SPD-Politiker: Nicht der AfD die sozialen Netzwerke überlassen
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Ralf Stegner beginnt seinen Tag gerne mal bei Twitter. Manchmal schickt der stellvertretende SPD-Vorsitzende in aller Frühe seinen täglichen Musiktipp „ins digitale Orbit“, häufig passend zur aktuellen politischen Situation. „Ich mag den Wortwitz und die Kürze, die Twitter vorgibt“, sagt Stegner. Alle der knapp 45.000 Tweets (Re-Tweets eingerechnet), die er seit seinem Start bei Twitter im Oktober 2008 abgesetzt hat, stammen von ihm selbst und nicht wie bei manchem anderen Politiker von einem Social-Media-Team.
Stegner: „Die Aggressivität auf Twitter hat zugenommen“
An Twitter reizt Ralf Stegner die „spannende Reaktionsbreite“ und die direkte Art der Kommunikation mit seinen Followern. „Twitter kann mittlerweile mit anderen Arten der Öffentlichkeitsarbeit konkurrieren“, ist Stegner überzeugt. Allerdings gibt es da auch die dunkle Seite. Denn egal worüber der SPD-Vize schreibt: Er kann sicher sein, dass sich schnell Nutzer mit persönlichen, häufig auch beleidigenden Kommentaren zu Wort melden. Für viele Rechte ist Stegner – nicht nur auf Twitter – eine Hassfigur.
„Die Aggressivität auf Twitter hat zugenommen“, hat er beobachtet. Die sogenannten sozialen Medien seien „in vielen Punkten unsoziale Medien“. Dieser negativen Seite von Facebook, Twitter und Co. dürfe man sich jedoch nicht unterwerfen, meint Stegner. „Mich beeindruckt das nicht“, sagt er. Anders sei das, wenn jemand persönlich werde oder gar Gewalt androhe. „Solche Dinge bringe ich zur Anzeige.“ Einige Nutzer hätten auch bereits Strafen zahlen müssen, etwa an die Flüchtlingshilfe.
Nach vielen Anzeigen die erste Verurteilung
Auf diese Erfahrung musste Annika Klose lange warten. Die Vorsitzende der Berliner Jusos wird immer wieder zur Zielscheibe von Hatern im Internet. Angezeigt hat sie schon viele, doch erst Ende vergangenen Jahres wurde ein Mann aus dem Ruhrgebiet auch tatsächlich verurteilt. Nach einem Facebook-Aufruf, sich einer AfD-Demo in Berlin im Mai 2018 entgegenzustellen, war ein Shitstorm über Klose hereingebrochen. Wie viele andere hatte der Mann die Juso-Vorsitzende persönlich angegriffen und beleidigt. Nun muss er eine Strafe von 30 Tagessätzen zahlen.
„Das ist das erste Verfahren, das mit einem Urteil endet“, erzählt Annika Klose – und das, obwohl sie und die Berliner Jusos versuchen, jeden, der auf Facebook oder Twitter unter seinem Klarnamen Beleidigungen postet, anzuzeigen. „In der Regel teilt die Staatsanwaltschaft nach einigen Monaten mit, dass die Person nicht zu ermitteln gewesen sei und das Verfahren deshalb eingestellt wurde“, berichtet Klose.
Klose: „Der Ton gegenüber Frauen in sozialen Netzwerken ist schärfer“
Dabei sei es wichtig, den Menschen klarzumachen, dass digitales Handeln auch im realen Leben Konsequenzen hat. Annika Klose hat das am eigenen Leib erfahren. Als sie im Sommer 2017 per Facebook-Video ankündigte, Flüchtlingsretter bei einer Mission im Mittelmeer unterstützen zu wollen, wurde sie mit Hasskommentaren und Drohungen überschüttet. Die Folge: „In Berlin habe ich mich nicht mehr sehr wohlgefühlt und mir die Menschen auf der Straße genau angeguckt.“
Doch Klose ließ sich nicht unterkriegen, sondern schlug per Facebook-Video zurück. Dort präsentierte sie die „Top Fünf der Hasskommentare“ – unter Nennung des Kommentators und dessen Facebook-Profil. Auffällig dabei: Viele der Kommentare enthalten sexuelle Gewaltphantasien und wünschen Klose entweder, vergewaltigt oder gleich ermordet zu werden. „Der Ton gegenüber Frauen ist in sozialen Netzwerken schärfer“, hat Annika Klose beobachtet. Politische Äußerungen von Frauen riefen mehr Hass hervor.
Klose hat daraus zwei Konsequenzen gezogen. „Ich poste nichts, wo mein Wohnort erkannt werden könnte. Videos und Fotos mache ich nur vor einem neutralen Hintergrund. Da geht die eigene Sicherheit vor.“ Zum anderen seien Facebook und Twitter inzwischen nicht mehr ihre erste Wahl. „Ich bewege mich jetzt lieber auf Instagram.“ Da sei zwar die Möglichkeit, Inhalte zu teilen, geringer, „aber es gibt auch weniger Hass“.
Kahrs: „Wir dürfen der AfD nicht die sozialen Netzwerke überlassen“
Ein Rückzug von Twitter und Facebook wie ihn jüngst Grünen-Chef Robert Habeck vollzog, käme für Annika Klose aber nicht infrage. „Ich möchte den Rechten nicht diesen Raum überlassen“, sagt sie. Ähnlich argumentiert Johannes Kahrs. Der Hamburger Bundestagsageordnete ist der ungekrönte Twitter-König des Parlaments. Im vergangenen Jahr setzte er mehr als 28.000 Tweets ab – knapp 80 pro Tag.
„Wir dürfen der AfD nicht die sozialen Netzwerke überlassen“, sagt Kahrs. Die Rechtspopulisten haben bei Facebook und Twitter mit Abstand die meisten Likes bzw. Follower. Für Kahrs ist deshalb klar: „Den Kampf gegen die AfD gewinnen wir nicht auf der Straße.“
Den Twitter-Rücktritt von Robert Habeck hält Kahrs daher auch für einen Fehler. „Ob ich eine harte Diskussion am Info-Stand oder bei Twitter führe, ist kein Unterschied: Beides ist das wahre Leben.“ Der Vorteil des Kurznachrichtendienstes sei dabei zum einen die schnelle Art der Kommunikation, zum anderen die große Reichweite. „Man trifft einen Haufe Leute, mit denen man sonst nie Kontakt hätte“, sagt Kahrs.
Auch im Internet keine rechtsfreien Räume
Bei Hass im Netz gibt es aber auch für ihn eine klare Grenze. „Wer beleidigt oder Fake News verbreitet, wird geblockt – schon alleine, um andere Diskussionsteilnehmer zu schützen.“ Besonders üble Beiträge wie Morddrohungen würden ohnehin zur Anzeige gebracht. Die verliefen allerdings meist im Sande. „Es darf auch im Internet keine rechtsfreien Räume geben“, sagt Johannes Kahrs.
Dass Twitter den eigenen Charakter verändere, wie Grünen-Chef Habeck nach Verlassen des Netzwerks behauptet hatte, glauben weder er noch Annika Klose oder Ralf Stegner. Letzterer gesteht jedoch selbstkritisch: „Auch ich schreibe nicht nur kluge Tweets.“ Manchmal gehe das Temperament mit ihm durch. „Da würde es helfen, nochmal eine Sekunde nachzudenken.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.