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Sensation in Berlin: „Pro Reli“ dramatisch gescheitert

von ohne Autor · 27. April 2009
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Berlin, den 27.04.2009 - Es hat alles nichts genutzt: Weder die Meinungsmache der Springer-Presse und die völlig einseitige Propaganda der Kirchen, noch die medienwirksame Unterstützung von Papst Benedikt XVI., Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und TV-Moderator Günther Jauch haben geholfen. Der Volksentscheid über "Pro Reli" in Berlin ist dramatisch gescheitert. Eine Mehrheit der Wähler stimmte mit 51,3 Prozent klar gegen die Einführung von Religion als regulärem Wahlpflichtfach ab der 1. Klasse. Damit bleibt Religion in Berlin ein freiwilliges Zusatzfach ab der 7. Klasse.

Die Anhänger von "Pro Reli" konnten nicht einmal jeden siebte Berliner zur Unterstützung gewinnen. Statt der erforderlichen 25 Prozent der Wahlberechtigten erreichten sie nur 14,2 Prozent. Die Initiative ist also an beiden Hürden gescheitert: der fehlenden Abstimmungsmehrheit und der nötigen Mindestzahl an Ja-Stimmen. Eine krachende Niederlage.

Das Ergebnis gilt in und außerhalb Berlins als Sensation: "Pro Reli" erhielt nur eine Zustimmung von 346.119 Berlinern, obgleich allein in der evangelischen und katholischen Kirche rund 981.000 Mitglieder sind. Auch unter den Kirchenmitgliedern konnte "Pro Reli" also nur eine Minderheit überzeugen.

Deshalb gewinnt die Diskussion um die einseitige Propaganda der Kirchenleitungen für "Pro Reli" an Dramatik. Besonders der evangelische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber hatte seine Kirche auf einen beispiellosen Konfrontationskurs gegen Senat und Abgeordnetenhaus gebracht. Er fordert eine Neuevangelisierung Deutschlands als wichtigste Aufgabe der evangelischen Kirche. Die Missionierung der Hauptstadt Berlin sollte dafür ein wichtiges Signal sein.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) übte deutliche Kritik an Bischof Huber. Die Kirche müsse allerdings selbst diskutieren, ob die von Huber betriebene "Polarisierung" richtig gewesen sei. Für den Regierenden Bürgermeister hat diese Konfrontation den Kirchen insgesamt geschadet. Knapp 30 Prozent der Berliner sind Mitglied einer der beiden großen christlichen Kirchen. Wowereit wies vor diesem Hintergrund darauf hin, dass sich nur rund 14 Prozent der Stimmberechtigten hinter die Forderung der Kirchenleitungen gestellt hatten, ein Wahlrecht zwischen Ethik und Religion einzuführen. "Das ist ein Bruchteil derjenigen, die in der Evangelischen Kirche überhaupt Mitglieder sind. Das heißt, es ist vor allen Dingen auch eine innere Auseinandersetzung: Wie gehe ich mit Religion um, wie gehe ich mit dem Religionsunterricht um", sagte Wowereit.

Auch innerhalb der Kirche regte sich erbitterter Widerstand gegen die religiösen Scharfmacher und Fundamentalisten in den eigenen Reihen. Bischof Huber versuchte diesen Widerstand systematisch zu unterdrücken. Besonders die Initiative "Christen pro Ethik" war ihm ein Dorn im Auge. "Christen pro Ethik" übten deshalb scharfe Kritik an "Machtmissbrauch und Meinungsdiktat in der evangelischen Landeskirche", die einseitig "Pro Reli" unterstützte und mit allen Mitteln versuchte, die Initiative "Christen pro Ethik" zu unterdrücken. Die Initiative beklagt zahlreiche "Diskriminierungen und Restriktionen" in den Gemeinden.

Deutliche Kritik an der evangelischen Kirche kommt auch von Walter Momper (SPD), dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses: "Als evangelischer Christ finde ich, dass die Kirchen Schaden genommen haben." Momper kritisiert, dass die Kirchen die Konfrontation gesucht und auf eine "CDU-Kampagne aufgesprungen" seien. Die Kirche habe allein dadurch an Ansehen verloren, dass sie "Halbwahrheiten und Unwahrheiten" verbreitet hat und "rumtrickste". Momper, der auch Schirmherr von "Pro Ethik" ist, freut sich über den Wahlausgang: "Ich bin froh, dass sich die Berliner nicht haben einlullen lassen."

So sieht es auch DGB-Chef Michael Sommer. Das Wahlergebnis zeige, dass die Berliner "von der Materialschlacht von Pro Reli angewidert" seien. "Das Volk hat entschieden", so Sommer, nun müsse wieder Friede einkehren.

In den letzten Tagen vor der Entscheidung wurde der Kampf um den Volksentscheid besonders erbittert geführt. Persönliche Verleumdungen, die Einschaltung der Justiz und eine millionenteure Materialschlacht von "Pro Reli" - finanziert durch Kirchensteuermittel und anonyme Großspender - waren dabei nur eine negative Begleiterscheinung.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kritisierte insbesondere die "massive Kampagne" der Springer-Presse für "Pro Reli". So titelte die sich selbst als "überparteilich" bezeichnende Bild-Zeitung wenige Tage vor dem Volksentscheid in Riesenlettern: "Pro Reli: Warum wir mit JA stimmen müssen". Der Ethik-Unterrricht für alle wurde als "Zwangsethik" diffamiert.

Wowereit übte auch deutliche Kritik an den Werbespots von "Pro Reli", in denen Prominente wie Günther Jauch zu den Berlinern sprachen. "Das finde ich einen Skandal, dass hier kluge Menschen wie mein Freund Jauch sich hinstellen und im Spot sagen, es geht hier um die Freiheit", so Wowereit. "Die haben nicht begriffen, was Freiheit ist! Wer Wahlfreiheit haben will, muss mit Nein stimmen, weil er sonst nicht Ethik und Religion haben kann."

Kritik an der Kampagne von "Pro Reli" kommt auch von Bestsellerautor Bernhard Schlink, aktiver Christ in der Evangelischen Kirche. Er kritisiert die "Entstellungen und Lügen" seiner Kirche. Manche ihrer Argumente "haben mich entsetzt", so Schlink. "Die Lüge, die Berliner Regelung widerspreche dem Grundgesetz, die Entstellung, Religion müsse ordentliches Schulfach werden, damit der Staat endlich die notwendigen Kontrollen ausüben könne, die Rote-Farbtöpfe-Plakate im Stil der Rote-Socken-Hetze - all das finde ich unwürdig. Ich hatte gehofft, die Kirchen würden für ihr politisches Engagement eine wahrhaftigere Sprache finden als die politischen Parteien." Schlink ist überzeugt, "dass die Kirchen mit ihrer Kampagne der Entstellungen und Lügen ihre Substanz und ihre Integrität beschädigt haben. Das bleibt."

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