Regine-Hildebrandt-Preis: Menschliches Miteinander schafft Einheit
Dirk Bleicker
Regine Hildebrandt hatte eine große Klappe – und dafür wird sie bis heute geliebt. Wenn irgendwo klare Worte gebraucht wurden: Hildebrandt war zur Stelle, direkt und unprätentiös. Dass ein Charakter wie die 2001 verstorbene Politikerin heute mehr denn je gebraucht würde, zeigte sich bei der Verleihung des diesjährigen Regine-Hildebrandt-Preises am Donnerstagabend im Berliner Willy-Brandt-Haus. Im Einspielfilm sagte Hildebrandt: „Ich will eine solidarischere Gesellschaft als die, die wir haben.“ Und damit war das Thema für den Abend gesetzt.
Ausgezeichnete Projekte: offener Umgang miteinander
Die großen hildebrandtschen Themen Solidarität, Freiheit und soziale Gerechtigkeit sind 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung aktueller denn je, die Herausforderungen sind vielfältig. Die Jury des Regine-Hildebrandt-Preises unter Vorsitz von Manuela Schwesig hat das Jubiläum zum Anlass genommen, erstmalig einen Ehrenpreis zu verleihen: Der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe wurde damit für sein Lebenswerk sowie seine herausragenden Verdienste gewürdigt.
Den mit 20 000 Euro dotierten Regine-Hildebrandt-Preis erhielten zwei Initiativen: das Begegnungszentrum Wittenberg West und der Verein Berufliches und Soziales Lernen im Hunsrück e.V. Beide Preisträger setzen sich für einen offenen Umgang miteinander ein. Wolfgang Tiefensee, Vorsitzender des Forums Ostdeutschland, sagte in seiner Laudatio, man dürfe sich Ausländerhass, wie ihn u.a. die AfD propagiere, nicht bieten lassen. Die beiden in diesem Jahr ausgezeichneten Projekte hätten jeweils eine eigene Antwort auf solche Ressentiments gefunden.
Probleme direkt vor Ort anpacken
Der Verein Berufliches und Soziales Lernen im Hunsrück e.V. betreibt eine gemeinnützige Ausbildungsstätte, die es jungen Menschen ermöglicht, ins Tischlerhandwerk einzusteigen. Zielgruppe sind Jugendliche in schwierigen Lebenslagen, dazu gehören auch Flüchtlinge. Zur Preisverleihung kamen zwei der momentan acht Auszubildenden, sie stammen aus Afghanistan. Das Begegnungszentrum Wittenberg West betreibt seit 2010 einen Nachbarschaftstreff, zu dem mittlerweile auch viele Flüchtlinge aus Syrien kommen. Der Verein versucht, ihnen mit Sprachpatenschaften beim Deutsch lernen zu helfen.
Zwei Projekte also, mit denen auch Regine Hildebrandt viel hätte anfangen können: Pompösen Reden konnte sich nichts abgewinnen, lieber packte sie Probleme direkt vor Ort an und setzte sich dafür ein, dass niemand zurückbleibt. Nach dem Mauerfall wurde Hildebrandt zur unermüdlichen Anwältin der Ostdeutschen, zusammen mit Manfred Stolpe. Manuela Schwesig sagte über das ungleiche Gespann aus bedächtig-zurückhaltendem Stolpe und ungeduldig-lauten Hildebrandt: „Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt haben Seite an Seite die deutsche Einheit gestaltet.“ Es sei das menschliche Miteinander, welches Einheit schaffe und dafür seien die beiden ostdeutschen Politiker das beste Beispiel gewesen.
„Wer abwartet, hat schon verloren“
Sigmar Gabriel erinnerte in seiner Laudatio daran, was der kürzlich verstorbene Helmut Schmidt über seinen Freund Stolpe zu sagen pflegte: „Sein innerer Kompass hat stets in die richtige Richtung gewiesen.“ Aus dem Munde des trockenen Hanseaten Schmidt sei das das allerhöchste Lob gewesen. Gemeinsam seien Stolpe und Hildebrandt während der Wende zwei – sehr unterschiedliche – Stimmen gewesen, die in einer für viele Menschen aus dem ehemaligen Osten unsicheren Zeit „Halt und Orientierung boten“. Auch angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise hätte Regine Hildebrandt genau gewusst, was zu tun sei – schließlich lautete ihr Motto: „Wer abwartet, hat schon verloren.“
Manfred Stolpe erzählte in seiner Dankesrede davon, wie Regine Hildebrandt Bundeskanzler Helmut Kohl und seinen Minister Norbert Blüm in Angst und Schrecken versetzte. Sie hätte Kohl energisch entgegengeschleudert: „Herr Kanzler, wissen Sie, was im Osten los ist?“ Wusste Kohl nicht, aber Hildebrandt war nur zu gerne bereit, es ihm zu erklären. „Regine Hildebrandt ist in den Herzen der Menschen“, so Stolpe.