Parteileben

Sigmar Gabriel haucht der SPD neuen Kampfgeist ein

von ohne Autor · 13. November 2009
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"Selbst einer wie ich hat ein bisschen Lampenfieber", beginnt Sigmar Gabriel seine Rede auf dem Dresdner SPD-Parteitag. "Wir bitten um einen Vertrauensvorschuss, denn um mehr können wir heute nicht bitten." So tritt er vor die Delegierten.

Und spricht die Wahrheit klipp und klar aus: "Wir haben eine historische Niederlage erlitten, obwohl unser Land gerade zu nach sozialdemokratischen Antworten schreit. Wir müssen uns jetzt die Zeit nehmen zu prüfen, woran es gelegen hat." Es sei wichtig für die SPD, "das Wahlergebnis jetzt anzunehmen". Der designierte SPD-Chef warnt seine Partei, "sich nicht in allzu leichte Erklärungen zu flüchten" bei der Analyse der Wahlniederlage, so als hätte die SPD nur ein Kommunikationsproblem und als hätten die Wähler ihre Botschaft nicht verstanden.

"Was wir jetzt am wenigsten brauchen, sind Spekulationen über denkbare oder undenkbare Koalitionen", so Gabriel unter dem Applaus zu den Delegierten. Die Wähler "wollen, dass wir über uns selber nachdenken". Unter großem Beifall fügt er hinzu: "Ich will, dass die SPD wieder stärker wird, damit andere darüber diskutieren, was sie ändern müssen, damit sie mit uns regieren dürfen."

"Der innerparteiliche Umgang untereinander muss ein anderer werden."

Gabriel ruft seine Partei auf, "nicht kleinmütig" zu sein. Nur aus dem Stolz über das Erreichte erwachse die Kraft, auch offen über das nicht Erreichte zu sprechen. "Ich halte nichts davon, die Partei aufzuteilen, in die, die schon immer alles wussten und die, die schon immer alles falsch gemacht haben." Gabriel ermahnt die Partei zur Einigkeit auf und zeigt offen seine Freude über den Applaus des Parteitags für den scheidenden Parteivorsitzenden Franz Müntefering. "Der innerparteiliche Umgang untereinander muss ein anderer werden." Unversöhnliche Härte in Debatten, die mangelnde Fähigkeit sich zu verzeihen, mache die SPD nicht attraktiv. Das Wort "Genosse" müsse wieder zu einem Zeichen der Verbundenheit werden, "zu einem Zeichen, dass uns viel mehr ein als uns trennt". Die Delegierten applaudieren lebhaft.

Unterschiedliche Auffassungen seien für die SPD eine Bereicherung, betont Gabriel. Die SPD werde nur dann neues Vertrauen gewinnen, wenn die Menschen den Eindruck hätten, die Sozialdemokraten vertrauten sich selbst und bewiesen innerparteiliche Toleranz. "Aufgeschlossenheit für einander und Geschlossenheit miteinander" sei die Voraussetzung für neuen Erfolg bei den Wählern.

Sigmar Gabriel lobt zwar die Leistungen der SPD in den 11 Jahren Regierungsbeteiligung im Bund. Zugleich gelte aber die bittere Erkenntnis, dass die Partei bei der Bundestagswahl an alle Richtungen verloren habe. Der Grund: Ihr fehle ein sichtbares Profil. Und das ausgerechnet in der Weltwirtschaftskrise, die nach sozialdemokratischen Antworten gerade zu schreie.

"Die Mitte war links, weil wir sie verändert haben - das müssen wir wieder machen."

"Wir haben nicht eine Wahl verloren, wir haben in Etappen verloren", so Gabriels Analyse. Grund sei ein Missverständnis über die politische Mitte in Deutschland. Die politische Mitte gewinne der, der die Deutungshoheit über die entscheidenden Fragen und Antworten der Zeit gewinne. So sei es Willy Brandt mit seiner Forderung nach "mehr Demokratie" und der Ost- und Entspannungspolitik gelungen. Brandt habe sich nicht der Mehrheit angepasst, sondern für seine Ideen Mehrheiten gewonnen. "Die Mitte war links, weil wir sie verändert haben, weil wir sie erobert haben und das müssen wir wieder machen", so Gabriel unter großem Beifall der Delegierten.

Die SPD habe sich unter der Deutungshoheit des Neoliberalismus angepasst, statt eigene Antworten zu geben und dafür zu kämpfen, die Deutungshoheit für diese Antworten zu gewinnen. "Die Sozialdemokratie lebte nie von der Anpassung. Sie musste immer mehr sein als das kleinere Übel."

Sicher habe die SPD sich nicht überall ergeben und alles mit gemacht, "was die neunmalklugen Yuppies aus den BWL-Seminaren oder Redaktionsetagen" propagiert hätten, so Gabriel unter Lachen und Beifall des Parteitags. Viele dieser Anpassungen aber hätten die Anhänger der SPD überfordert, vieles sei innerlich abgelehnt worden und habe nicht Aufstiegshoffnungen sondern Abstiegsängste ausgelöst.

Nicht vor "die falsche Alternative"stellen lassen: "links oder Mitte".

Selbstkritisch räumt Gabriel vor den SPD-Delegierten ein, auch er habe bei der Leih- und Zeitarbeit einen "Klebeeffekt" erhofft. Was die SPD "falsch gemacht" habe, sei jedoch, dass man "das Scheunentor zu weit aufgemacht" habe, so dass Niedriglöhne und Leiharbeit für viele zur Regel geworden seien.

Die SPD dürfe sich nicht vor "die falsche Alternative" stellen lassen: "links oder Mitte". Der Mensch sei sowohl zur Freiheit als auch zur Solidarität fähig. Beide Werte gehörten für die SPD zusammen. "Wenn wir linke Politik so verstehen, dann müssen wir uns nicht nach links öffnen, sondern unsere politischen Konzepte daraufhin überprüfen, ob sie diesem Anspruch gerecht zu werden." Die Konfrontation zwischen links und Mitte sei eine Falle der Union, von der nur die Union profitiere. Die Konservativen wollten die SPD von der Mitte ausschließen. Das dürfe die SPD nicht kampflos hinnehmen, fordert Gabriel unter starkem Beifall.

"Wer nicht lächeln kann, der soll keinen Laden aufmachen."

Die SPD müsse sich für neue Fragen öffnen: für die Probleme der "Generation Praktikum" oder jungen Selbständigen, die am Rande der Selbstausbeutung arbeiteten. Selbständige und Mittelständler seien nicht die Klassenfeinde sondern die Partner der SPD.

In ihrer gegenwärtig schwierigen Situation ruft Gabriel die SPD zu Selbstbewusstsein und Zuversicht auf. Mit einem chinesischen Sprichwort ruft er die SPD abschließend auf, sich zu öffnen und auf die Menschen zuzugehen: "Wer nicht lächeln kann, der soll keinen Laden aufmachen. Lasst uns ordentlich Läden aufmachen!" Langanhaltender, begeisterter Applaus der Delegierten, stehende Ovationen für Sigmar Gabriel auf dem Parteitag.

Zuvor hatten allein 66 Delegierte in einer über 5-stündigen Debatte in sachlicher und konstruktiver Atmosphäre über die Wahlniederlage der SPD und die daraus zu ziehenden Konsequenzen debattiert. Nach Gabriels mitreißender Rede geht die Aussprache der Delegierten weiter.

Die Rede von Sigmar Gabriel auf dem Bundesparteitag der SPD am 13. November 2009 in Dresden finden Sie als PDF-Datei im Anhang.

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