SPD-Distrikt Heiligengeistfeld: Kirmes-Genossen
Sie sind Genossen. Sie leben in Wohnwagen und ziehen als Schausteller von Stadt zu Stadt. Seit 1985 sind sie in einem Ortsverein organisiert, mit einer Ausnahmegenehmigung des Parteivorstands. Denn in der SPD gilt das Wohnortprinzip. Genossen müssen sich in dem Ort organisieren, in dem sie wohnen. Aber Schausteller leben an ihrem Heimatort höchstens ein bis zwei Monate im Jahr. In Hamburg hingegen halten sie sich mehr als drei Monate auf, so lange wie nirgendwo sonst. Denn hier auf dem Heiligengeistfeld findet dreimal jährlich ein Volksfest statt, DOM genannt: im Frühjahr, im Sommer und im Winter. Dauer jeweils ein Monat. Heiligengeistfeld heißt deshalb der OV der Schausteller-Genossen.
22 Schulen in einem Jahr
„So meine Süßen, fertig“, schallt es von gegenüber herüber, dann beginnt wieder die Musik. Peer Nülken, Vorstandsmitglied, betreibt dort das Karussell Viva Mexico. Ein paar Stände weiter befinden sich Sascha Kirchheckers Glücksspielgeräte. Hinein in die Fetzen von Musik und die Schreckensschreie der Achterbahnfahrer mischt sich der Duft von Glühwein und Geschnetzeltem aus Benno Fabricius’ Bauernschänke. Schon Fabricius’ Eltern waren Schausteller, wie seine Groß- und Urgroßeltern. Das Herumziehen liegt ihm im Blut. „Ich habe in einem Jahr bis zu 22 Schulen besucht“, sagt er. Er schaffte trotzdem den Schulabschluss, lernte Großhandelskaufmann und machte sich als junger Mann mit einem Verkaufsstand für kandierte Früchte und Mandeln selbstständig. Daraus wurde im Laufe der Jahre die Bauernschänke mit 120 Sitzplätzen. Fabricius gehört zum Urgestein des Ortsvereins und ist seit vielen Jahren im Vorstand.
„Wir haben mit 20 Mitgliedern begonnen. Heute sind wir 128“, erzählt er stolz. Dahinter steckt viel Überzeugungsarbeit und das Wissen: Bei der SPD sind die Schausteller gut aufgehoben. Die Kontakte zur Hamburger Sozialdemokratie sind eng. Für die Ersten Bürgermeister gehört ein DOM-Besuch zum Pflichtprogramm. „Im Herzen sind Schausteller Sozialdemokraten“, sagt Dirk Sielmann, der Vorsitzende. Er erklärt das historisch: „Schausteller boten einfache Belustigungen für einfache Leute. Viele Schausteller kommen aus einfachen Verhältnissen und auch heute noch besuchen viele Familien mit Kindern den DOM, die nicht zu den Begüterten in Hamburg gehören.“
Größtes Volksfest im Norden
Der Vorsitzende ist als einziger kein Schausteller. Das ist Absicht. Der Distrikt wird von einem neutralen Außenstehenden geführt, um zu verhindern, dass sich individuelles wirtschaftliches Interesse mit politischem Engagement vermischt. Sielmann, SPD-Fraktionsmitglied in Hamburg-Mitte, ist im Hauptberuf Vorsitzender des Landesverbands der Kleingärtner. Die SPD-Schausteller lernte er kennen, als er eine ihrer Sitzungen leitete. Sielmann: „Das sind Typen, das sind Originale.“ 2002 wählten sie ihn zum Vorsitzenden und seitdem immer wieder. Gerade wurde er auf dem Winterdom mit 100 Prozent im Amt bestätigt.
Die Anfänge des Hamburger DOMs gehen bis ins Mittelalter zurück. Seit 1893 hat er seinen festen Platz auf dem Heiligengeistfeld. Er ist das größte Volksfest Norddeutschlands. Allerdings auch eines, dessen Bestand nicht selbstverständlich ist. Deshalb ist politisches Engagement wichtig. Sielmann: „Wer nicht solidarisch ist, kommt unter die Räder.“ Der OV bietet die Möglichkeit, an Themen dranzubleiben. In Hamburg sind das vor allem zwei: „Das Heiligengeistfeld soll nicht bebaut, sondern als Veranstaltungsort erhalten bleiben, und der DOM soll nicht privatisiert werden“, sagt Sielmann.
Müsste der DOM umziehen, wäre seine Attraktivität dahin. Würde die Organisation, die derzeit die Stadt übernimmt, privatisiert, stiegen die Mieten für die Schausteller und damit für die Besucher. Sielmann: „Der Charakter des Volksfestes ginge verloren.“ Zum Glück für die Schausteller hat sich die SPD-Bürgerschaftsfraktion im Mai klar gegen eine Privatisierung ausgesprochen.