich ist überzeugt: Mit den digitalen Formaten könne man die Botschaften passgenau in die Wohnzimmer und an die Küchentische der Wähler*innen bringen. Und die Kandidat*innen könnten die Gesprächsaufzeichnung danach für ihre Werbung nutzen.
Das einzige, was er traurig findet: „Es gibt kein digitales Äquivalent zum Haustürwahlkampf.“ Es sei digital nicht möglich, mit Menschen in Kontakt zu treten, die sich eventuell nicht sehr für Politik interessieren.
Insgesamt aber hält er den digitalen Wahlkampf für gelungen. Und wie Malu Dreyer glaubt auch er, dass künftig weiterhin auch digitale Formate genutzt werden – auch wenn es keine Einschränkungen wegen Corona mehr gibt.