SPD-Distrikt „Dockland“: Der digitale Ortsverein zum Mitnehmen
Wenn Nanna-Josephine Roloff zu einer Sitzung ihres Distrikts – so heißen in Hamburg die SPD-Ortsvereine – geht, klappt sie ihren Laptop auf. Roloff ist Co-Vorsitzende des Distrikts „Dockland“, des ersten digitalen Distrikts in der SPD. Benannt ist er nach einem Bürogebäude an der Elbe in der Nähe des Kreuzfahrt-Terminals im Hamburger Stadtteil Altona. Und der Name ist Programm. „Wir möchten ein Heimathafen für Menschen sein, die an Politik interessiert sind“, beschreibt Roloff das Selbstverständnis des digitalen Distrikts. „Jeder, der will, soll bei uns andocken können.“ Ob mit oder ohne Parteibuch spiele dabei erst mal keine Rolle.
Ein Parteibuch ist nicht nötig
Gegründet wurde der Distrikt „Dockland“ 2016 im Stadtteil Altona. Die Ursprungsidee, die Parteiarbeit in Hamburg stärker zu digitalisieren, geht auf den damaligen Landesvorsitzenden Olaf Scholz zurück. „Damals war das als reines Technikprojekt angelegt“, erinnert sich Sebastian Jahnz, der schon bei der Gründung dabei war. Inzwischen sei „Dockland“ aber sehr viel mehr. „Wir empfinden uns als Think Tank und wollen nicht bloß die gewohnte Parteiarbeit eins zu eins ins Internet übertragen.“ So ist „Dockland“ zwar ein regulärer Hamburger Distrikt mit nahezu allen Rechten und Pflichten eines Ortsvereins, doch wer mitmachen will, braucht dafür nicht unbedingt ein SPD-Parteibuch.
„Für uns ist wichtig, wer etwas macht, und nicht, wer Mitglied ist“, sagt Julius Ibel, der den digitalen Distrikt gemeinsam mit Nanna-Josephine Roloff als Doppelspitze führt. Obwohl das schon fast zu viel gesagt ist, denn die Trennung zwischen Funktionären und einfachen Mitgliedern will „Dockland“ bewusst aufbrechen. „Jede und jeder kann bei uns Verantwortung übernehmen, wenn sie oder er möchte“, sagt Julius Ibel.
Die Zahl von rund 20 festen Mitgliedern sei deshalb auch nicht wirklich aussagekräftig. „Wir sind ein Netzwerk von rund 100 Freunden, Unterstützerinnen und Interessierten innerhalb und außerhalb der SPD“, sagt Sebastian Jahnz. „Wir wollen Menschen einbinden, nicht Mitglieder werben.“
Von der Online-Petition zum Antrag
Wie gut das Einbinden klappt, war kurz vor Weihnachten zu sehen. Da hatte „Dockland“ zu einer digitalen Diskussion über die Frage „Wie viel Bewegung braucht eine Partei?“ eingeladen. In der Webkonferenz tummelten sich mehrere Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Die Idee dazu hatte jemand, der gar nicht Mitglied der SPD ist“, erzählt Julius Ibel. „Innerhalb von zwei Wochen haben wir sie dann mit einem Tool, das wir bisher nicht kannten, und zwei anderen Parteien umgesetzt.“
Wer bei „Dockland“ mitmacht, wolle aber nicht nur reden, betont Nanna-Josephine Roloff. „Wir sind themengetrieben“, erklärt sie. Jeder könne ein Thema vorschlagen – „pitchen“, wie es in der Sprache von Agenturen heißt – das dann diskutiert und im besten Fall zu praktischer Politik werde. „Was wir beschließen, kann direkt Teil des Antragsbuchs für den Bundesparteitag werden“, sagt Sebastian Jahnz. Nicht immer seien Anträge allerdings der beste Weg. Als Nanna-Josephine Roloff erreichen wollte, dass Tampons und Binden günstiger werden, startete sie kurzerhand mit einer Mitstreiterin eine Online-Petition – mit Erfolg. Die sogenannte Tamponsteuer sank vor einem Jahr von 19 auf sieben Prozent. „Einen Antrag habe ich parallel aber trotzdem geschrieben“, erzählt Roloff.
Update für die Demokratie
„Die Demokratie braucht dringend ein Update“, meint sie. Den digitalen Distrikt sieht sie als Möglichkeit, „das verkrustete Bild von Politik aufzubrechen“. Nicht mehr zeitgemäß ist aus ihrer Sicht auch die örtliche Zuordnung zu einem Ortsverein. „Bei uns kann man von überall aus mitmachen“, betont Sebastian Jahnz. Das Konzept werde dem modernen Leben gerechter. Oder anders ausgedrückt: „‚Dockland‘ zieht immer mit, egal, wohin man geht.“
„Eines unserer aktivsten Mitglieder lebt zurzeit in Kanada“, berichtet Julius Ibel. Das funktioniere, trotz Zeitverschiebung, sehr gut. Und doch könne das Digitale nicht alles ersetzen. „Wir trinken ja auch gerne mal ein Bier zusammen“, erzählt Ibel. Am Computer fehle da schon etwas. Er plädiert deshalb für „eine hybride Struktur der Parteiarbeit“. Ausgerechnet Corona könnte sich dafür als ein Türöffner erweisen. „Die vergangenen Monate haben die technische Hemmschwelle in der SPD deutlich herabgesetzt“, hat Sebastian Jahnz beobachtet. Das könne eine Chance für eine neue Form der Parteiarbeit sein. „Wir würden uns freuen, wenn es eines Tages mehrere ‚Docklands‘ überall in Deutschland gibt.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.