Saskia Esken in Bremen: An der Weser viel Neues
Ulf Buschmann
Bremens aktuelles Sorgenkind ist seine Innenstadt. Daraus machte Bürgermeister Andreas Bovenschulte keinen Hehl. Geschäfte schließen, die Lage verliert an Attraktivität. Aber es gibt eben auch Chancen, und davon reichlich. Deshalb probiert Bremen vieles aus. Pop-Up-Stores, Ladengeschäfte auf Zeit zu einer günstigen Pacht und ein sogenannter Open Space sind zwei der Projekte, mit der die City bespielt werden. Beide standen auch auf dem Programm von SPD-Chefin Saskia Esken bei ihrem Besuch am Mittwoch.
Die Stadt neu interpretieren
Der Open Space ist ein Angebot an die Menschen, nach Wochen des Lockdowns kostenlos und draußen Kultur und Begegnung im Herzen der Stadt zu genießen – gefördert unter anderem mit Geld aus dem Wirtschaftsressort. Esken zeigte sich beeindruckt von dem Gebilde, das komplett aus einem Stahlgerüst besteht. Einer, der sich besonders über das zeitlich befristete Projekt freute, war Roland Lambrette. Der Rektor der Hochschule für Künste Bremen befand: „Jetzt haben wir die Chance, Stadt neu zu interpretieren.“ Jetzt, da die Stadt im Umbruch sei, sei die Zeit da zum Experimentieren.
Esken nahm den Open Space zum Anlass darauf hinzuweisen, wie wichtig die wirtschaftliche, soziale und auch kulturelle Mischung im Stadtraum ist. Dafür müsse die Bundespolitik zusammen mit den Ländern die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Schließlich brauchten die Kommunen vor allem finanziellen Spielraum, um sich entwickeln zu können. In Bremen beeindrucke sie, wie die gesamte Stadtgesellschaft mit anpackt. Dies sei für den Umbau notwendig.
Aus der Fabrik wird ein Wohnquartier
Wie Neues in Bremen entsteht, erklärte der Bürgermeister Bovenschulte der SPD-Co-Vorsitzenden anhand des Pop-Up-Store-Konzepts: Existenzgründer*innen können für einen bestimmten Zeitraum zu günstigen Mieten ein Ladengeschäft bekommen. Damit wird nicht nur die Innenstadt belebt, sondern die Start-Ups bekommen auch eine notwendige Starthilfe.
Unternehmer wie Johann Christian Jacobs haben das nicht nötig. Der Spross der Kaffeedynastie und Vorstandsvorsitzende von Joh. Jacobs & Co. sprach gegenüber Esken von einem „Überleiten in eine neue Stadtkultur“. Diesen Prozess begleitet er mit Investitionen in ein kleines Innenstadtquartier. Dazu gehören neben dem Jacobs-Stammhaus vier weitere Immobilien.
Eines der größten Bremer Entwicklungsprojekte ist das Tabakquartier auf der rechten Weserseite. Dort empfingen Esken und Bovenschulte Joachim Linnemann, Geschäftsführender Gesellschafter des Projektentwicklers Justus Grosse und Christian Kötter-Lixfeld, Intendant und Geschäftsführer Bremer Philharmoniker. Dass beide, der Investor und der Kulturmanager vor Ort waren, hatte einen Grund. Viele Jahrzehnte stand dort eine Zigarettenfabrik. Nun jedoch entsteht dort ein ganz neues Quartier mit bis zu 3.000 Arbeitsplätzen sowie 1.300 bis 1.500 Wohnungen – eine Richtung ganz im Sinne der SPD-Chefin.
Kultur zu den Menschen bringen
Aber das Tabakquartier entwickelt sich auch zu dem, was Esken schätzt: zu einem öffentlichen Raum mit Begegnung und Kultur. Letztere hat drei große Ankerpunkte: das „Zentrum der freien Künste“, ein neues Theater mit Schwerpunkt gehobener Boulevard und einer neuen Spielstätte der Bremer Philharmoniker. Theater und Spielsaal entstehen sozusagen spiegelverkehrt in derselben ehemaligen Fabrikhalle.
Zwar ist der neue Saal für die Philharmoniker noch längst nicht fertig. Doch Kötter-Lixfeld und sein Team wissen schon genau, was sie im Tabakquartier vorhaben – und das beeindruckte ihren Besuch. „Wir müssen zu den Menschen gehen“, sagte der Intendant zu Esken, die zustimmende nickte. Doch der Saal und seine Infrastruktur bieten einiges mehr. „Wir können hier digitale Formate ausprobieren und live senden“, gab Kötter-Lixfeld Esken mit auf den Weg.
Räume für ein selbstbestimmtes Leben
Der wiederum führte die Sozialdemokratin weiter in eines der größten europäischen Stadtentwicklungsprojekte, die Überseestadt. Dort empfing Peter Stubbe, Vorstandsvorsitzender der Gewoba Esken. Bremens größte und kommunale Wohnungsbaugesellschaft engagiert sich vor Ort nicht nur, um Wohnraum zu schaffen. Es geht um mehr, um inklusives Wohnen und Zusammenleben.
Esken schaute sich eine inklusive Wohngemeinschaft an, in der Menschen mit Handicap und Studierende zusammenleben und ihren Alltag zusammen gestalten. „Genau darum geht es“, sagte Esken: „Räume schaffen für ein selbstbestimmtes Leben.“ Dies geschieht auch gleich in der Nachbarschaft im „Blauen Haus“. In einem eigenen Komplex ist der Verein „Blaue Karavane“ mit seiner Werkstatt aktiv, gleich gegenüber einem schön gestalteten Innenhof gibt es Wohnungen für Menschen mit Handicap.
„Erika, die SPD ist da.“
Dass alles auch einige Nummern kleiner funktioniert, erlebte Esken im nördlichen Teil Bremen. Im kleinen Alwin-Lonke-Quartier, entstanden in den 1970er-Jahren, leben 900 Menschen aus 20 Nationen in rund 370 Wohnungen. Und: Im Quartier gibt es sehr viele kinderreiche Familien. Für das soziale Leben sei dies alles „eine Herausforderung“, erklärte Florian Boehlke, zuständiger Ortsamtsleiter des Stadtteils Burglesum. Aber es lasse sich eben doch etwas bewegen. Dabei helfe insbesondere die enge Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen, die auch Esken besuchte: Sie schaute sich im Jugendclub „Fockengrund“ der AWO und in der Begegnungsstätte „Luise Morgenthal“ um.
Insbesondere der Rundgang entschied sich von denen zuvor: Esken hatte eine Gruppe interessierter und durchaus selbstbewusster Kinder an ihrer Seite. Ihnen beantwortete die SPD-Chefin geduldig alle Fragen: „Kennen Sie Frau Merkel?“, „Kennen Sie die Grünen?“. Und dann tat einer der Jungen in Richtung der Leiterin des Spielhauses Fockengrund noch schnell kund: „Erika, die SPD ist da.“