SPD-Linke nach Europawahl: „Haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen.“
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Ein Tag nach dem schlechten Abschneiden der SPD bei den Europawahlen und der Bremer Bürgerschaftswahl ziehen Matthias Miersch, Chef der Parlamentarischen Linken, Partei-Vize Ralf Stegner und Juso-Chef Kevin Kühnert Bilanz. „Ob an der Nordsee oder im Allgäu, ob in Aachen oder Neuruppin: Überall vermissen die Menschen bei der SPD inhaltliche Klarheit und eine deutliche Kommunikation“, schreiben sie in einem Positionspapier mit dem Titel: „Politik heißt etwas wollen - Zeit für neuen Gestaltungswillen der SPD.“
Keinen Abo-Vertrag mit der Union
Dabei ist das Papier weder als Abrechnung mit der Parteispitze zu verstehen noch fordern die Autoren personelle Konsequenzen. Im Gegenteil: „Diskussionen um Köpfe öden auch uns an“, schreiben sie: „Wir haben vielmehr Lust auf zugespitzte Debatten über unseren künftigen Kurs.“ Anregungen hierzu geben die SPD-Linken auf knapp drei Seiten. Beginnend mit Bedingungen für die Fortsetzung der großen Koalition.
Noch vor Ablauf des Jahres fordern die Autoren ein konkretes Klimaschutzgesetz, dass es „uns als Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, unsere internationalen Zusagen einzuhalten“. Ebenfalls noch in diesem Jahr müsse das seit Jahren von der Union blockierte Berufsbildungsgesetz umgesetzt werden, das Azubis bei Bezahlung und Schutzrechten spürbar stärken soll. Zudem müssten die Grundrente und das Einwanderungsgesetz ohne Wenn und Aber durchgesetzt werden. „Wir können bei zentralen Themen keine Blockaden durch CDU und CSU mehr dulden“, stellen die Autoren klar. Die Groko müsse liefern, wenn die Koalition Bestand haben soll, warnen sie. „Wir haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen.“
Mehr Kapitalismuskritik wagen
Darüber hinaus fordern sie deutlich schnellere Fortschritte bei der Besteuerung multinationaler Konzerne und der internationalen Mindeststeuer: Hier dürfe die SPD nicht abwarten, sondern müsse gemeinsam mit anderen europäischen Staaten wie Frankreich, Spanien und Portugal vorangehen.
Aber auch jenseits der Regierungsarbeit habe die Partei Aufgaben zu erfüllen. Ein zentrales Element dabei sehen die Autoren in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus: Dieser sei „zu tief in die sensibelsten Bereiche unseres Zusammenlebens vorgedrungen“ und müsse zurückgedrängt werden. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche – von der Kita bis zur Pflege – sei das Gegenteil von Fortschritt. „Uns geht es anders als Union und FDP um Menschen, nicht um Märkte“, machen die Autoren in Abgrenzung zu anderen Parteien deutlich.
Progressives Bündnis links von der Union
Bezahlbare Mieten, auskömmliche Renten, ein Gesundheitssystem für alle, der Schutz des Weltklimas, ein Sozialstaat auf der Höhe der Zeit – all das könne nur durch einen handlungsfähigen Staat gegen Marktversagen und den tiefsitzenden neoliberalen Zeitgeist durchgesetzt werden. „Wir stehen als Gemeinwohlpartei gegen diesen organisierten Egoismus und das müssen wir glasklar, ohne Technokraten-Sprech und doppelten Boden vermitteln!“
Politisch durchzusetzen seien diese Ziele in einem progressiven Bündnis links der Union. Dazu müssten „alle fortschrittlichen Parteien – Grüne, Linkspartei und wir – ihre Hausaufgaben machen“, schreiben sie.
Revisionsklausel im Koa-Vertrag
Einen kritischen Blick werfen sie auch auf die Debatte um das Video des Youtubers Rezo. Es zeige exemplarisch die politische und kulturelle Herausforderung bei Fragen der Klima- und Netzpolitik. Hier werde zwar die Union als Hauptgegner wahrgenommen, doch zeige es auch, dass die SPD „nicht ernst genommen und schon gar nicht als Teil der Lösung betrachtet“ werde. Am Ende fordern sie, alle notwendigen Klärungen auf dem Bundesparteitag der SPD im Dezember vorzunehmen, denn dies könne keine Fraktion stellvertretend für die gesamte Sozialdemokratie tun.
„Es ist wichtig, dass die SPD jetzt ihre Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen kann. Die Union muss sich zu diesen Vereinbarungen bekennen. Die Revisionsklausel steht nicht umsonst im Koalitionsvertrag“, erklärte am Montag Matthias Miersch.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.