Zum sechsten Mal traf sich Dienstag die große Runde von Union und SPD zu Koalitionsverhandlungen. Nach der fünfstündigen Sitzung der 75 Vertreter beider Seiten im Willy-Brandt-Haus stellte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wichtige Fortschritte in den Bereichen Arbeit und Soziales heraus.
„Wir haben heute sehr viel Strecke gemacht“, beschrieb sie den Weg zu einem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Sie habe ein „gutes Gefühl, dass das klappt“. Mit den heutigen Ergebnissen habe man „große Pakete“ für einen künftigen Vertrag erarbeitet. „Das reicht als Grundlage, um in der nächsten Woche zu Ergebnissen zu kommen.“
Einigkeit bei Fachkräfteoffensive
Konkret nannte Nahles eine Reihe von Themen, über die Einigkeit erzielt wurde. Dazu gehöre eine Fachkräfteoffensive und eine Offensive für eine zweite Chance junger Leute, die Probleme bei der Integration in den Arbeitsmarkt haben. Konsens herrsche ebenso, den Missbrauch von Werkverträgen zurückzudrängen und hier Sanktionen zu verschärfen. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen solle erleichtert werden.
Einigkeit bestehe auch bei der Zusammensetzung der Mindestlohnkommission. Noch keinen Konsens gebe es dagegen über die Starthöhe des Mindestlohns und über den genauen Auftrag der Kommission.
Gemeinsam gegen Altersarmut
In der Sozialpolitik betonte Nahles die Übereinstimmung der drei Parteien, Altersarmut zu verhindern. Ebenso lobte sie die Einigung über die Frauenquote. Strittig bleibe allerdings das Adoptionsrecht für Homosexuelle.
Die heutige Runde war mit besonderer Spannung erwartet worden. Die große Runde traf sich zum ersten Mal nach dem Bundesparteitag der SPD. „Jetzt müsst ihr liefern, liebe Leute von der Union!“, hatte SPD-Chef Gabriel zuvor CDU und CSU von Leipzig aus zugerufen.
CSU will Neuwahl-Drohung nicht wiederholen
Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, antwortete direkt auf den Appell Gabriels: „Wir müssen überhaupt nichts liefern.“ Noch einen Schritt weiter ging CSU-Chef Horst Seehofer. Er drohte als erster Politiker der Union mit Neuwahlen.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles konterte die Seehofer-Drohung betont gelassen. „Am Wochenende ist CSU-Parteitag. Das muss man halt auch sehen“, kommentierte sie die Äußerungen des CSU-Chefs. In der heutigen Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus wollte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt weder die Drohung mit Neuwahlen wiederholen noch eine Frage zu diesem Thema beantworten.
Dissens zwischen CDU und CSU
CDU und CSU bewerteten den bisherigen Verlauf der Koalitionsverhandlungen unterschiedlich. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betonte, es herrsche keine schlechte Stimmung, sondern man rede angemessen, ernst und leidenschaftlich miteinander. Er betonte die Bereitschaft aller Seiten zuzuhören. Es gebe keinen Grund für Ungeduld. Harte Arbeit brauche ihre Zeit.
Demgegenüber sagte sein CSU-Kollege Dobrindt, ihm dauerten die Koalitionsverhandlungen „zu lange“. Mehrfach wiederholte er das Wort „Dissens“, es gebe „deutlich mehr, als man erwarten konnte“. Dobrindt betonte, es sei „noch ein weiterer Weg“, den man zurückzulegen habe.
Unterschiedliche Signale aus den Arbeitsgruppen
Aus den Facharbeitsgruppen von Union und SPD wurden zuletzt unterschiedliche Signale gesendet. Während Frank-Walter Steinmeier im Bereich Außen- und Verteidigungspolitik eine weitgehende Einigung mit der Union in vielen Punkten melden konnte, berichtete Manuela Schwesig aus der Arbeitsgruppe Frauen und Familie immerhin von substantiellen Teileinigungen zu den Themen Frauenquote, Elterngeld Plus und Pflegezeit.
Im Gegensatz dazu gab es in der Gesundheitspolitik zwischen Union und SPD kaum Verständigung. „Wir haben kein Ergebnis, das ich den Mitgliedern vorlegen kann“, so die ernüchternde Bilanz von SPD-Verhandlungsführer Karl Lauterbach. Besondere Probleme bereitet hier die Finanzierung, so Lauterbach. „Wir haben in der Finanzierung, wenn man ehrlich ist, nichts erreicht. Gar nichts erreicht.“
Zentrale Knackpunkte noch ungelöst
Union und SPD müssen bis Mitte nächster Woche noch in zentralen Politikfeldern Lösungen finden, soll die Große Koalition wie geplant zustande kommen. Hierzu gehören insbesondere die strittigen Themen Mindestlohnhöhe, Betreuungsgeld, doppelte Staatsbürgerschaft, Renteneintrittsalter, PKW-Maut und Homo-Ehe.
Für die SPD-Spitze ist klar: Gibt es in diesen Punkten keine überzeugenden Ergebnisse, wird die Parteiführung den Mitgliedern erst gar keinen Koalitionsvertrag zur Abstimmung vorlegen. Das hat SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem Bundesparteitag in Leipzig unmissverständlich klargestellt – und dafür großen Beifall von den Delegierten erhalten.
Wenig Bewegung vor CSU-Parteitag
Eines der Hauptprobleme in den bisherigen Verhandlungen: Die Union hat bisher alle Finanzierungsvorschläge der SPD ablehnt, wie zum Beispiel die Erhöhung von Steuern für Spitzenverdiener. Eigene Finanzierungsvorschläge, selbst für die eigenen Herzensanliegen wie etwa die Mütterrente, haben CDU und CSU bisher aber nicht vorgelegt. Somit ist noch völlig unklar, wie die von Schwarz und Rot beabsichtigten Projekte finanziert werden sollen.
Beobachter erwarten in dieser Woche noch keine Einigung in den zentralen Knackpunkten. Dabei wird auf den CSU-Parteitag am Wochenende verwiesen. Die Führung der Christsozialen wolle unter allen Umständen vermeiden, sich vor den Delegierten für Kompromisse mit der SPD zu rechtfertigen.