SPD im Osten: Allein auf weiter Flur
Weisflog
Am Abend des 11. Mai 2016 gaben Roland Fleischer und die Genossen der SPD-Bautzen auf. Zuvor hatten sie im Protokoll der wöchentlichen Bürgersprechstunde einmal mehr „kein Besuch“ vermerken müssen. „Schändlich“ nennt Fleischer die fehlende Resonanz auf die mit viel Mühe betriebene Bürgersprechstunde heute. Sechs Jahre lang hatten er und die Genossinnen und Genossen vor Ort Wählern eine Anlaufstelle geboten, Landtags- und gar Bundestagsabgeordnete eingeladen, um die SPD in Bautzen sichtbar zu machen – alles vergebens.
„Willkommen in der Peripherie“
„Unser Problem ist, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden“, sagt Fleischer, Chef der vierköpfigen SPD-Fraktion im Stadtrat von Bautzen. Bei der jüngsten Bundestagswahl holte die SPD in der 60 Kilometer östlich von Dresden gelegenen Stadt gerade noch
9,1 Prozent der Stimmen, 23 Prozentpunkte weniger als die AfD. „Willkommen in der Peripherie“, sagt Fleischer zu Begrüßung. Er lächelt dabei.
Das Hauptproblem der Genossen vor Ort: „Uns fällt es unglaublich schwer, junge Leute zu rekrutieren. Die meisten wandern ab“, sagt Fleischer. Mit den wenigen aktiven Mitgliedern des Ortsvereins etwas auf die Beine zu stellen, ist eine Frage des „Kräftepotenzials“, räumt er ein. „Wir brauchen Leute, junge Leute“, sagt Fleischer fast flehend. Der Mann ist 64.
Weiße Flecken auf der Landkarte
Bei der SPD im Burgenlandkreis, im Süden von Sachsen-Anhalt, sieht es nicht viel besser aus. Zwar hat die SPD dort in den vergangenen Monaten 21 Neumitglieder hinzugewonnen – nicht schlecht bei nur rund 200 Sozialdemokraten im Kreis. Zugleich müssen die örtlichen Genossen ein Wahlergebnis von 13 Prozent der Zweitstimmen verschmerzen. Ein „weißer Fleck“ auf der Landkarte der Sozialdemokratie sei seine Heimat, sagt der Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben, der auch Kreisvorsitzender der SPD ist. „Es gibt Orte, wo es nicht einen einzigen Sozi gibt“, klagt er. „Viele Menschen hier kennen nicht einen Sozialdemokraten persönlich.“ Das mache die Wählerbindung für seine Partei so schwer.
Doch auch inhaltlich klaffen Lücken, findet Erben: „Bei vielen Fragen sind unsere Leute nicht ausreichend sprechfähig gewesen“, sagt er mit Blick auf den Bundestagswahlkampf. Er meint damit vor allem die Asyl- und Flüchtlingspolitik. „Viele vermissten auch eindeutige Positionen in Sachen Innere Sicherheit“, kritisiert Erben weiter.
Falsche Themen, falsche Ansprache
Kay Burmeister, SPD-Chef im sächsischen Vogtlandkreis, sieht das ähnlich. In seiner Heimat ist die SPD bei der Bundestagswahl regelrecht abgestürzt: Fast zehn Prozentpunkte haben die Sozialdemokraten im Vergleich zu 2013 eingebüßt, landeten mit 11,4 Prozent der Zweitstimmen auf Platz vier. Burmeister glaubt, die SPD habe in Ostdeutschland teils auf die falschen Inhalte gesetzt. „Innere Sicherheit kam viel zu kurz“, sagt er. Auch die „Mietpreisbremse“ sei im Vogtland einfach kein Gewinner-Thema: „Das spielt hier für uns keine Rolle.“ Im ländlichen Sachsen sei Wohnraum alles andere als knapp, das Problem seien eher Abwanderung und Überalterung – auch für die SPD.
Dass die Sozialdemokraten Probleme damit haben, den Nerv der Menschen zu treffen und sich in deren Situation zu versetzen, sieht auch Uwe Barthel. „Die Menschen merken, wenn SPD-Politiker über Themen wie beispielsweise den Nachtzuschlag reden, mit denen sie selbst keine Erfahrungen haben“, sagt Barthel, Schlosser im Schichtdienst und SPD-Mitglied aus Niesky, gut 40 Autominuten von Bautzen entfernt. „Die SPD ist zwar immer noch eine Arbeiterpartei, die Arbeiterklasse als solche gibt es aber nicht mehr – auch nicht in der SPD“, sagt er nüchtern. Hinzu komme: „Erstens fehlt das Vertrauen, selbst etwas bewegen zu können, zweitens die Lust, sich selbst einzubringen. Dabei muss ich mich einbringen, wenn ich etwas verändern will“, so Barthel. So wie er sahen das vier weitere Genossen aus Niesky und traten in diesem Jahr in die Partei ein – immerhin.
Politik und Menschen zueinander bringen
Dass sich gerade auch die Mitglieder der Parteispitze häufiger in Orten wie Niesky zeigen sollten, wünscht sich Kay Burmeister. „Die SPD hat es schwer, in der Region sichtbar zu sein“, sagt der SPD-Kreischef aus dem Vogtland. Ein gutes Zeichen wäre es aus seiner Sicht, wenn prominente Sozialdemokraten künftig mehr Kleinstädte und Dörfer besuchten. „Es würde zeigen: Uns sind die Menschen auf dem Land nicht egal.“
Ein Vorschlag, der auch 500 Kilometer weiter nördlich, im Osten Vorpommerns, Anhänger findet. „Der einfache Mensch muss die Möglichkeit haben, mit Politikern ins Gespräch zu kommen. Wir müssen die Politik wieder näher an die Leute bringen“, ist sich Christopher Denda sicher. Der 27-Jährige ist Mitglied im Ortsverein von Anklam, wo die SPD zuletzt 12 Prozent der Zweitstimmen holte. Monatliche Praktikumstage von Mandatsträgern, Kabinettssitzungen an wechselnden Orten und auch tourende SPD-Vorstandssitzungen, verbunden mit Aktionen vor Ort könnten helfen, Politik und die „konkrete Lebenssituation der Menschen“ wieder näher aneinander zu bringen, so Denda.
Viele Aufgaben – kaum Genossen
In Vorpommern, wo einer wie Denda – der mit dem Slogan „Aus Liebe. Zu Anklam.“ für sich wirbt – als Hoffnungsträger gilt, kämpft die SPD mit denselben Problemen wie in den anderen Regionen Ostdeutschlands: „Es sind einfach zu wenig Schultern, auf die sich alles verteilt.“ Die monatliche Bürgersprechstunde, die Anwesenheit bei öffentlichen Veranstaltungen, die Arbeit in der Stadtvertretung und die Aktivitäten des Ortsvereins, all das bleibe an zu wenigen Leuten hängen. Dem eigenen Anspruch, auch außerhalb von Wahlkämpfen aktiv zu sein und wahrnehmbar zu bleiben, hecheln die Genossen vor Ort oft selbst hinterher. Ganz gleich ob in Bautzen, Niesky, Anklam, dem Vogt- oder dem Burgenland: Ohne die solidarische Unterstützung der Parteizentralen von Bundes- und Landes-SPD könnte ihnen schon bald die Puste ausgehen.