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SPD-Chef Gabriel: Merkel muss in der Flüchtlingspolitik liefern

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat von Bundeskanzlerin Angela Merkel Ergebnisse in der Flüchtlingspolitik gefordert. Konkret nannte er die Sicherung der EU-Außengrenzen, Flüchtlingskontingente in der EU und Hilfe in den Krisenregionen des Nahen Ostens. Die Zuwanderung soll gebremst werden.
von Lars Haferkamp · 14. Januar 2016
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Nach der Jahresauftaktklausur der SPD-Spitze in Nauen hat Parteichef Sigmar Gabriel konkrete Erwartungen an den Koalitionspartner formuliert. „Was nicht geht ist, dass Frau Merkel sich für die Einladung von über einer Million Flüchtlingen aus dem arabischen Raum feiern lässt, erklärt wir schaffen das – und dann die CDU sich verabschiedet aus der Verantwortung für eine nachhaltige Integration“, kritisierte der SPD-Chef.

Gelingen könne die Flüchtlingspolitik nur, so Gabriel, „wenn wir nicht nur diesen Satz, ‚Wir schaffen das’ in die Welt setzen, sondern auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Sonst wird aus dem Satz ‚Wir schaffen das’ ganz schnell der Satz ‚Ihr schafft das schon’ und damit darf man die Gesellschaft nicht alleine lassen.“

Gabriel: Möglichkeiten zur Integration „nicht überfordern“

„Voraussetzung“ für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge ist für den SPD-Vorsitzenden „die Reduktion der Geschwindigkeit der Zuwanderung im laufenden Jahr“. Man dürfe sich „keine Illusionen machen“, was an Integration „leistbar ist“. Gabriel verwies auf die 300.000 neuen Schüler, die allein im letzten Jahr durch die Flüchtlingszuwanderung in deutsche Schulen gekommen seien. Deutschland dürfe seine „Möglichkeiten nicht überfordern“.

Zugleich kritisierte Gabriel den Vorschlag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Bundeswehr im Innern einzusetzen, um die Flüchtlingskrise besser bewältigen zu können. Das sei weder notwendig, noch trage es zur Beruhigung der Bevölkerung bei. Im übrigen sei es „verfassungswidrig“.

SPD-Chef wirft Union „Propaganda“ vor

Gabriel wies Kritik aus der Union, die SPD verzögere wichtige Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik als „Propaganda“ zurück.  „Die Union ist nicht in der Lage“ einen Vorschlag für die Regelung des Familiennachzugs zu machen, trotz klarer Verabredung in der Koalition.  Die Bevölkerung erwarte zurecht gemeinsames Handeln der Regierungsparteien, aber keine Stimmungsmache vor den Landtagswahlen. „Die Union muss sich entscheiden, was sie will“, so Gabriel: „gemeinsames Regierungshandeln oder Wahlkampf bis zum 13. März“.

In der Flüchtlingspolitik stellte Gabriel den Beschluss des Parteivorstandes über einen „Integrationsplan für Deutschland“ vor. Bis jetzt sei die „Jahrzehntsaufgabe der Integration noch nicht im Ansatz richtig angepackt“, man habe lediglich Obdachlosigkeit der Flüchtlinge vermieden. Für eine erfolgreiche Integrationspolitik sei ein „handlungsfähiger und starker Staat“ notwendig, der die öffentliche und die soziale Sicherheit gewährleiste.

Mehr Erzieher, Lehrkräfte und Sozialarbeiter

Gabriel erläuterte die Vorschläge der SPD. Sie sehen 80.000 zusätzliche Kita-Plätze und 20.000 zusätzliche Stellen für Erzieherinnen und Erzieher vor, 25.000 zusätzliche Lehrkräfte und auch mehr Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau sollen um fünf Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre aufgestockt werden. Anerkannte Flüchtlinge, die über kein eigenes Einkommen verfügen, sollen eine zeitlich befristete Wohnsitzauflage bekommen.

SPD-Generalsekretärin Katharina Barley stellte auf der Pressekonferenz in Nauen die Beschlüsse der SPD zur Kriminalitätsbekämpfung vor. In diesem Zusammenhang sprach sie auch die Kriminalität von Migranten an. „Es gibt auch Menschen die hierher kommen, um in erster Linie Straftaten zu begehen.“ Wer sich konsequent nicht rechtstreu verhalte, „muss unser Land verlassen“, so Barley.

Barley: Frauen besser schützen – Kampf gegen Rechts

Sie betonte, die SPD habe tausende zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in der großen Koalition herausverhandelt. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere müsse jetzt auch liefern. Die Lage bei den Rückführungen abgelehnter Asylbewerber kritisierte Barley als nach wie vor „unbefriedigend“. Es seien „Rücknahmeabkommen mit Marokko und Algerien nötig“.

Wichtig für den besseren Schutz von Frauen sei, dass „Begrapschen“ künftig ein „ausdrücklicher Straftatbestand“ werde. Bisher seien solche Übergriffe oft nur als Beleidigung strafbar gewesen. Barley forderte, dass Integrationskurse künftig Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung stärker thematisieren sollten.

Zugleich stellte Barley den Beschluss des SPD-Vorstands „Demokratie stärken – Kampf gegen Rechts“ vor. Er sieht unter anderem vor, dass rechtsextreme Straftaten künftig besser erfasst und durch Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in den Bundesländen besser bekämpft werden. Die SPD fordert 12.000 zusätzliche Stellen bei den Polizeien von Bund und Ländern bis 2019.

SPD will „Modernisierungspakt für Deutschland“

Ein weiteres wichtiges Thema der SPD-Klausur war die Wirtschaftspolitik. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte „dringend einen neuen Anlauf für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft“. Die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland komme „nicht automatisch“. Nötig sei ein neuer Anlauf für Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung von Arbeitsplätzen.

Diesem Ziel dient der am Sonntag vom SPD-Parteivorstand beschlossene „Modernisierungspakt für Deutschland“. Darin heißt es: „Deutschland braucht in den kommenden 10 Jahren einen Modernisierungspakt mit zusätzlichen privaten und öffentlichen Investitionen von rund 60 Mrd. Euro jährlich, um seine Wettbewerbsfähigkeit, seine wirtschaftliche Kraft, seine soziale Sicherheit und seine ökologische Nachhaltigkeit zu erhalten und auszubauen.“

Die SPD fordert die gesamtstaatlichen Forschungsausgaben von derzeit knapp drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf vier Prozent bis 2025 zu erhöhen. In der Bildungspolitik wird „eine bessere Koordinierung“ und die Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern verlangt. Die SPD will 20.000 neue Stellen für Kita-Erzieher und 25.000 neue Lehrer-Stellen schaffen. Sie fordert eine zukunftsfähige Glasfaser-Strategie, die in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden Euro vor allem aus privaten aber auch öffentlichen Mitteln in ein Gigabitnetz zu investieren.

Höhere Schulden nicht ausgeschlossen

Bei der Finanzierung ihres Modernisierungspaktes will die SPD „keine ideologischen Tabus“ akzeptieren: „Weder dürfen wir die Erschließung privatwirtschaftlicher Finanzierungsquellen für eine öffentlich-private Investitionspartnerschaft zum Tabu erheben noch die Finanzierung von langfristigen Investitionsvorhaben durch öffentliche Kreditaufnahme“, heißt es im Beschlusstext des Parteivorstandes.

Für das Papier gab es Lob von Experten. Sebastian Dullien, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, nannte es gegenüber vorwärts.de „höchst erfreulich“, dass die SPD eine höhere Neuverschuldung nicht länger ausschließe. „Dass sich der Staat bei negativen Zinsen ein Schuldenverbot auch zur Finanzierung öffentlicher Zukunftsinvestitionen auferlegt - wie das durch die Fokussierung einiger Politiker auf die ‚schwarze Null im Bundeshaushalt passiert - ist ökonomischer Irrsinn.“ Hier eröffne die SPD vorsichtig die Tür für einen richtigen Politikwechsel.

Experten loben SPD-Beschlüsse

Die von der SPD geforderte Abschaffung des Kooperationsverbotes nannte Dullien „überfällig“. Das Kooperationsverbot „blockiert strategische Weichenstellungen und eine ausreichende Finanzierung bei deutschen Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen“, kritisierte der Wirtschaftsprofessor.

Nico Lumma, der Co-Vorsitzende von „D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt“, bezeichnete die angekündigten Investitionen in ein modernes Glasfasernetz gegenüber vorwärts.de als „alternativlos“. Er betonte: „Wir benötigen diese Infrastruktur, damit auch künftig unsere Wirtschaft wächst. Bei aller Haushaltsdisziplin sollten wir stets die Zukunft unserer Kinder im Blick haben und die können wir nur sichern, wenn wir jetzt endlich die Grundlage legen.“ Ein flächendeckendes Glasfasernetz in Deutschland bedeute „eine Verbreiterung der Teilhabe für die Menschen in unserem Land“.

Traditioneller Jahresauftakt in Nauen

Die SPD trifft sich traditionell zum Jahresauftakt. Auf dem Landgut Stober in Nauen, dem ehemaligen Landgut von August Borsig, konferierte die Parteispitze am Sonntag und am Montag. Neben dem SPD-Parteivorstand nahmen an den Beratungen auch die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung teil, sowie die SPD-Regierungschefs der Bundesländer und der geschäftsführende Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion.

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