SPD++: Mehr Vertrauen und kontroverse Debatten – was die SPD jetzt braucht
benjamin stollenberg | fotograf
Frau Boos, mit der Webseite spdplusplus.de will die Initiative SPD++ Mitglieder stärker in den Diskussionsprozess der Partei einbeziehen und durchlässiger machen. Eine gute Idee?
Auf jeden Fall! Es ist wichtig, dass wir uns auch außerhalb von ortsgebundenen Strukturen Debattenräume eröffnen. Es gibt Ortsvereine, die hervorragend organisiert sind, aber eben auch Gegenden, wo wir zwar Mitglieder haben aber die Strukturen nicht mehr funktionieren. Für diese Mitglieder brauchen wir Beteiligungsstrukturen. Gerade junge Mitglieder, die neu zu uns gekommen sind, erleben oft, dass ihre Beteiligungsmöglichkeiten nicht so sind, wie sie sich das wünschen und zu wenig Dynamik zulassen. Wir Landesverbände wünschen uns eine digitale Plattform, die es möglich macht, inhaltlich zu diskutieren. Als Landesverband können wir das nicht leisten, das ist eine zentrale Forderung an die Bundes-SPD.
Was müsste die Bundes-SPD tun?
Was wir brauchen ist eine Mischung aus sozialem Netzwerk, expliziten Themenforen und ein Beteiligungsinstrument für mehr Kooperation und Partizipation auf allen Ebenen. Es muss möglich werden, dass die Führung oder auch die Bundestagsfraktion um Unterstützung für ihre Positionen wirbt, sich mit der Basis vernetzt und zu aktuellen Themen auch Meinungsbilder abfrägt. Technisch ist das lösbar.
Braucht die SPD eine neue Diskussionskultur?
Kultur ist das richtige Stichwort. Und dazu die passende Struktur. Wir haben Bundesparteitage und Parteikonvente, die wenig Raum für transparente Debatten bieten. Als langjährige Delegierte erlebe ich keinen Mangel an Anträgen, die von den Gliederungen gestellt werden. Mit so einem Antragsbuch kann man regelmäßig jemanden erschlagen. Aber sobald es auf die Bundesebene geht, funktioniert unser Meinungsbildungsprozess von unten nach oben nicht mehr. Es gibt zu kleine Zeitfenster, um etwas zu diskutieren. Änderungsanträge gehen in der Antragskommission unter. Ich wünsche mir, dass die Änderungswünsche transparenter gemacht und zur Abstimmung gestellt werden. Ich möchte als Delegierte nicht am Vortag ein Papier vorgelegt bekommen, das mit einem Schlag über 100 Anträge erledigt. Das ist unbefriedigend. Ich wünsche mir eine Parteiführung, die eine Position einnimmt und für diese Position wirbt. Die rausgeht aus Berlin in die Landesverbände und sich diesen Diskussionen stellt.
Muss auf den Parteitagen wieder mehr inhaltlich gestritten werden?
Paradoxerweise würde das zu einer größeren Geschlossenheit in unserer Partei führen. Davon bin ich überzeugt. Gute Diskussionsprozesse tragen zur Legitimation von Beschlüssen bei. Erst wenn kontrovers und transparent diskutiert wird, wird auch die unterlegene Position akzeptieren, dass aktuell eben die Mehrheit der Partei anderer Meinung ist. Momentan läuft doch jeder danach raus und erzählt das weiter, was er oder sie davor schon sagte. Unsere Beschlüsse haben kaum einen Wert.
Stichpunkt Transparenz. Müssen die Parteitage und Konvente öffentlicher werden?
Vor allem die Parteikonvente müssen wir öffnen. Da hat unsere Mitgliedschaft oft den Eindruck, dass dort merkwürdige Dinge hinter geschlossenen Türen passieren. Es geht auf Konventen oft um Themen, die die Partei aktuell umtreiben. Am Ende stehen dann Beschlüsse, bei denen sie nicht mal verfolgen konnten, wie sie zustande kamen. Deshalb werbe ich für die Öffnung. Wir müssen aber auch die Zusammenarbeit zwischen den Landesverbänden mit dem Parteivorstand verbessern. Da sehe ich uns selbst in der Pflicht. Wir haben oftmals die gleichen Diskussionen, aber jeder kocht seine eigene Suppe.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Die Zukunft der Mobilität ist ein Thema, das momentan alle bewegt. Wir haben einige Landesverbände mit starker Automobilindustrie, drohenden Fahrverboten und Arbeitnehmer, Pendler oder Anwohner mit berechtigten Fragen. Deshalb haben wir mit den Landesverbänden Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Thüringen einen gemeinsamen Veranstaltungsreihe zur Zukunft der Mobilität initiiert. Wir haben die gleichen Fragestellungen, warum können wir die nicht auch gemeinsam diskutieren? Wenn daraus ein gemeinsamer Vorstoß an die Bundespartei erwächst, hat dieser dann auch gleich ein anderes Gewicht. Wir brauchen mehr Kooperation, mehr gemeinsamen Spirit, mehr Vertrauenskultur. Das ist ein Auftrag an uns selbst.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.