SPD-Debattencamp: „Was für ein ereignis- und erkenntnisreicher Tag.“
Felix Zahn/photothek.net
17:15 Das Debattencamp 2020 endet
„Wow, was für ein ereignisreicher und erkenntnisreicher Tag!“ – das ist der letzte Satz der SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken nach mehr als sieben Stunden digitalem Debattencamp. Sie empfinde „ganz große Dankbarkeit für wahnsinnig viele Impulse“, sagt sie. Inhaltlich bleibt vor allem der Kampf gegen Rassismus hängen: „Mir ist es ein großes Anliegen, dass sich alle, die in Deutschland leben, auch als Teil der Gesellschaft fühlen.“
Anknüpfend an die Rede des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz fordert Esken: „Dass man Vollzeit in Deutschland arbeiten kann und das Geld reicht nicht, um zu leben und die Familie zu ernähren, darf uns nicht ruhen lassen. Deswegen brauchen wir armutsfeste Löhne und eine armutsfeste Rente.“
Auch ihr Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans geht „mit einem guten Gefühl raus“ und konstatiert: „Diese Welt ist insgesamt extrem wohlhabend. Sie könnte insgesamt Wohlstand für alle sichern. Deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wenn die einen nach ihrem Versagen noch 2.500 Euro pro Tag bekommen und die anderen für unseren Wohlstand unter schlimmsten Bedingungen schuften.“
Für ihn ist daher klar: „Das Konservative ist nicht die richtige Politik. Das ist der falscheste Ansatz für die Zukunftssicherung überhaupt. Wir wollen im Wandel für Sicherheit sorgen. Das ist das, was Sozialdemokratie ausmacht.“ Für das Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl im kommenden Jahr bedeutet das, dass es sich an den konkreten Lebenssituationen bestimmter Gruppen orientieren solle. „Das jetzt so zu bereichern mit dem, was wir heute gehört haben, gibt eine richtig gute Mischung“, verspricht Walter-Borjans.
„Starke Demokratie, starke Gesellschaft“
Mo Asumang weiß, was Racial Profiling bedeutet. Als die afrodeutsche Moderatorin mal in Kreuzberg unterwegs war, wurde sie von der Polizei verfolgt. „Als ich stürzte, traten die Polizisten auf mich ein“, erzählt Asumang am Samstagnachmittag im Panel „Starke Demokratie, starke Gesellschaft“. Warum sie verfolgt wurde, sagten ihr die Polizisten nicht.
„Bei People of Color warden deutlich häufiger Personenkontrollen durchgeführt als bei Weißen”, sagt Tobias Singelnstein. Der Kriminologe von der Ruhr-Universität Bochum hat Menschen befragt, die von Polizeigewalt betroffen waren. Das Ergebnis der – nicht repräsentativen – Erhebung: „Bei der Polizei gibt es durchaus offenen Rassismus.“ Entscheidender könnte aber die „unbewusste Diskriminierung“ sein, die von Praktiken wie dem Racial Profiling, der Personenkontrolle aufgrund äußerer Merkmale, ausgehe. „Da gibt es häufig wenig Sensibilität bei Polizisten“, sagt Singelnstein.
„Ich bin mit meinen 59 Lebensjahren exakt zweimal anlasslos kontrolliert worden“, berichtet Saskia Esken. „Wir müssen deutlich machen, dass die Realitätswahrnehmung in verschiedenen Gruppen eine andere ist“, sagt die SPD-Chefin. Im Sommer hatte Esken eine Debatte über Rassismus bei der Polizei angestoßen und eine Studie zum Thema gefordert. In einem Maßnahmenkatalog, den der Kabinettsausschuss der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus Ende November vorgelegt hat, ist eine solche Studie enthalten.
„Die Äußerung von Saskia Esken hat da viel bewegt. Ich bin ihr sehr dankbar“, sagt deshalb auch Farhad Dilmaghani, Gründer und Vorsitzender des Vereins „DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik“. Doch auch wenn nicht erwartet hat, „dass die Bundesregierung zum Ende der Legislatur nochmal einen solchen Klimmzug macht“, kritisiert Dilmaghani, der Maßnahmenkatalog sei in vielem zu unspezifisch. „Mehr war mit der CDU wohl nicht herauszuholen“, mutmaßt er. „Ich hoffe aber sehr, dass da noch nachgeschärft werden kann.“
SPD-Chefin Saskia Esken verweist in dem Zusammenhang auf den „Pakt für Zusammenhalt“, den die Partei nach den Ereignissen am Reichstag am Rande der Corona-Demonstrationen Ende August vorgelegt hat. „Er wird auch Teil unsere Wahlprogramms sein“, kündigt sie an. Wichtig sei, schließt Mo Asumang die Diskussion, nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern sich zu fragen, warum sie so handelten wie sie handeln. „Begegnungen sind die beste Möglichkeit, wörtlich zu leben.“
Meetup „Solidarische Altersversorgung“
Die gesetzliche Rente stärken und zu einer Erwerbstätigenversicherung ausbauen, darum geht’s beim Meetup „Solidarische Altersversorgung“ der Arbeitsgemeinschaft der Seniorinnen und Senioren in der SPD (AG SPD 60 plus). Mit dabei: der Rentenexperte Samuel Beuttler-Bohn und Friedhelm Hilgers, Mitglied des Bundesvorstandes der AG 60 plus, sowie die Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe und Lothar Binding. Kiziltepe betont, dass alles, was jetzt in der Rentenpolitik entschieden wird, die junge Generation betreffe. Die Versprechen der Teilprivatisierung der Altersvorsorge hätten sich nicht erfüllt, kritisiert sie. Im Gegenteil aber habe sich gezeigt, dass das umlagefinanzierte, gesetzliche Rentensystem demografie- und krisenfest sei. Für sie gilt: „Die erste Säule der Altersvorsoge muss den Lebensstandard sichern, Säule zwei und drei müssen on top sein“.
Auch Binding wirbt für eine Erwerbstätigenversicherung für alle. Immer wieder sei vom österreichischen Modell die Rede. Der Vorteil sei, dass dort die Arbeitgeber etwas mehr einzahlen als die Erwerbstätigen. Der Nachteil, dass man erst nach 15 Jahren einen Anspruch habe, in Deutschland bereits nach fünf Jahren. Sich am österreichischen Modell zu orientieren, dafür spricht auch Hilgers. Das Drei-Säulen-Modell sei ein Irrweg: Die Arbeitgeber sparen an Sozialversicherungsbeiträgen, Arbeitnehmer*innen bleibt die Unsicherheit der Finanzmärkte. Die Riesterrente dürfe für die Zukunft nicht mehr akzeptiert werden, sagt er.
Für Beutler-Bohn ist die Höhe der Löhne entscheidend. Eine gute Rentenpolitik beginnt für ihn deshalb am Arbeitsmarkt. Den Mindestlohn anheben auf mindestens 12 Euro, vor allem aber tarifgebundene und sozialversicherungspflichtige Arbeit stärken, das sorge für gute Löhne und gute Absicherung. Für ihn sei eine leistungsfähige Erwerbstätigenversicherung für alle, also auch Selbstständige und Beamte das Ziel.
Binding stimmt zu. Es müsse klar sein, dass Beamtinnen und Beamte alle alten Rentenansprüche behalten. Da müsse es ein Übergangsmodell geben. Erst die nachfolgenden Generationen würden einbezogen, so Binding. „Wir wollen Beamte nicht arm machen, sondern das Rentensystem zukunftssicher.“
„Die Hälfte der Macht – Frauen in Führung“
Die Frage, warum mehr Frauen in die Parlamente müssen, kann Klara Geywitz ganz einfach beantworten. „Wenn 50 Prozent der Bevölkerung Frauen sind, müssen auch 50 Prozent von ihnen die Entscheidungen treffen“, sagt die stellvertretende SPD-Vorsitzende. In Brandenburg trieb Geywitz deshalb das bundesweit erste Paritätsgesetz voran, das vor einigen Wochen für verfassungswidrig erklärt wurde. Ein Rückschlag, wie Geywitz zugibt, „aber wir werden weiter nach einem Weg suchen, wie künftig mehr Frauen in den Parlamenten vertreten sein können“.
Für die Vorstände von Unternehmen wurde dieser Weg bereits gefunden. In Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern soll künftig mindestens eines davon eine Frau sein. Darauf hat sich Ende November eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung geeinigt. „Die Vorstandsquote war lange eine heilige Kuh“, erinnert Monika Schulz-Strelow, Präsidentin des Vereins „FidAR“ – Frauen in die Aufsichtsräte. Viel zu lange hätten Unternehmen nicht erkannt, dass sie Frauen in die Vorstände holen müssten. „Das war auch ein Versagen der Aufsichtsräte.“
Dabei würden Unternehmen sehr von Frauen in Führungspositionen profitieren, wie Jasmin Arbabian-Vogel, die Präsidentin des Verbands Deutscher Unternehmerinnen, betont. Zwar hätten Unternehmen, egal ob sie von Frauen oder von Männern geführt werden, stets das Ziel, erfolgreich zu sein. „Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens hängt aber davon ab, wer dort arbeitet“, so Arbabian-Vogel. „Wer divers aufgestellt ist, erzielt bessere Ergebnisse.“ Und wer „modern aufgestellt“ sei, sei auch als Arbeitgeber attraktiver.
Dass die Digitalisierung die Gleichstellung vor neue Herausforderungen stellt, betont SPD-Vize Klara Geywitz. Am Vorabend des Debattencamps hat sie in einen digitalen „Roten Salon“ mit rund 200 Genossinnen diskutiert, wie eine gute digitale Beteiligung von Frauen aussehen sollte. Digitalen Diskussionen in der SPD seien häufig sehr männerdominiert, hat Geywitz festgestellt. „Wir müssen Digitalisierung und Gleichstellung zusammendenken“, sagt sie deshalb.
„Studium oder Ausbildung finanzieren? Unsere Vision eines neuen BAFÖGS“
Vor fast 50 Jahren, am 1. September 1971, trat auf Initiative einer SPD-geführten Bundesregierung das BAFÖG in Kraft. Ein großer Fortschritt für viele Studierende, insbesondere aus nicht-akademischen Haushalten. Darüber wie ein halbes Jahrhundert später ein zeitgemäßes BAFÖG aussehen könnte, diskutierten die Teilnehmer*innen eines MeetUps. Katja Urbatsch, Gründerin und Geschäftsführerin von Arbeiterkind.de, forderte: „Junge Menschen müssen schon vor Beginn des Studiums wissen, wie viel Geld sie bekommen. Das muss dann auch regelmäßig bekommen.“
Zudem monierte Urbatsch, dass viele Kosten wie die für den enorm gestiegenen Semesterbeitrag nicht im BAFÖG eingepreist seien. Somit entspreche dieses nicht mehr den realen Ansprüchen. Hauke Bruns, Sozialreferent des AStA an der Uni Göttingen, wies darauf hin, dass nicht einmal 15 Prozent aller Studierenden BAFÖG bekämen. Zudem seien viele BAFÖG-Ämter nicht auf die große Unsicherheit und Veränderungen im Studienbetrieb durch Corona eingestellt gewesen.
Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied des Parteivorstandes, ging direkt auf Urbatschs Äußerungen ein. Ihr Satz „Mit dem BAFÖG muss man rechnen können“ habe eine Gedankenspirale in Gang gesetzt. „Wir wollen, dass mehr Leute damit rechnen können und dass die Leute ihren Rechtsanspruch darauf auch realisieren können“, sagte er.
Von Aluhut bis Reichskriegsflagge – wie Corona-Leugner*innen unsere Demokratie angreifen
Karolin Schwarz, Expertin für rechte Chatgruppen, spricht von einer „Operation am offenen Herzen“. Die Lage ist ernst, wenn es um Verschwörungstheorien und die Gefahr für die Demokratie geht. Lars Klingbeil hätte sich gewünscht, dass man über dieses Thema nicht reden muss, sagt er. Beim Debattencamp will SPD-Generalsekretär wissen, was es mit der selbsternannten Querdenker-Szene auf sich hat, warum es längst nicht mehr um die Kritik an der Corona-Politik geht und vor allem, wie man dagegen vorgehen kann? Einerseits gebe es eine breite Unterstützung für die Corona-Maßnahmen in der Bevölkerung, andererseits würden die Gegner immer lauter und radikaler, so Klingbeil.
Für Schwarz und Sozialpsychologin Pia Lamberty sind diese Entwicklungen nicht überraschend. Ein Drittel der Bevölkerung glaubte schon vor der Pandemie an Verschwörungsmythen, im Zusammenhang mit der Pandemie seien es ein Viertel, sagt Lamberty. Schade sei, dass manche Themen jetzt erst beachtet und so lange belächelt wurden, sagt Schwarz und verweist auf den Anschlag in Hanau im Februar, also noch vor der Pandemie. Außerdem sei in der Anti-Impfszene der Judenstern schon längst verbreitet gewesen. Bei Verschwörungsmythen gehe es Bewegungen wie QAnon darum, gezielt Falschmeldungen zu verbreiten, um die Gesellschaft zu destabilisieren. Nicht selten gehe es und Macht und finanzielle Interessen, erklärt Schwarz.
Wie man mit Verschwörungstheoretiker*innen umgehe, will Klingbeil wissen. Für Lamberty macht es einen Unterschied, ob man im privaten mit ihnen spricht oder öffentlich. Eins sei klar: Man kann nicht mit jemanden reden, der oder die Politik als das absolut Böse definiere. Verschwörungsglaube gehe mit Wut und Ärger einher, erklärt Schwarz. Wichtig sei es, den Zivilprotest dagegen zu unterschützen.
Im Umgang mit Verschwörungsmystiker*innen nehme sie große Hilflosigkeit und Überheblichkeit wahr, sagt Lamberty. Sie warnt Politik, Medien und Justiz, Anhänger und Influencer aus diesen Bewegungen als geleichwertige Gesprächspartner*innen anzuerkennen. Schwarz fordert vor allem eine konsequente Beobachtung und Verfolgung im Internet. Damit müsse man sich endlich auseinandersetzen. Es gebe nicht das reale Leben auf der einen und das Internet auf der anderen Seite.
Auch Klingbeil sieht die Gefahr. Erschreckend sei, wie stark Personen attackiert würden. Und die Politik sorge sich zunehmend über die Sicherheit der Impfzentren. Es werde keinen Impfzwang geben aber „wir müssen die Hegemonie über dieses Thema gewinnen“, sagt er.
Beide Expertinnen sind sich einig, dass vor allem der Opferschutz gestärkt werden müsse. Dazu brauche es eine stabile Förderung, sagt Lamberty. Besonders seien jedoch die Sicherheitsbehörden gefragt, die Gefahr ernst zu nehmen. Verstöße auch im Internet müssten deutlich stärker als bisher bekämpft werden.
Klingbeil stimmt zu. Mehr politische Bildung, mehr Opferschutz, aktivere Strafbehörden und am Ende auch eine engagierte Zivilgesellschaft. Klingbeil: „Die Vernünftigen müssen viel lauter werden.“
„Demokratische Gestaltung des digitalen Wandels“
Wie kann die Digitalisierung so reguliert werden, damit sie möglichst allen nutzt? Darüber diskutieren die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die Bundestagsabgeordnete Elvan Korkmaz-Emre und der Autor Sascha Lobo. Zeitweise werden Thomas Gegenhuber, Juniorprofessor für Digitale Transformation an der Leuphana Universität Lüneburg, und Fabio Chiusi, Projektmanager bei „AlgorithmWatch“ zugeschaltet.
„Die Digitalisierung ist längst da“, sagt Elvan Korkmaz-Emre. Allerdings müsse sie nun auch in den Köpfen ankommen. „Die Frage ist: Lassen wir uns überrollen oder gestalten wir sie? Ich bin fürs Gestalten.“ Wie aber soll das konkret aussehen? Einen Vorschlag hat Thomas Gegenhuber. Er plädiert für genossenschaftliche Plattformen und dafür die Open-Source-Strategie, also die Verfügbarkeit von Software-Quelltext für jede*n, zu stärken.
„Plattformen sind Infrastrukturen“, erinnert Korkmaz-Emre. Sie müssten also dem Gemeinwohl dienen. Dafür allerdings müsse die Politik den Rahmen setzen. Es müsse auch klar sein, was mit den Daten der Nutzer*innen passiere. „Bisher wurde kein geeignetes Instrument zur Regulierung gefunden“, sagt allerdings Sascha Lobo. Ein Problem sei die starke Monopolisierung im digitalen Bereich. Diesen Strukturen müsse eine Alternative entgegengesetzt werden.
„Regulier sie, bevor sie dich regulieren“, gibt Saskia Esken mit Blick auf die digitalen Plattformen als Losung aus. Dass das möglich sei, habe die Datenschutzgrundverordnung auf europäischer Ebene gezeigt. Entscheidend sei, dass die Digitalisierung gesellschaftliche Probleme nicht verschärfe, sondern löse. „Wir sind da ziemlich wild entschlossen.“
„Super oder Spreader? Wo steht die Generation C – und was steht ihr bevor?“
„Junge Menschen verlieren wertvolle Zeit in ihrem Leben und Perspektiven für die Zukunft“, referiert Lisi Maier, Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendringes, über die Auswirkungen der Corona-Krise. Die Situation sei daher belastend für sie. 65 Prozent der 15-27-Jährigen gaben laut einer Studie an, dass ihre Ängste und Sorgen bei den Entscheidungsträger*innen zu wenig Gehör finden.
Durch die Krise fehle es an Freiwilligendiensten, an Präsenzangeboten in der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch an der notwendigen technischen Ausstattung im privaten Umfeld. Insbesondere für benachteiligte junge Menschen habe sich die Situation durch Corona weiter verschärft. Daher forderte Maier gezieltes Handeln für junge Menschen. Dies beinhalte ein Recht auf Ausbildung und gezielte Unterstützung in Übergangsphasen, gute Infrastruktur in der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch die Bedarfe junger Menschen in den Blick zu nehmen und sie in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Niklas Förster, Betriebsrat und IGBCE-Mitglied, warnt vor einem drohenden Wettbewerb um Ausbildungsplätze im kommenden Jahr. Verlierer*innen könnten dann schlechter gestellte junge Menschen sein, denen es an digitaler Infrastruktur und Unterstützung zu Hause fehle. Er plädiert daher für mehr Solidarität unter den Betrieben, um eine höhere Zahl an Ausbildungsplätzen gewährleisten zu können. Zusätzliche Anreize könne der Staat schaffen, beispielsweise durch finanzielle Zuschüsse von Sozialabgaben.
„Ich kann da nahtlos an euch anschließen“, reagiert die designierte Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal auf ihre beiden Vorredner*innen. Es brauche ein „unverbrüchliches Versprechen der sozialen Sicherheit“, das vor allem für junge Menschen gelten müsse, sagt Rosenthal. Sie fordert daher eine Ausbildungsgarantie, aber auch eine Jobgarantie. Zusätzlich seien massive Investitionen notwendig, in den ÖPNV, aber auch in die digitale Infrastruktur an Schulen.
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli, die den Programmteil zum Thema Jugendpolitik leitet, räumt ein, dass es in der Krise versäumt worden sei, junge Menschen in ausreichend zu beteiligen. „Ich bin in die SPD eingetreten, weil ich es leid hatte, dass über mich, aber nicht mit mir gesprochen wurde“, sagt sie. Deswegen habe sie in der Krise einen jungen Gewerkschaftsrat eingerichtet, um auch mit den Betroffenen zu reden. Midyatli sprach sich für eine höhere Mindestausbildungsvergütung aus. Ebenso positiv begegnete sie der Forderung, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken. Sie forderte aber auch: „Schaut euch an, mit welchen Mehrheiten wir das durchsetzen können!“
„Solidarität in Zeiten von Corona“
Wird die Corona-Krise die Gesellschaft zusammenschweißen oder auseinanderreißen? Gemeinsam mit verdi-Vizechefin Andrea Kocsis und dem Historiker Dietmar Süß diskutiert SPD-Parteivize Hubertus Heil über Solidarität in Zeiten von Corona. Dabei erinnert Süß an Kurt Eisner, der seiner Zeit den Solidaritätsbegriff als Baumeister einer neuen Gesellschaftsordnung beschrieb und der wie kein anderer die Sozialdemokratie geprägt hat. Der gleichzeitig aber auch Ausdruck politischer Kämpfe um Verteilungsfragen und Fragen sozialer Ungleichheit sei.
Um Verteilungsfragen ging es auch bei den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst. Andrea Kocsis berichtet von einem hohen Mobilisierungsgrad durch die Digitalisierung. In beiden großen Tarifrunden hätten so viel mehr Menschen teilgenommen als früher. Und auch wenn das Pflegepersonal besonders im Vordergrund stand, habe es eine große Zustimmung für das Ergebnis gegeben. Für sie ein Zeichen großer Solidarität, betont sie.
Für Bundesarbeitsminister Heil zeigt sich „in der Krise auch der Charakter“. Gemeinsam mit verdi kämpfe er in der Pflege für einen Tarifvertrag, den er allgemeinverbindlich erklären kann. Denn es müsse mehr für das Pflegepersonal geben als Applaus. Insgesamt sehe er bei systemrelevanten Berufen deutliches Verbesserungspotenzial.
Es brauche Mitgefühl und Empörung, um den Mangel an Solidarität in der Gesellschaft zu sehen, sagt Heil. Als Beispiel verweist er auf die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Er sei froh, dass in der kommenden Woche das Arbeitsschutzkontrollgesetz den Bundestag passiere.
Man müsse diese Auseinandersetzungen jetzt führen, ist Heil überzeugt. Politisch sei es lebensnotwendig, eine realistische Zuversicht geben, dass man die Gesellschaft zum positiven ändern kann. Süß betont, dass Solidarität „keine einheitliche Harmoniesoße“ sei. Entscheidend sei die Frage: Für wen streiten wir eigentlich in der Krise? In den 1990er Jahren hatte der Begriff keine Hochkonjunktur, umso wichtiger sei es, ihn in der Krise zu stärken.
„Neue Chance für eine gerechtere Welt?“
Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans plädiert dafür, dass Wohlstand und Anstand für ihn zusammengehören. Das umfasse zum einen die globale Gerechtigkeit: „Wir müssen uns auch bewusst sein, dass unser Wohlstand nur so hoch ist, weil andere für uns arbeiten. Deswegen sind 0,7 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit eigentlich noch zu wenig.“ Es gehe aber auch um generationenumfassende Gerechtigkeit.
An diesem Punkt kommt Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future ins Spiel. Sie warnt: „Die ökologische Frage wird soziale Spaltungen hervorrufen, wenn wir sie nicht lösen.“ Die Klimakrise sei eine riesige soziale Krise, die weltweit soziale Ungleichheiten verschärfe, aber sich auch regional auswirke. Gleichzeitig biete der Kampf gegen den Klimawandel auch die Chance, erstmals regionalen und globalen Wandel sozial gerecht zu gestalten.
Das ist auch der Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes Sharan Burrow wichtig. Schon vor Corona habe die Globalisierung auf Profite durch Ausbeutung beruht. Durch Corona und die Klimakrise sei dieser Mechanismus noch einmal verschärft worden. Daher plädiert sie: „Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag.“ Deutschland sei insofern Vorreiter*in mit seiner „wunderbaren Tradition des sozialen Dialogs“.
Für Marcel Fratzscher, den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ist eine neue Balance zwischen Markt und Staat notwendig. „Wir brauchen einen guten Staat, der das reguliert, was Schaden anrichtet“, sagt er. Das zeige sich aktuell auch während der Corona-Pandemie. Diejenigen Länder mit einem starken Staat kämen besser durch die Krise. Das müsse die Lehre aus der Pandemie sein. Gleichzeitig brauche es mehr Offenheit und stärkere multilaterale Organisationen.
Olaf Scholz: „Wir haben den Plan für die Zukunft.“
In seiner ersten Rede als SPD-Kanzlerkandidat auf Bundesebene schlägt Olaf Scholz den Bogen von der Corona-Krise zu den Herausforderungen für die kommenden Jahre. Dabei stellt er für die SPD klar: „Wir sind nicht bei denen, die sich für etwas Besseres halten.“ Zum ausführlichen Bericht geht es hier.
10:35
„Heute ist der Tag für die Mitglieder. Nutzt ihn!“, sagt Lars Klingbeil. Aus Sicht des SPD-Generalsekretärs ist das Debattencamp „ganz klar das Highlight im Programmprozess“, also auf dem Weg zum Programm für die Bundestagswahl. „Wir schließen uns nicht ein und diskutieren im Hinterzimmer.“
„Ein bisschen aufgeregt“ sei er schon, gibt Klingbeil zu. Ein rein digitales Debattencamp „ist ein Experiment“. „In der Digitalisierung liegt eine Chance“, ist ich Klingbeil jedoch sicher. „Die wollen wir nutzen.“
10:11
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans betreten die Bühne. „Hoffentlich habt ihr euch genug zu essen und zu trinken bereitgestellt“, sagt Saskia Esken. Es werde schließlich ein langer Tag. „Egal, ob auf dem Sofa oder am Küchentisch – überall kann man mitmachen“, sagt Norbert Walter-Borjans. Erste Tweets von Teilnehmer*innen zeigen das.
10:01
Moderatorin Tanja Hille eröffnet von der Hauptbühne im Willy-Brandt-Haus aus das Debattencamp. Sie erklärt, wie der Tag abläuft und wie sich jede*r – Genoss*in oder nicht – an den Diskussionen beteiligen kann. Wer sich in den sozialen Medien beteiligen will, sollte den Hashtag #spddc20 benutzen.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.