Parteileben

Raus aus der Krise: Mit Ritualen die SPD erneuern

Sophie Frühwald glaubt an die Erneuerungsfähigkeit der SPD. Politische Bildungsarbeit und der Streit um die besten Ideen an der Basis müssen wieder zum sozialdemokratischen Ritual werden, fordert sie.
von Sophie Frühwald · 22. Januar 2019
Das Debattencamp im November war für Sophie Frühwald ein erfolgreiches Format zur Erneuerung der SPD.
Das Debattencamp im November war für Sophie Frühwald ein erfolgreiches Format zur Erneuerung der SPD.

Jeden Morgen mache ich als erstes die Presseschau in der Deutschlandfunk-App an und starte mit einem Update zur politischen Lage in den Tag. An dem Montag, an dem ich diesen Artikel anfange, beginnt sie mit den Kommentaren der Tageszeitungen zu Olaf Scholz, der sich als potentieller Kanzlerkandidat der SPD für 2021 ins Spiel bringt. Statt meinen Kaffee aufzugießen und mein Bett zu machen möchte ich mich sofort wieder in selbigem verkriechen. Ein Blick auf Twitter und einige Nachrichten-Apps: Alle sprechen darüber, es hagelt Kritik, auch und vor allem aus den eigenen Reihen. 

Das Jahr 2019 ist nur wenige Wochen alt und alles, worüber bezüglich der SPD momentan berichtet und gesprochen wird, sind Personalien. Die inhaltliche Erneuerung scheint mal wieder über den Tellerrand hinunterzufallen.

Was ist das für 1 Erneuerung?

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der das Wort Erneuerung in mir Hoffnung hervorrief. Damit meine ich nicht das viel beschworene „früher war alles besser“. Diese Zeit ist noch gar nicht so lange her. Im Oktober 2017 habe ich mit vielen anderen beschlossen, Teil dieser Erneuerung sein zu wollen. Überall wurde angepackt, in meinen Ortsverein sind nach der Bundestagswahl fast so viele neu eingetreten wie während des Schulz-Hypes. Auch ich habe beschlossen, zum ersten Mal Parteibasisarbeit in mein Engagement zu integrieren, das davor aus Jusos und Juso-Hochschulgruppen bestand. Was folgte, waren viele Ortsvereinssitzungen. Zu manchen habe ich mich hingequält. Vor einem Jahr wurde ich überraschend stellvertretende Vorsitzende meines Ortsvereins, meine Vorgängerin hatte mich spontan vorgeschlagen. Gerade versuchen wir die Arbeit des Ortsvereins neu zu beleben.

Seit Beginn meiner Juso-Arbeit 2010 und meinem Eintritt 2012 habe ich mich häufig über die SPD geärgert. Zweimal bei einem Mitgliederentscheid mit Nein gestimmt, zweimal die GroKo nicht verhindern können, unzählige Fehlentscheidungen. An Austritt habe ich nie gedacht, obwohl einige Weggefährt*innen in den vergangenen Jahren die SPD verlassen haben. 

Die Partei ist erneuerungsfähig

Ich glaube weiterhin daran, dass diese Partei erneuerungsfähig ist. Sie muss es sein, wenn sie auch für die Generation meiner Kinder streiten will. Wer sonst soll es tun? Ich bin die erste Generation mit studierten Eltern in meiner Familie und ich weiß, dass politisch vor allem die SPD das ermöglicht hat. Weil sie seit über 150 Jahren für gerechte Chancen in der Bildung kämpft. 

Damit die SPD das auch in Zukunft tut, ist es an der Zeit für eine ernstgemeinte Erneuerung. Eine Aufgabe, die weh tut und Anstrengung verlangt. Nicht nur vom Parteivorstand oder von Mandatsträger*innen, sondern von vielen Mitgliedern an der Basis. Das ist keine Aufgabe allein für 2019, sondern ein Marathon, der sich über Jahre ziehen wird. Veränderungen können wir im Kleinen schnell und kurzfristig, im Großen nur mit langem Atem umsetzen, wenn wir wollen, dass sie dauerhaft wirkungsvoll bleiben.

#spderneuern – was kommt jetzt?

Liebe SPD, wir müssen reden. Darüber, dass ich Genoss*innen habe, die mir sagen: „Ich würde gerne am Wahlkampfstand helfen, aber ich weiß nicht (mehr), was ich den Menschen da sagen soll.“ Oder darüber, dass inhaltliche und personelle Entscheidungen anders getroffen werden müssen, damit sie innerparteilich diskutiert und nach außen gemeinsam verantwortet werden können. Darüber, dass Wahlslogans wie Zeit für Gerechtigkeit aus der Sicht vieler Bürger*innen einfach nicht mehr mit Inhalt gefüllt werden können.

Ich wünsche mir eine SPD, die genauso über langfristige Ziele diskutiert wie über kurzfristige Maßnahmen, die das alltägliche Leben von Menschen verbessern. Die Möglichkeiten zur Umverteilung von Vermögen stehen dabei genauso auf der Tagesordnung wie die Frage, wie wir den Wandel auf dem Arbeitsmarkt sozial und ökologisch gestalten können. Das Debattencamp im November hat für mich gezeigt, wie viele Menschen in der SPD dazu bereit sind, konstruktiv über diese Fragen zu streiten. Und dann gemeinsam Positionen zu formulieren. 

Erneuerung sozialdemokratischer Bildungpolitik 

Als Aktive in einem jungsozialistischen Studierendenverband und ehemalige Juso-Schülerin liegt mir Gerechtigkeit im Bildungsbereich besonders am Herzen. Wenn das Versprechen Aufstieg durch Bildung auch für die Generationen nach mir gelten soll, muss die SPD bildungspolitisch weg von Kleinstkorrekturen in den Ländern und hin zu einer radikal gerechten Politik im Bund. Es braucht zuerst den Fall des Kooperationsverbots. Ich wünsche mir, dass man sich nicht scheut, das System auf den Kopf zu stellen. Schüler*innen und Studierende leiden nicht ohne Grund immer stärker unter Belastungen und psychischen Erkrankungen. 

Die SPD darf die Abschaffung von Noten und Reduzierung von Prüfungsleistungen fordern. Sie darf das tun zugunsten einer Bildung, die kritisches Denken und eigenständiges Interesse in den Vordergrund stellt. Die Schüler*innen als mündige Subjekte stärken will, nicht als Sammeleimer für Informationen. Die dem Trend entgegenwirkt, dass sich Menschen mit einem deutschen Bildungsabschluss unter Auschwitz nichts mehr vorstellen können.

Alle digitale Kompetenz ist nichts, wenn wir es nicht schaffen, ein Bewusstsein für die Verantwortung deutscher Geschichte zu schaffen. Jeder besonders gute Schnitt eines Abiturjahrgangs ist nichts, wenn das Grundgesetz zwar auswendig gelernt, aber nicht diskutiert, befragt und ernstgenommen wird. Demokratie kann nicht eingeimpft, sie muss erlernt werden. Eine sozialdemokratische Bildungspolitik, die das im Blick hat, birgt die Chance im Kleinen unsere Gesellschaft zum Großen zu verändern. Den Mut dazu, den wünsche ich meiner SPD. 

Ich will, dass Menschen, egal wer sie sind und woher sie kommen, was sie interessiert und wo ihre Stärken liegen, die SPD als Mitmachpartei erleben. Dass bei ihnen ankommt: Schön, dass du da bist, mach mit, bring dich ein. Auf dich kommt es an! 

Parteiarbeit neu denken

Gerade junge Menschen, insbesondere junge Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Nicht-Akademiker*innen erleben viel zu häufig eine ganz andere Realität in der Parteiarbeit. Die Reflektion der eigenen Strukturen, ihr Hinterfragen und Verändern, muss ständiger Teil unserer Arbeit werden.

Dazu gehört es, Feedback ernst zu nehmen, eigene Denkmuster zu hinterfragen, sich selbst und andere für Diskriminierungsformen zu sensibilisieren. Genauso gehört dazu, endlich Listenaufstellungen an die Realität anzupassen, weg vom reinen Alteritätsprinzip und Regionalproporz und hin zu einer Personalpolitik, die inhaltliche Arbeit, Engagement und Vielfalt fördert. Quereinsteiger*innen bereichern die Parteiarbeit und bringen ihre Eindrücke und Expertise mit. Mit ihnen neue Wege zu gehen und Menschen aus der Zivilgesellschaft aufzustellen kann die SPD in Zukunft auch in der Breite wieder stärken. 

Dieser Artikel erschien zunächst auf dem Portal ruhrbarone.de.

Autor*in
Sophie Frühwald
Sophie Frühwald

(23), studiert Evangelische Theologie in Marburg, ist seit 2017 Landeskoordinatorin der Juso-Hochschulgruppen Hessen und für diese im Landesvorstand der HessenSPD, arbeitet zu Feminismus, Hochschul- und Religionspolitik.

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