Parteileben

Sigmar Gabriel, Sozialdemokrat mit Kopf und Herz

Minutenlang bejubelte der Parteitag in Dresden am 13. November 2009 Sigmar Gabriel, weil seine zweistündige Rede der verzagten Partei neues Selbstbewusstsein schenkte. Die Delegierten dankten es ihm, indem sie ihn mit 94,2 Prozent der Stimmen zum neuen Vorsitzenden wählten.
von Renate Faerber-Husemann · 12. November 2014
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Die Rede von damals gibt bis heute den Ton an: „Wir müssen uns wieder vertrauen“, hatte er in Dresden geworben. Die Wähler interessierten sich nicht für Flügelkämpfe und Personaldebatten, sondern dafür, „ob wir das, was wir über eine tolerante, weltoffene und solidarische Gesellschaft erzählen, auch selbst vorleben.“ Der begnadete Redner, der Marktplätze und große Säle füllen kann, forderte deshalb: „Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist, denn nur da ist das Leben.“

Lange war er von Teilen der Partei unterschätzt worden, obwohl er sich als Bundesumweltminister von 2005 bis 2009 national und international hohes Ansehen erworben hatte. Heute nennt ihn niemand mehr sprunghaft. Er steht zu seinen Positionen, zeigte sich zum Beispiel offen entsetzt über die Eugenik-Debatte, die Thilo Sarrazin losgetreten hatte.

Respekt und Zuneigung

Zum Respekt vor seiner Leistung kam Zuneigung, als der privat sonst so Verschlossene offen über seine schwierige Kindheit sprach, über den autoritären, kalten Nazi-Vater. Da wurde auch dem letzten Parteimitglied klar, dass ihr Vorsitzender schon durch seine Biografie einen festen Wertekatalog hat, den er nicht preisgeben würde. Und zu Respekt und Zuneigung kam nun noch Bewunderung für seine Lebensleistung.

Großen Mut zum Risiko hat er immer wieder gezeigt, zum Beispiel nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013, als die SPD sich einem Mitgliedervotum stellte. Die Partei ließ ihn nicht im Stich, stimmte dem Koalitionsvertrag mit einer Dreiviertelmehrheit zu. Seitdem ist er Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Er hat damit eine Mammutaufgabe zu stemmen, muss nicht nur die Wirtschaft durch vermutlich kommende schwierigere Zeiten führen, sondern auch die Energiewende schaffen, ein politisch und finanziell vermintes Gelände, wie zur Zeit wieder einmal die Debatte um Kohlekraft gegen Kernenergie zeigt.

Dass Sigmar Gabriel mit Kopf und Herz Sozialdemokrat ist, zeigte sich einmal mehr beim Festakt „150 Jahre Sozialdemokratie“ im Mai 2013 in Leipzig. Es war eine glänzende Rede, die jeden Sozialdemokraten daran erinnerte, wie stolz er auf die eigene Geschichte sein darf: „Die SPD strebte nach Freiheit, wenn andere die Freiheit ersticken wollten. Sie lebte die Demokratie, als andere sie als undeutsch und verbürgerlicht diffamierten. Sie trat für gleiche Menschen- und Bürgerrechte ein, als andere die unterschiedliche Wertigkeit von Menschen propagierten.“

Am Vortrag dieses Jubiläums hatte Gabriel sich in Leipzig noch für ein wichtiges internationales Thema engagiert. Die in die Jahre gekommene Sozialistische Internationale bekam Konkurrenz. Auf  seine Initiative hin wurde die „Progressive Alliance“ gegründet, ein lockeres weltweites sozialdemokratisches und linksliberales Parteienbündnis. Gabriel ist im Vorstand und formulierte in seiner Rede die zentralen Punkte für die künftige Arbeit: Kampf gegen Armut. Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Einsatz für den Frieden. Recht auf gute Arbeit und Bildung.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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