So war der SPD-Bundesparteitag für die Delegierten
Dirk Bleicker
MUNIB AGHA: DIE STÄRKEN DES WAHLPROGRAMMS
Gerade bei Arbeitnehmern und Gewerkschaften sieht Munib Agha im SPD-Wahlprogramm große Stärken. Betriebliche Mitbestimmung unterstützen und Unternehmen abmahnen, die bewusst versuchen, die Bildung von Betriebsräten zu verhindern – diese Forderungen unterstützt er. Aber auch das Abschaffen der sachgrundlosen Befristung ist ihm wichtig. „Nehmen wir das Beispiel Amazon. Die Beschäftigten sind zum Großteil befristet beschäftigt und haben Angst vor den Hartz-IV-Sanktionen“, sagt der 28-jährige Agha.
Der Doktorand der Mathematik ist schon am Donnerstag nach Dortmund angereist. Das Dortmunder U, ehemaliger „Gär- und Lagerkeller“ der Dortmunder Union Brauerei und nun ein Zentrum der Kreativwirtschaft, hat dem Mitglied des Erlanger Stadtrates besonders gefallen.
Agha ist seit 2009 in der SPD. Eigentlich war ihm die Partei „nicht links“ genug, doch das Programm von Andrea Ypsilanti in Hessen gerade im Bereich Energiewende hat ihm damals sehr gefallen. Im Stadtrat sitzt Agha auch im Jugendhilfeausschuss. Schwerpunkt: die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Jugendliche seien nicht faul, sondern in einer Umgebung aufgewachsen, die es ihnen unmöglich mache, einen Arbeitsalltag zu finden, sagt Agha. Deshalb möchte er die Sanktionen für unter 25-Jährige abschaffen. Weil Fördermaßnahmen wichtiger sind als Sanktionen, gefällt ihm die Idee, die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung umzubauen.
„Als ich 2014 in den Stadtrat gekommen bin, da hatten wir noch mit den Folgen von Schwarz-Gelb zu kämpfen“, so Agha. Die Mittel für Fördermaßnahmen waren gesunken. Mit Andrea Nahles als Bundesarbeits- und Sozialministerin sei es dann wieder bergauf gegangen. „Das ist der richtige Weg, den die SPD hier geht“, ist sich Agha sicher.
Dass Parteichef Martin Schulz den digitalen Wandel anpacken und auch gestalten will, hat Agha am Sonntag auf dem Parteitag in Dortmund in der Rede des SPD-Kanzlerkandidaten besonders gefallen. Die gesamte Gesellschaft müsse profitieren, hatte Schulz betont. Munib Agha: „Da stimme ich zu.“
CLAUDIA MOLL: DIE BESTE REDE SEIT LANGEM
Die Verbundenheit mit der SPD wurde Claudia Moll in die Wiege gelegt. Ihre Eltern sind Parteimitglieder, ihre beiden Geschwister genauso wie auch ihre beiden Töchter. Und sie selbst kandidiert bei der kommenden Wahl als Abgeordnete im Wahlkreis Aachen-Land für den Bundestag.
Vom Auftritt von Kanzlerkandidat Martin Schulz in Dortmund ist sie begeistert: „Das war die beste Rede seit langem. Besser geht es nicht.“ Der Auftritt habe sie noch mehr motiviert und angefeuert, sich im Wahlkampf einzusetzen.
Die Eschweilerin arbeitet als Altenpflegerin. Nach 27 Jahren im Beruf sei sie immer noch motiviert. Allerdings seien die Angestellten in dieser Branche oft überlastet, unterbezahlt und erhielten nur wenig Wertschätzung. Wie junge Menschen für diese Berufe gewonnen werden können, wisse sie nicht. „Es muss etwas gemacht werden.“
Handlungsbedarf sieht Claudia Moll auch bei der Alterssicherung. „Wer lange arbeitet, muss auch davon leben können.“ Deswegen schätzt sie das Regierungsprogramm: „Mit dem Rentenkonzept sind wir auf einem sehr guten Weg.“ Damit blieben die Renten stabil und das Rentenniveau sinke nicht weiter. Allerdings: „Die Rentenbiografien der jungen Menschen werden jetzt geschrieben“, sagt sie. „Der Mindestlohn ist ein erster Schritt, aber das ist noch zu wenig.“
FILIPPOS KOURTOGLOU: DIE RICHTIGEN AKZENTE GESETZT
Als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall ist Filippos Kourtoglou die Arbeitsmarktpolitik besonders wichtig. Und gerade in diesem Bereich sei das SPD-Regierungsprogramm gelungen. „Es ist eine gute Basis für eine gerechte und solidarische Politik“, sagt er. „Mir gefällt, dass auf die Belange junger Menschen eingegangen wird.“ Als Beispiel hebt der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende die Mindestausbildungsvergütung hervor, die in der Lehre ein Mindestgehalt garantiert.
Der 31-Jährige aus dem Landkreis Offenbach absolvierte einst selbst eine Ausbildung. Damals war der angehende Informatiker bei der Telekom in der Interessensvertretung aktiv und wuchs so Stück für Stück in seine Tätigkeit als Gewerkschafter hinein. Heutzutage nehme die Politik einen wichtigen Teil seines Lebens ein. Seit 2009 ist er SPD-Mitglied im Bezirk Hessen-Süd.
Von dem Parteitag in Dortmund gehe das Signal aus, dass die SPD das richtige Programm habe. Die Rede von Martin Schulz sei wichtig gewesen. „Er hat die Partei mit ihren unterschiedlichen Interessen geeint.“ Er habe die richtigen Akzente gesetzt. Schulz stehe stellvertretend für den gesellschaftlichen Aufstieg und für die Solidarität in Europa. Filippos Kourtoglou ist sich sicher: „Wir haben die realistische Chance in der kommenden Bundesregierung den Kanzler zu stellen.“
MANFRED RUHLAND: DIE PARTEIBASIS IST GEFRAGT
Sechs Stunden hat Manfred Ruhland benötigt, um die 580 Kilometer nach Dortmund mit dem Auto zurückzulegen. Gestartet war er im Landkreis Cham in der Nähe zu Tschechien. Doch die Reise war für ihn selbstverständlich. „Für einen Parteisoldaten wie mich ist das ein Highlight“, sagt er.
Vom Parteitag und der Rede von Martin Schulz gehe ein Signal aus. „Es war sehr spürbar, dass die Partei jetzt zu einem vollen Wahlkampf bereit ist.“ Die Rede habe ihn motiviert.
„Als Schulz Bezug auf die sozialdemokratischen Werte genommen hat, habe ich mich emotional sehr stark angesprochen gefühlt.“ Ruhland ist überzeugt: „Die Rede hat den Wählern eine klare Orientierung gegeben.“ Jetzt sei die Parteibasis gefragt, sich für das Regierungsprogramm einzusetzen.
Das Wahlprogramm hält Ruhland für gelungen. Allerdings sei ihm das Rentenkonzept zunächst zu schwammig formuliert erschienen. Doch eine Besprechung zwischen Andrea Nahles und den Delegierten habe ihn überzeugt. „Jetzt kann ich das Programm guten Gewissens mittragen.“
„Ich werde in meinem Wirkungskreis meinen Beitrag für die SPD leisten“, sagt Ruhland, der im bayerischen Waldmünchen stellvertretender SPD-Ortsvorsitzender ist. Allerdings ist er sich der Stärke der CSU in Bayern bewusst. Trotzdem sei er mit Leib und Seele seit 1986 Sozialdemokrat.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.