Sozis sind herzensgut, sie sagen das nur nicht gleich jedem
Georg Oligmueller
Alle acht Minuten tritt jemand in die SPD ein. Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über „Parship“. Das heißt: Alle 88 Minuten verliebt sich ein Single in die SPD, und ich frage mich, ob man demnächst Wartemarken ziehen muss, wenn man Mitglied werden möchte.
Gutmütigkeit unter Kohlestaub
Wenn man sich in eine Partei verlieben kann, dann in die SPD. Willkommen, liebes Neumitglied, liebe Neuleserinnen und -leser. Hier schmeiße ich mich ran an die Genossin, den Genossen, mit dem parteiüblichen „Du“, wie man es sonst nur von Ikea kennt oder von Paarsituationen, in denen auf das „Du“ ein „Komma, wir müssen reden!“ folgt. Die SPD ist eine Beziehung, in der ständig dieser Satz nach dem Komma fällt. Das unterscheidet sie von anderen Parteien, in denen still abgenickt wird.
Für Neulinge: Sozis sind im Grunde herzensgut, die sagen das nur nicht gleich jedem. Hier im Ruhrgebiet verstecken sie ihre Gutmütigkeit unter einer dicken Schicht Kohlenstaub. Keine Ahnung, wo sie den immer noch herbekommen, wo bald die letzte Zeche dicht macht.
Die Angst vor der Niederlage
Zwei Sätze wirst Du oft hören im Ortsverein, der eigentlichen Herzkammer der Partei. Den vor der Wahl: „Das wird nie was!“ Und den nach der Wahl, gern genutzt nach Niederlagen: „Das hab ich Dir gleich gesagt.“ Davon darfst Du Dich als Neumitglied nicht abschrecken lassen. Das ist als Skepsis getarnte Angst vor Niederlagen, die in der Liebe immer drohen.
Der Ortsverein ist auch Bolzplatz. Da wirst Du nicht Weltmeister, aber Du lernst das Kicken, und später noch gibst Du da alles. Mein schönstes Erlebnis dort: Mit dem Lautsprecherwagen im Wahlkampf durch die Quartiere fahren. (Ich war da nicht mal Mitglied.) Ganz großes Kino, wie im Blues-Brothers-Film, als die beiden Musiker auf diese Art für ihr Konzert werben und ein bisschen Weimarer Republik, als noch real die Straße entschied, und nicht die Schnelligkeit auf der Datenautobahn.
"Böse Menschen haben keine Lieder"
Apropos Musik. Genossen, sind gute Menschen (siehe oben). Warum? Die haben eigene Lieder, Arbeiterlieder. Es heißt doch: „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.“ Weshalb es bekanntlich auch keine Arbeitgeber-Lieder gibt. Geschützt von der UNESCO sind Arbeiterlieder Weltkulturerbe, genauer ist es das gemeinsame Singen dieser Titel.
Rheinischer Karneval übrigens auch, allerdings mit einer absurden Begründung: „Das gemeinschaftliche Verzehren von vor allem verderblichen Lebensmitteln ist die ideelle und inhaltliche Grundlage für den Karneval.“ Ich dachte immer, Schnaps wird nicht so schnell schlecht. Oder geht’s um Milchprodukte?
Am 24. September, am Abend der Bundestagswahl, könnt Ihr dann im Ortsverein zwei Weltkulturerbe vereinen, zuerst Arbeiterlieder singen, und dann gemeinsam verderbliche Lebensmittel verzehren. Wobei der Rock ’n’ Roll ausdrücklich dazu gehört, und Milchprodukte auch, oder Cola.
Georg Oligmueller
ist Kabarettist, Alternativ-Karnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.