Parteileben

Renate Schmidt: "Ich hatte den besseren Teil"

von Uwe Knüpfer · 21. September 2014

Obwohl sie nie Politikerin werden wollte, machte sie als Bundestagsvizepräsidentin und Bundesministerin Karriere.

Renate Schmidt wollte keine Politikerin werden und war im Bundestag zunächst „todunglücklich“. Wie sie dennoch sogar Bundestags-Vizepräsidentin, später Bundesministerin wurde und eine der einflussreichsten Frauen in der bundesdeutschen Politik, erzählt sie in der Reihe Gelebte Politik. Und auch, warum es ohne sie einen Kanzler Schröder womöglich nie gegeben hätte.

Nach einer „wundervollen“ Kindheit in Franken wurde Renate Pokorny schon mit 17 Jahren zum ersten Mal schwanger. Das galt als Skandal. Die Leiterin ihrer Schule beschied: „Fräulein Pokorny, Sie haben Schande über unsere Schule gebracht.“ Statt zu Studieren absolvierte die junge Ehefrau und Mutter eine Ausbildung zur Programmiererin – allein unter Männern.

Anerkennung hat sie sich stets erkämpft: am Arbeitsplatz, bald als Betriebsrätin, später in der bayerischen SPD, im Bundes- und im Landtag. Dabei kam ihr zupass, wie sie sagt, dass „immer dann, wenn der Karren so richtig im Dreck ist, Frauen gefragt werden, ob sie ihn rausziehen.“

Renate Schmidt

Renate Schmidt wurde Landesvorsitzende der SPD in Bayern, bestand drauf, auch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, legte sich mit bedeutenden Bezirksfürsten an und kandidierte in den 1990er Jahren zwei Mal gegen Edmund Stoiber um das Amt des Ministerpräsidenten. Sie verlor beide Male. Ihr Bundestagsmandat hingegen hat sie 1980 gegen einen etablierten CSU-Amtsträger zur allgemeinen Verblüffung auf Anhieb erkämpft.

Inzwischen dreifache Mutter und gewohnt, stets das Sagen zu haben, war sie als eine unter sehr wenigen Frauen im Bundestag dort zunächst „todunglücklich“. Zumal der mächtige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner „mich in der Fraktion zur Sau gemacht hat – ich habe in keinen Schuh mehr gepasst.“

Nicht nur aus diesem Grund kann sie die verbreitete hohe Wertschätzung Wehners nicht teilen: „Ich glaube, dass Herbert Wehner mit dazu beigetragen hat, dass wir 1982 aus der Regierung geflogen sind.“ Der „Zuchtmeister“ Wehner habe dem Kanzler Helmut Schmidt nicht mehr die richtigen Signale gegeben.
Das Alphabet machte Renate Schmidt und Gerhard Schröder zu Sitznachbarn. „Wir haben uns geschätzt.“ Ja, möglicherweise wäre Schröder ohne Schmidt nie Kanzler geworden.

1995, auf dem Mannheimer „Putsch“-Parteitag, scheiterte Schröder im ersten Anlauf bei der Wahl zum Parteivorstand – und wollte vor dem zweiten Wahlgang aufgeben. Da habe sie ihm kategorisch befohlen: „Gerd, Du kandidierst jetzt!“ Schröder folgte – und wurde gewählt. Renate Schmidt ist überzeugt: „Er hätte sich sonst rauskatapultiert.“

Gerhard Schröder holte die streitbare Fränkin 2002 als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in sein zweites Kabinett. Mit Folgen. Statt wie üblich weitere Erhöhungen des Kindergeldes zu fordern, betrieb Schmidt energisch den „Paradigmenwechsel in der Familienpolitik“. Weg vom Geldverteilen hin zu verbesserten Betreuungsangeboten.

Sie begann mit dem Ausbau der Kinderbetreuung für Unter-drei-Jährige. Sie setzte den Alleinerziehenden-Freibetrag durch und den Kinderzuschlag für Geringverdiener. „Im Anfang gegen sämtlich Widerstände“, wie sie sich erinnert.

2005, beim Wechsel von Rot-Grün zur Großen Koalition, musste Renate Schmidt  ihren Ministerstuhl für Frau von der Leyen von der CDU räumen. Mit zeitlichem Abstand hat sie ihren anfänglichen „Groll“ darüber überwunden. Sie sieht, dass Frau von der Leyen Erfolg hatte, wo sie als Sozialdemokratin wohl gegen eine schwarze Wand aus CDU und CSU gelaufen wäre.

„Das Elterngeld hat zwei Mütter,“ sagt sie heute: „Ich war bei der Zeugung dabei, Frau von der Leyen bei der Geburt. Insofern habe ich den besseren Teil gehabt.“


In der vorwärts-Reihe „Gelebte Politik“ berichten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die viel erlebt haben, über ihre Erfahrungen. Renate Schmidt erzählt im achten Teil der Serie über ihren Weg in die Politik und warum es ohne sie einen Kanzler Schröder womöglich nie gegeben hätte.

Interview: Uwe Knüpfer, Bearbeitung: Andi Kunze

Autor*in
Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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