„SPD befeuern“: Wie die Sozialdemokratie wieder zur Partei des Ostens wird
Michael Gottschalk/photothek.net
39,2 Prozent der Zweitstimmen. 47 von 65 Direktmandaten. Das war das SPD-Wahlergebnis von 2002 in den ostdeutschen Bundesländern. 15 Jahre später ist das Ergebnis um fast zwei Drittel geschrumpft. Wir sind nur noch viertstärkste Partei im Osten. Von vier Direktmandaten wurden drei in Berlin errungen, eins in Brandenburg. Haben wir 2002 in Ostdeutschland gegen den Bundestrend Stimmen zulegt und damit Gerhard Schröder zum Bundeskanzler gemacht, liegen wir jetzt deutlich unter dem Bundesschnitt. Dieser Vergleich zeigt: Wir waren die Partei des Ostens. Und wir wollen es wieder werden. Denn wir wissen, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Schwäche der SPD im Osten ist keine Momentaufnahme
Unsere Schwäche im Osten ist mehr als nur eine Momentaufnahme. Seit 2005 geht die Zustimmung der Menschen zu unserer Politik in den neuen Bundesländern zurück. Eine Umfrage im Auftrag der SUPERillu zeigt, dass wir nicht mehr als die Stimme des Ostens gesehen werden. SPD-Politiker belegen im Ranking nur die Plätze neun und zehn. Der Wahrnehmungsverlust droht nicht nur, er ist auch überall spürbar.
Der Ruf nach einer Erneuerung der SPD ist laut und richtig. Wir wollen jünger, weiblicher und digitaler werden. Diese Ziele stehen der SPD gut zu Gesicht. Aber sind sie allein der Schlüssel, um uns das Vertrauen der Wähler und die Meinungsführerschaft im Osten zurückzuholen?
Das Schlagwort heißt: SPD befeuern
Vor 28 Jahren hat die SPD im Osten fast auf der grünen Wiese begonnen und viel erreicht. Diese verhältnismäßig jungen Strukturen unter dem Schlagwort „SPD erneuern“ grundsätzlich umzudenken reicht deshalb nicht aus. Die Probleme der Partei liegen weniger in verkrusteten Strukturen, sondern in geringen Mitgliederzahlen, fehlender Präsenz in der Fläche und einer mangelnden Deutungshoheit. Ich schlage der SPD im Osten daher einen anderen Kampfbegriff vor: SPD befeuern.
Mit Blick auf die schwachen Strukturen wäre es illusorisch, die Probleme ausschließlich von der Basis lösen zu lassen. Wir selbst müssen neue Impulse setzen. Drei Schritte, wie wir die SPD im Osten zurück in die Zukunft zu alten Erfolgen führen können, sind aus meiner Sicht besonders wichtig.
- Die bessere Vernetzung untereinander und ein selbstbewusstes Auftreten mit einer Stimme. Wir sitzen in allen ostdeutschen Landesregierungen, dreimal stehen wir an der Spitze. Wer, wenn nicht wir, kann Themen setzen, die für den Osten besonders wichtig sind. Dieses Gewicht ist für die Menschen zu wenig sichtbar. Die Ost-SPD muss dringend nachlegen und auch in der Bundespartei mehr Einfluss und Strukturen bekommen.
- Wir müssen unsere sozialdemokratische Erzählung für Ostdeutschland erneuern und sie mit dem Mut zu einer eigenen Ost-Identität aussprechen. Als Uckermärker ist mir sehr bewusst, was die vergangene Bundestagswahl aufgezeigt hat. Es gibt im Osten andere Ansichten, Mentalitäten und Problemlagen. Das sind keine Zeichen einer Spaltung, sondern die Folge anderer Erfahrungen. Als Ost-SPD dürfen wir das nicht ignorieren. Wollen wir die Stimme der Menschen im Osten werden, braucht die SPD einen hörbaren ostdeutschen Akzent. Der kommt nicht vom Reden, sondern vom Zuhören.
- Weiße Flecken rot färben. Wir müssen in allen Regionen und auch in Verbänden, Vereinen und Organisationen die Wahrnehmbarkeit der SPD verbessern, gerade wenn keine Mandatsträger vor Ort sind. Zur Stärkung der Kommunalpolitiker, zur Belebung der SPD am Stammtisch, zur Präsenz von Spitzenpersonal und zur Entwicklung von innovativer Parteiarbeit gibt es keine Alternative.
Martin Schulz hat in seinem Leitantrag zum Parteitag erkannt, dass die Gesamtpartei Rückenwind für den Osten geben muss. Es geht nicht um regionale Befindlichkeiten, sondern schlichtweg um die Existenzfrage als Volkspartei. Nur so kann die Gesamtpartei gemeinsam zu alter Stärke finden. Gute Vorschläge liegen auf dem Tisch. Dass ein Ost-Beauftragter beim Parteivorstand für deren Umsetzung Verantwortung trägt, ist ein starkes Zeichen an den Osten. Er oder sie braucht die Kraft und die Kompetenz, Impulse zu setzen und Stärke zu zeigen. Denn unser Ziel muss klar benannt werden: Wir wollen wieder eine Genossin oder einen Genossen zum Kanzler machen.
ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender der Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion.