SPD-Politiker Johann Saathoff: Mit Ruhe zum Erfolg
Dirk Bleicker
Als Johann Saathoff den Schwarztee einschenkt, fängt es in der Tasse an zu knistern. Er schaut zufrieden aus. In seinem Berliner Abgeordnetenbüro hat er ostfriesisches Geschirr aufgetischt. Die weiße Teekanne auf dem Stövchen ist mit einer geschlossenen roten Rose verziert, genauso die Tassen. Darin liegen schon Kandis-Stücke, ostfriesisch „Kluntje“, die im Kontakt mit der Flüssigkeit den Ton von sich geben. Anschließend lässt er mit einem Löffelchen Sahne auf den Tee fließen, geschwenkt gegen den Uhrzeigersinn. Schließlich wolle man beim Teetrinken die Uhr zurückdrehen. „In Berlin, in diesem schnelllebigen Zirkus, hilft mir der Tee, zur Ruhe zu kommen und auch mal nachzudenken“, erklärt der SPD-Bundestagsabgeordnete.
Erfolg durch Nähe
Die Teeprozedur sei für Ostfriesen ein Stück Kultur. Daher hat Saathoff das Getränk in seine politische Arbeit integriert. Das begann in seiner Zeit als Bürgermeister der Gemeinde Krummhörn bei Emden. Damals suchte er den Kontakt mit den Bewohnern, indem er ihre Dörfer besuchte und sie einlud zu einer „Tass Tee mit Börgmester“. Dabei konnten die Menschen alles ansprechen, was ihnen wichtig war. Auf diese Weise habe er ein gutes Gefühl bekommen, was in den Ortschaften los sei, sagt Johann Saathoff, der immer noch in Krummhörn lebt.
Der Nähe zu den Menschen kam offensichtlich gut an. Als er 2013 als Bundestagskandidat im Wahlkreis Aurich-Emden antrat, erhielt er 50,3 Prozent der Erststimmen (Zweitstimmen: 43,8 Prozent). 2017 holte er mit 49,6 Prozent der Erststimmen sowie 37,8 Prozent der Zweitstimmen das bundesweit beste Ergebnis für die SPD.
Wahlkampf nicht nur zur Wahl
Sein Erfolgsgeheimnis schildert Johann Saathoff so: „Der Wahlkampf beginnt am Tag nach der Wahl und nicht erst vier Wochen davor.“ Das heißt für ihn: präsent sein, für die Menschen da sein und ihnen auf Augenhöhe begegnen. „Als Abgeordnete gehört es zu unserer Grundverpflichtung zu wissen, wie es den Menschen geht.“
Denselben Ansatz verfolgt der 50-Jährige auch gegenüber den Gewerkschaften. Natürlich sei es schmerzhaft, sagt er, dass sie wegen der Agenda 2010 keine Wahlempfehlung für die SPD mehr geben würden. Das halte ihn jedoch nicht davon ab, an ihrer Seite zu stehen und für ihre Interessen zu kämpfen. Regelmäßig trifft er sich mit ihren Vertretern, auch zum Tee – unter dem Motto „Tass Tee mit MdB“. Mit der Zeit habe sich ein vertrauensvolles Verhältnis entwickelt. Gemeinsam arbeiten sie etwa an einem Zukunftspapier für Ostfriesland.
SPD stärkste Kraft seit 1949
In dem Landstrich gehörten einst Werften und landwirtschaftliche Betriebe zum vertrauten Anblick. Mit ihnen kamen viele Arbeiter, die dort eine Erfahrung machten: Wer gemeinsam für Arbeitnehmerrechte kämpft, kann die eigene Lebenssituation verbessern. Dies sei bis heute „in der Genetik der Ostfriesen verankert“. Saathoff sieht darin den Grund für die Stärke von Gewerkschaften und Sozialdemokratie im äußersten Nordwesten. In seinem Wahlkreis Aurich-Emden hat die SPD seit 1949 jede Wahl für sich entschieden.
Hinzu kommen die Charaktereigenschaften, die Ostfriesen nachgesagt werden. Sie seien heimatverbunden, bodenständig – vor allem aber würden sie sich nicht so schnell von der Bahn abbringen lassen. „In ihrer Sturmfestigkeit laufen sie auch mal gegen den Wind“, erklärt er. In dieser Mentalität sieht Saathoff auch einen politischen Auftrag: die Pflicht zur Kontinuität. „Die Wähler erwarten, dass ich nicht von einem Stöckchen auf das nächste springe.“
Pendler zwischen zwei Leben
Als Bewohner Ostfrieslands ist Johann Saathoff diese Einstellung nicht fremd. Er wird 1967 in Emden geboren, wächst in einer sozialdemokratischen Familie auf. Der Vater ist Hafenarbeiter, die Mutter Netzstrickerin. Er engagiert sich bei den Falken, später bei den Jusos. Beruflich schlägt er eine Verwaltungslaufbahn ein. Zuletzt arbeitet er als Verwaltungswirt für die Fachhochschule Ostfriesland, bis er 2003 Bürgermeister von Krummhörn wird. Mit seiner Frau Sonja hat er fünf Kinder.
Seit dem Einzug 2013 in den Bundestag verbringt er viel Zeit mit Bahnfahren. Fünf Stunden sind es bis nach Berlin. Dazwischen liegen zwei Leben. In Ostfriesland wohnt er auf dem Land. Mit seinen Nachbarn – allesamt vom gleichen Menschenschlag wie er – spricht er Platt. In Berlin lebt er hingegen in einer Wohnung im bunten, umtriebigen Kreuzberg. In der Hauptstadt habe sein Leben einen anderen Rhythmus. Das registriert auch der Fitnesstracker am Handgelenk. „Mein Pulsschlag in Berlin ist durchschnittlich zehn Schläge höher“, sagt er.
Was wirklich wichtig ist
Wenn er nach Hause zu seiner Familie fahre, brauche er deswegen zunächst immer etwas Zeit, um sich an die Umgebung zu gewöhnen. Gerade die Zeit, die er mit seiner zwölfjährigen Tochter verbringt – die anderen Kinder sind erwachsen –, hilft ihm dabei, von der Politik abzuschalten und die Maßstäbe zurechtzurücken. „In Berlin denkt man ja, man rette die Welt und alles sei wichtig“, sagt Johann Saathoff, „und dann kommt man nach Hause und die Tochter öffnet einem die Augen für die wichtigen Dinge im Leben“.