Parteileben

Soviel Demokratie war noch nie

von Susanne Dohrn · 30. März 2014

Am 25. Mai entscheiden die Wählerinnen und Wähler nicht nur über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Sie entscheiden auch darüber, wer der nächste Präsident der Europäischen Kommission werden soll und damit mehr als je zuvor über den zukünftigen politischen Kurs der EU. 

„Ich will dieses Mandat, weil ich diese EU besser machen will“, sagt SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz. Mit 91 Prozent wurde er vor kurzem in Rom zum Spitzenkandidaten aller europäischen Sozialdemokraten gewählt. Nun ist er nach Hamburg gekommen, um zusammen mit dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, Familienministerin Manuela Schwesig und dem Hamburger Europaabgeordneten Knut Fleckenstein den SPD-Europawahlkampf zu eröffnen.

Auf der Suche nach Argumenten

„Ich habe das Plakat mit der Ankündigung gesehen und beschlossen, mir das anzuhören“, sagt Valentin Ludwig (23). Zum ersten Mal besucht der Student der Klimawissenschaften aus Hamburg eine Wahlkampfveranstaltung. SPD-Mitglied ist er nicht. Das unterscheidet ihn von seiner Sitznachbarin Imme Marienhagen (23). Sie studiert Sozialökonomie und hat als Genossin schon bei vielen Wahlkämpfen mit angepackt. Sie will ihren Freunden und Bekannten besser erklären können, warum diese Wahl wichtig ist. Irmgard Klose (78) leitet einen Seniorentreff in Hamburg und hofft, dass sie Argumente erfährt, mit denen sie ihren Gesprächspartnern und Partnerinnen die Angst vor der Zuwanderung vor allem aus Osteuropa nehmen kann.

Mindestlöhne und Arbeitsplätze

In den nächsten fünf Jahren werden in Europa die Weichen für die Zukunft gestellt, erklärt Schulz gleich zu Anfang seiner Rede. In der mit knapp 1000 Zuhörern fast bis auf den letzten Platz gefüllten großen Halle in der Kulturfabrik Kampnagel erinnert er an die 27 Millionen Arbeitslosen in Europa. Deshalb werde es seine erste Priorität als Kommissionspräsident sein, dafür zu sorgen, dass in Europa gute Arbeitsplätze entstehen. „Das muss Arbeit sein, von der die Menschen auch leben können“, fügt er begleitet vom Applaus der Zuhörer hinzu. In allen Ländern Europas soll es einen Mindestlohn geben. Er soll im Verhältnis stehen zur Leistungsfähigkeit des jeweiligen Landes und dafür sorgen, dass die Menschen in ihren Heimatländern davon leben können.

Schulz will dagegen vorgehen, dass Unternehmen sich künstlich arm rechnen, um keine oder wenig Steuern zu zahlen. Eine Billion Euro würden in der EU jedes Jahr durch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung verloren gehen, sagt er. Schulz’ Ziel ist es, dass das Land, in dem die Gewinne gemacht werden, auch das Land ist, in dem die Steuern gezahlt werden. Er will sich für gleiche Löhne für Männer und Frauen einsetzen und für eine europäische Datenschutzrichtlinie.

Bereit zur Veränderung

Martin Schulz wurde 1955 als jüngstes von fünf Kindern „einer ziemlich armen Familie“, wie er selbst sagt, geboren. Schulz lernte Buchhändler, eröffnete seinen eigenen Buchladen und wurde Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen in Nordrhein-Westfalen. Seine Mahnung: Politiker dürfen nie vergessen, wie es jemandem geht, der die nächste Rate für die Wohnung nicht mehr aufbringen kann. „Politiker müssen den Schmerz im Bauch spüren können und bereit sein, etwas zu verändern“ fordert er. Nur dann verdienen sie es auch, gewählt zu werden. Für 95 Prozent der Menschen seien tausend Euro „enorm viel Geld“. Diese Menschen müssten im Zentrum des Handelns stehen.

Arbeitsmigranten und moderne Sklaverei

Schulz scheut sich nicht, auch Probleme anzusprechen, z.B. die Armutsmigration. Aber die Lösung sei nicht, die Grenzen wieder zu schließen, wie einige Populisten es fordern. „Deutschland insgesamt profitiert von der Zuwanderung“, betont er. Einen „Massenansturm“ gebe es nicht, wohl aber Unternehmer, die Arbeitsmigranten Hungerlöhne zahlen. Das sei Sklaverei, kritisiert Schulz, und die sei das eigentliche Problem. Die meisten, die zu uns kommen, seien jedoch jung, hoch motiviert und zahlen Steuern.

Im Saal sitzt auch Mehmet Hadi Sertkaya (36). Er lebt seit 1992 in Deutschland und ist vor kurzem in die SPD eingetreten. Einen deutschen Pass hat er und freut sich auf die Wahl. „Mit Politik kann man viel erreichen. Das ist viel besser als zu Hause herumzusitzen“, sagt der gebürtige Kurde, der in Niedersachsen lebt. Seinen kleinen Sohn hat er gleich mitgebracht. Damit der Politik von klein auf lernt.


Alle Termine des Spitzenkandidaten finden Sie hier

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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