SPD-Erneuerung an der Basis: Alternative Wege und kreative Ideen
Dirk Bleicker
Marie Scharfenberg und Talita Wüst haben beide wenig Zeit. Die eine hat einen Job, bei dem sie manchmal auch spät abends und am Wochende arbeiten muss. Außerdem engagiert sie sich in der Geflüchtetenhilfe. Die andere bereitet sich gerade auf ihr zweites juristisches Staatsexamen vor – Probeklausuren an fast jedem Wochenende inklusive. Auf ihr parteipolitisches Engagement wollten die beiden trotzdem nicht verzichten, und haben sich deshalb im vorigen Frühjahr entschieden, im Doppelpack als stellvertretende Vorsitzende der SPD im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu kandidieren.
Job-Sharing im Kreisverband
Die Idee dieses „Job-Sharings“: Beide teilen sich den Posten und nehmen abwechselnd an Sitzungen und anderen Terminen teil, setzen dabei gemeinsam Schwerpunkte, aber auch eigene Themen und Projekte. Wenn die eine krank oder anderweitig verhindert ist, ist so eine Vetretung garantiert. Nach jeder Sitzung sprechen sich die beiden ab, damit die jeweils andere auch auf dem aktuellen Stand ist.
„Es braucht viel Vertrauen zueinander“, sagt Marie Scharfenberg. Nach einem guten halben Jahr habe sich das Verfahren eingespielt, obwohl die Vorbehalte in der Partei zunächst groß gewesen seien. „Kaum jemand hat uns gefragt, wie wir uns das Job-Sharing genau vorstellen. Stattdessen wurde uns von vielen erzählt, warum das nicht geht“, erinnert sich Scharfenberg. Dabei sei das ein Modell, das in der Wirtschaft und in Behörden gut funktioniere. „Die Vereinbarkeit von Partei und Berufs- und Privatleben ist ein großes Thema“, weiß Talita Wüst. „Wir wollen Mut machen, solche Modelle stärker auszuprobieren.“
Politik beim Abendessen
Politik als generationenübergreifendes Thema am Ende eines Tages – was in vielen Familien früher üblich war, hat die SPD im Berliner Stadtteil Schöneberg mit ihrem Veranstaltungsformat „AbendbRot“ aufgegriffen. In lockerer Atmosphäre werden Themen besprochen, die eine bestimmte Nachbarschaft betreffen. „Beim Essen kommt man besser ins Gespräch. Dadurch erreichen wir auch Leute, die sonst nicht zu SPD-Veranstaltungen kommen würden“, glaubt der Abteilungsvorsitzende Michael Biel.
Nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr stellten sich die Schöneberger im Hinblick auf ihre politische Arbeit neu auf. „Wir machen keine normalen Infostände mehr“, berichtet Biel. Stattdessen überträgt die Abteilung ihre Mitgliederversammlungen live auf Facebook. Dort schauen bis zu 800 Menschen zu. Deutlich mehr als bei einer klassischen Sitzung vor Ort anwesend sein könnten. „Die SPD muss sich weiter öffnen“, sagt Biel.
Die Abteilung ist inzwischen weder im Berliner Abgeordnetenhaus noch im Bundestag mit einem Abgeordneten vertreten. „Wir brauchten daher eine Art mobile Bürgersprechstunde“, sagt Biel. Die haben die Schöneberger mit ihrer „AnsprechBar“ geschaffen. Eine Art Infostand, aber ohne Kugelschreiber oder Gummibärchen. Stattdessen gehen die „Barkeeper“ offensiv auf die Bürger zu und fragen, was sie von der SPD vor Ort erwarten. Ein Format, das funktioniert: „Die Leute wollen politisch diskutieren.“
Open Space mitten in Erfurt
Open Space ist ein Veranstaltungsformat, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ohne eine genau vorgegebene Agenda offen diskutieren können. Der Ortsverein Erfurt-Altstadt hat das vor kurzem ausprobiert. Nicht in irgendeinem Hinterzimmer, sondern mitten in der Stadt. „Wir wollten mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen und sie fragen, was ihnen wichtig in Erfurt ist und was sie verändern möchten“, erzählt die Ortsvereinsvorsitzende Eva Nagler.
Die Erfurter Genossen suchten nach kreativen Möglichkeiten, um die Arbeit des Ortsvereins sichtbarer zu machen und direkt in Kontakt mit den Bürgern zu treten. Der Hirschgarten gegenüber der Thüringer Staatskanzlei gehört zu den beliebtesten Treffpunkten in der Erfurter Innenstadt. An einem Dienstag Ende Juni bleiben die Menschen stehen, um mit der SPD zu sprechen. Sie halten auf Pinnwänden fest, was ihnen an Erfurt gefällt, wofür sie sich engagieren, und was ihnen wichtig ist. Ein roter Briefkasten steht bereit, um anonym an die Stadtratsfraktion zu schreiben.
Vier Stadträte stellt der Ortsverein. Sie haben die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger für ihre politische Arbeit mitgenommen. Ein weiterer Open Space ist bereits für das kommende Jahr geplant. Außerdem gibt es Ideen, den roten Briefkasten als Form der Kontakaufnahme zu institutionalisieren.
Debattencamp in Franken
Nur eine Woche nach dem Debattencamp der Bundes-SPD in Berlin, fand gleich das nächste statt – diesmal in Nürnberg. Rund 100 Genossinnen und Genossen folgten der Einladung der SPD Mittelfranken, um am 17. November über die Erneuerung der Partei zu diskutieren. In zwei Runden konnten sie jeweils 40 Minuten an fünf Themen-tischen diskutieren.Die Ergebnisse wurden auf Flipcharts und Karteikarten festgehalten und im Anschluss präsentiert. Sie sollen nicht nur in die Arbeit der SPD vor Ort einfließen, sondern auch an die Bundespartei weitergeleitet werden. „Wir haben in den vergangenen Jahren nicht mehr klar genug gemacht, warum wir gewisse Dinge tun. Die Menschen haben das Vertrauen verloren, dass wir wissen, was sie bewegt“, gestand der Vorsitzende der mittelfränkischen SPD Carsten Träger selbstkritisch ein. Formate wie das Debattencamp könnten dies ändern.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo