So bewertet die SPD-Basis den Ausgang der Bundestagswahl
Foto: Dirk Bleicker
Als die ersten Prognosen im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale in Berlin, bekannt gegeben werden, gibt es im Atrium kaum eine Reaktion. Dicht an dicht stehen hier unter der schützenden Hand der Willy-Brandt-Statue die Genossen. Um Punkt 18 Uhr ist es totenstill. Wo sonst bei Wahlen die ersten Ergebnisse mit Jubel oder zerknirschtem Aufstöhnen kommentiert werden, gibt es an diesem Abend vor allem leere Blicke.
In der Opposition deutlicher von Merkel abgrenzen
Max Putzer steht in seinem roten Pullover etwas abseits. Für die Ergebnisse von SPD und CDU findet der Berliner nur ein Wort: „Alptraum“. Dass die beiden großen Parteien derart abgestraft wurden sei „eine Zäsur“. „So etwas hat es seit 1949 in Deutschland nicht gegeben.“ Dass die SPD das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren hat, führt Putzer darauf zurück, dass sie „zum dritten Mal in Folge“ keine Koalitionsalternative angeboten habe. „So kann keine Leidenschaft bei den Wählern entstehen.“
Ines Beyer-Petz ist wütend. „Das Ergebnis für die AfD ist ein Armutszeugnis für Deutschland.“ Es sei beschämend, dass die Partei nun im Parlament vertreten sei. Auf Unverständnis bei der 48 Jahre alten Berlinerin stößt auch, dass die CDU unter Angela Merkel wieder stärkste Kraft geworden ist. „Angela Merkel bekommt seit zwölf Jahren nichts hin“, sagt sie und nennt beispielsweise die Themen Rente und Digitalisierung. Merkel mache schlechte Politik. Die führe zu Politikverdrossenheit. „Da muss man sich nicht wundern, wenn die AfD stark wird.“ In der Opposition solle sich die SPD noch deutlicher als bisher von Merkel abgrenzen.
Sorge vor der Zersplitterung des Parlaments
Christian Pfeiffer sitzt auf einer Bierbank in einem Zelt vor dem Willy-Brandt-Haus. Über einen Fernseher flackern dort die neuesten Hochrechnungen vorbei. Das Ergebnis der SPD sei „erwartbar“ gewesen, sagt der Genosse aus Berlin. Der SPD seien „irgendwann die Wähler weggebrochen“. Dieses Irgendwann benennt Pfeiffer auch: mit der Agenda 2010. Durch sie habe die SPD ihre Kernklientel verloren, in der Mitte könne sie auch nicht punkten. Ob der direkte Ausschluss einer Fortsetzung der großen Koalition richtig ist, will Christian Pfeiffer am Wahlabend noch nicht abschließend beurteilen, sagt aber: „Vielleicht könnte es doch sinnvoll sein, in der Regierung sozialdemokratische Politik durchzusetzen.“
Ernst Uhe, der ein paar Bänke weitersitzt, ist da ganz anderer Meinung. Es sei „vollkommen richtig“, dass Martin Schulz einer erneuten großen Koalition eine Absage erteilt habe. „Wir werden jetzt eine wichtige Oppositionsrolle spielen“, ist Uhe überzeugt. Über das Abschneiden seiner SPD, der er seit 1973 angehört ist der gebürtige Ostwestfale „sehr enttäuscht“. Kritisch sieht er auch, dass dem Bundestag künftig sieben Parteien angehören werden. Solch eine Zersplitterung tue dem Parlament nicht gut.
„Nach der Wahl ist vor der Wahl“
Auch Marcel Glück aus Hamburg begrüßt, dass Martin Schulz keine weitere große Koalition eingehen will. „Nur mit dem Gang in die Opposition können die sozialdemokratischen Kräfte wieder stärker werden“, ist sich der 21-Jährige sicher. Personell sei die Partei gut aufgestellt. Die SPD müsse sich nur treu bleiben, dann stiegen die Zustimmungswerte wieder. „Es wäre falsch am rechten Rand zu fischen.“ Den Erfolg der AfD führt er auf Protestwähler zurück. Er findet es schade, dass im Wahlkampf soziale Themen nicht zum Tragen gekommen seien.
„Nach der Wahl ist vor der Wahl“, sagt Dagmar Kappelhuff aus Nordhessen. Für die Zukunft wünscht sie sich eine verjüngte SPD. „Wir brauchen mehr junge Leute, mehr Pfeffer“, sagt sie. Sie halte nichts davon, dass junge Parteimitglieder erst lange Zeit auf der Karriereleiter gehen müssten. Die 62-Jährige aus dem SPD Ortsverein Willingen bemängelt, dass die Kampagne „altbacken“ gewesen sei. „Der Wahlkampf muss frischer werden.“ Es sei nicht gelungen, die eigenen Inhalte rüberzubringen. Außerdem müsste das Vertrauen der Menschen wiedergewonnen werden, das mit der Agenda 2010 verloren gegangen sei.
In vier Jahren mit neuen Kräften wieder antreten
Das SPD-Wahlergebnis hat Enrico Preuß „schockiert“. Im Wahlkampf hatte er sich bei den Jusos in Berlin-Mitte engagiert. Er sei vielen interessierten Menschen begegnet und habe ein besseres Abschneiden erwartet. Das Ergebnis der AfD habe ihn „entsetzt“. „An diesem Abend kann keine demokratische Partei zufrieden sein“, sagt der 23-Jährige. Eine erneute Koalition aus SPD und Union lehnt er ab. In vier Jahren solle die SPD mit neuen Kräften wieder antreten. Außerdem wünscht sich Enrico Preuß, die heiße Wahlkampfphase zukünftig früher zu starten, um auch die immer größer werdende Zahl der Briefwähler zu erreichen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.