Parteileben

SPD-Ostkonvent: Olaf Scholz fordert Chance auf einen Vorsprung Ost

Die „Umbruchkompetenz“ der Ostdeutschen nutzen und die Chance für einen Vorsprung Ost ermöglichen: Bei ihrem Konvent wirbt die SPD sieben Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt für ihr Zukunftsprogramm und die Gunst der Wähler*innen.
von Vera Rosigkeit · 30. Mai 2021

Was sie als Ostdeutsche geprägt habe, sei der Umbruch nach der Wiedervereinigung gewesen, erzählt Katja Pähle. In ihrem Geburtsort sei das Walzwerk und die Hütte geschlossen worden, die Arbeitslosigkeit habe bei 25 Prozent gelegen. „Das macht was mit den Menschen“, erklärt die SPD-Spitzenkandidatin Sachsen-Anhalts am Sonntag in Halle. Franziska Giffey kennt diese Erfahrung. Nach der Wende seien ihre Eltern arbeitslos geworden. Vieles war nichts mehr wert, musste neu gelernt werden. Der Spitzenkandidatin für die SPD in Berlin ist wichtig zu betonen, dass die meisten „Menschen in Ostdeutschland den Umbruch gut gemeistert haben“.

Ungleichgewicht zwischen Ost und West

Immer wieder ist an diesem Sonntag beim Ostkonvent der SPD, einer hybriden Veranstaltung in der Georg-Friedrich-Händel-Halle, von der „Umbruchkompetenz“ die Rede, die ostdeutsche Biografien kennzeichne. Mit Blick auf die Entwicklung in den neuen Bundesländern könne es aber nicht immer nur ums Aufholen und Nachholen gehen, sondern auch darum, „dass wir Vorsprünge in Regionen des Ostens brauchen“, sagt SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Gleichwohl kritisiert er enorm hohe Lohnunterschiede. „Wenn Unterschiede von zehn, 15 Prozent bei den Renten oder sogar bis zu 40 oder 50 Prozent für die gleiche Arbeit da sind, dann ist das eine Beleidigung für die Menschen.“

Dass es nach mehr als 30 Jahren in Deutschland noch immer ein deutliches und strukturelles Ungleichgewicht zwischen Ost und West gibt und zwar „zu Lasten Ostdeutschlands“, betont auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Mehr als die Hälfte aller Ostdeutschen hätten das Gefühl, noch immer nicht richtig dazu zu gehören, sagt er. Es werde weniger vererbt und geerbt und noch immer seien zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen. Scholz fordert einen neuen Aufbruch. „Wir brauchen dabei einen präzisen Plan – für ganz Deutschland, und erst recht für Ostdeutschland!“

Ostdeutsche „Umbruchkompetenz“ nutzen

Dabei müsse es laut Scholz auch um einen „Vorsprung Ost“ gehen. Scholz betont das große Potenzial der vier Zukunftsmissionen Mobilität, Klimaschutz, Digitalisierung und Gesundheit für Ostdeutschland. Dabei gehe es um die Förderung von Schiene und öffentlichem Nahverkehr, das Entwickeln neuer Wasserstofftechnologien oder dem Ausbau des 5G Netzes, die dem Osten neue Industrien und Beschäftigung bringen würde, erklärt er. Es gehte auch um Investitionen in Schlüsseltechnologien und in den Strukturwandel. Scholz fordert zudem bei Bundesprogrammen einen Bonus für strukturschwache Regionen. Von solch einem Bonus würde Ostdeutschland besonders profitieren, ist er überzeugt. Und es gehe um Respekt. Respekt vor der Lebensleistung der Bürger*innen aus Ostdeutschland, die in diesem schwierigen Umbruch in den vergangenen drei Jahrzehnten ihren Weg gegangen seien, betont er. „Dieser Respekt steckt in unserem Zukunftsprogramm.“

Die „Umbruchkompetenz“ der Ostdeutschen sollte im Strukturwandel viel stärker genutzt werden, erklärt Scholz und beschreibt die Idee eines Zukunftszentrums, um die Erfahrung, wie man gesellschaftliche Transformation bewältigen kann, einzubringen. „Dieses Zukunftszentrum kann einen immens wichtigen Beitrag zur inneren Versöhnung unserer Gesellschaft leisten und das Vertrauen in unsere Demokratie stärken“, so Scholz. 

Ostdeutschland braucht die SPD

Schon im ersten Amtsjahr als Bundeskanzler wolle er dafür sorgen, dass der Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht werde, andere Punkte würden etwas länger dauern. Aber alleine vom Anheben des Mindestlohns werde keine andere Region so profitieren wie Ostdeutschland. „Entscheidend sei, dass Ostdeutschland endlich wieder ganz oben auf die Tagesordnung stehen wird.“ Mit Blick auf das Wahljahr 2021 erklärt Scholz: „Ostdeutschland braucht uns, Ostdeutschland braucht die SPD.“

Denn am 26.September steht nicht nur die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag an, sondern auch die Wahl zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus sowie dem achten Landtag Mecklenburg-Vorpommerns – möglicherweise auch neue Landtagswahlen in Thüringen. SPD-Spitzenkandidat und Innenminister Thüringens Georg Maier möchte vor allem den Breitbandausbau vorantreiben. Denn die Corona-Krise habe gezeigt, wie realistisch das Homeoffice als neues Arbeitsmodell tauge. Während man in Ballungsgebieten kaum noch erschwinglichen Wohnraum finde, gebe es in Thüringen reichlich Fläche und gute Lebensbedingungen.

Wahlkampf 2021: Giffey setzt auf „5Bs“ für Berlin

In Ballungsräumen arbeiten und in Thüringen leben, beschreibt Maier ein Zukunftskonzept. Neben Investitionen in Tourismus, Bildung und Kultur, erklärt die Bildungsministerin Mecklenburg-Vorpommerns Bettina Martin, dass sich ihr Land vor allem für Innovation und Forschung stark machen wolle. Denn für kleine und mittlere Unternehmen sei dies schwierig. Jetzt brauche es Investitionen in die Zukunft, es sei der „falsche Moment, um zu sparen“, erklärt sie. Martin ist an diesem Sonntag stellvertretend für Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin und Spitzenkandidatin Mecklenburg Vorpommerns vor Ort. Und für Berlin setzt Spitzenkandidatin Franziska Giffey auf die „5Bs“ für „Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernähe und Berlin in Sicherheit“. Wobei laut Giffey sowohl die soziale als auch die innere Sicherheit gemeint sei, betont sie.

Doch zuvor, am kommenden Sonntag, wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Inhaltlich will die SPD aus der Corona-Krise lernen und mit „kraftvollen öffentlichen Investitionen wirtschaftliche Impulse“ setzen, sagt Spitzenkandidatin Katja Pähle. Lehren aus der Krise ziehen, bedeute für sie aber auch, dass Gesundheitsversorgung öffentliche Aufgabe sein muss, die allen zur Verfügung stehe.

Sachsen-Anhalt: Am 6. Juni SPD wählen

Auch wenn die SPD in der Vergangenheit die Weichen teilweise anders gestellt habe, fordert Pähle: „Wir schließen weitere Privatisierungen an profitorientierte Konzerne aus.“ Ihrer Meinung nach gehören Krankenhäuser in öffentliche oder gemeinnützige Hände. Auf Wahlplakaten stehe deshalb der Satz: „Mit unserer Gesundheit zockt man nicht!“ Man zocke allerdings auch nicht mit den Löhnen und den Arbeitsplätzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sagt sie.

Seit 2016 wird Sachsen-Anhalt von einer „Kenia-Koalition“ aus CDU, SPD und Grünen regiert. „Ohne SPD wäre keine demokratische Regierungsmehrheit zustande gekommen“, erklärt Pähle. Für sie gehe es am 6. Juni auch darum, „ob 76 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus alle demokratischen Parteien klare Kante gegen Rechtsextremismus zeigen“, betont sie. In der praktischen Auseinandersetzung mit der AfD habe die SPD viel über die Bedrohung „unserer Demokratie von rechts gelernt – die CDU leider nicht“. Pähle warnt: „Wer in dieser Situation CDU wählt, weiß nicht, was er bekommt: Brandmauer oder Brandbeschleuniger?“

Für SPD-Chefin Saskia Esken ist klar, dass gut Politik für den Osten bedeute, Ungleichheiten zu überwinden, sagt sie. „Gleiche Chancen, gleiche Löhne, gleiche Renten — dafür setzen wir uns mit unserem Zukunftsprogramm ein. Wir sind bereit, die starke gestaltende Kraft für mehr Respekt und eine gute Zukunft zu sein.“ Das Schlusswort an diesem frühen Nachmittag liegt jedoch beim Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby aus Halle. Er fordert dazu auf: „Am 6. Juni bitte SPD wählen!“

Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare