Parteileben

Ralf Stegner: Zwölf Punkte für die Sanierung der SPD

Mangelnde Glaubwürdigkeit, regionale Schwächen und der Verlust von Hochburgen: Nach ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl muss die SPD von Grund auf saniert werden, sagt Ralf Stegner. Zwölf Veränderungsvorschläge des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden
von Ralf Stegner · 24. Oktober 2017
„Die Oppositionszeit muss jetzt genutzt werden, um den erforder­lichen Erneuerungsprozess in Gang zu setzen“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner – und formuliert zwölf Punkte für eine Grundsanierung der Partei.
„Die Oppositionszeit muss jetzt genutzt werden, um den erforder­lichen Erneuerungsprozess in Gang zu setzen“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner – und formuliert zwölf Punkte für eine Grundsanierung der Partei.

Die SPD hat bei der Bundestagswahl 2017 gerade noch 20,5 Prozent der Zweitstimmen erreicht. Auch wenn die Gründe vielschichtig sind, war die Frage mangelnder Unter­scheid­barkeit von der Union sicher entscheidend für das schlechte Abschneiden. In die Opposition zu gehen, ist für uns daher folge­richtig und konsequent. Die Oppositionszeit muss jetzt genutzt werden, um den erforder­lichen Erneuerungsprozess in Gang zu setzen.

Die SPD muss sich zu ihren Fehlern bekennen

Die SPD muss sich in erster Linie um die Verun­sicherung und Veränderungsängste von Menschen kümmern. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen und die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht Antworten auf die Fragen, die mit Globalisierung, Digitalisierung, Terrorismus, Fluchtbewegungen und subjektiver wie objektiver sozialer Unsicherheit einhergehen. Hinzu kommt das Anwachsen des Rechtspopulismus, das für zweistellige Ergebnisse der AfD in den Parlamenten gesorgt hat. Auch die Vertrauenskrise nach den rot-grünen Sozial­reformen, die zur Gründung und zum Erstarken der Linkspartei im Westen geführt hat, wirkt bis heute fort.

Die Lösung von Zukunftsproblemen kann allerdings nicht in einer masochistischen Dauerbeschäftigung mit der Agenda 2010 liegen. Manche Fehler wurden bereits korrigiert. Dieses Kapitel muss endlich geschlossen werden, indem wir uns zu den Irrtümern bekennen. Die Anpassung an den neo­liberalen Zeitgeist wie im Schröder-Blair-Papier und die Inkaufnahme prekärer Arbeitsverhältnisse waren schwere Fehler! Dies gilt jedoch keineswegs für alle damaligen Reformen im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit.

Die SPD hat keine Hochburgen mehr

Die ausgeprägten regionalen Schwächen der SPD, ganz besonders im Süden und Osten des Landes, sind längst Strukturschwächen. Allerdings hat die Bundestagswahl auch gezeigt, dass es gar keine Hochburgen mehr gab. Ein Zweitstimmenanteil in den Ländern zwischen zehn und 27 Prozent sind selbst am oberen Ende der Spanne ein Alarmsignal. Das Durchschnittsalter der SPD-Mitglieder liegt bei mehr als 60 Jahren, die ehrenamtlich getragene Kampagnenfähigkeit ist in weiten Teilen nicht mehr vorhanden, gravierende Organisations- und Finanzprobleme kommen hinzu.

Trotz des ermutigenden Erfolgs bei der Landtagswahl in Nieder­sachsen wäre daher jedwede Beschönigung der Lage fehl am Platze. Ein „weiter so“ mit allenfalls marginalen Veränderungen ist keine Option.

Die SPD braucht klare Ziele

.Eine Erneuerung von Programm, Struktur und Organisation ist essentiell für die SPD! Sie muss klare Ziele haben. Die Antworten müssen jetzt durch den Diskussionsprozess innerhalb der SPD erbracht werden. Auch ich habe noch viele Fragen und will nur ein paar Zielrichtungen beschreiben. Zwölf Gewerke sind für diesen Prozess nach meiner Meinung besonders wichtig:

1. Die linke Volkspartei SPD braucht ein neues Grundsatzprogramm!

Die Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms bietet die Chance, in größtmöglicher innerparteilicher Demokratie wichtige Zukunftsfragen von Arbeit, Bildung und Teilhabe auch mit Blick auf das digitale Zeitalter zu diskutieren und vor allem: zu entscheiden.

2. Globale Gerechtigkeit muss auf die Tagesordnung: Jetzt!

„Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge.“ Wer das ernst meint, muss jetzt handeln. Das ist ethisch geboten und ökonomisch notwendig.

3. Die SPD muss wieder DIE Friedens- und Europapartei sein

„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Wirtschaftliche Anreize zu setzen und Kooperationsbemühungen zu stärken, statt einer Sanktionseigendynamik und Aufrüstungsspirale das Wort zu reden, muss auch funktionieren, ohne faule Kompromisse bei Menschenrechtsfragen einzugehen. Europa ist und bleibt der Garant für Wohlstand und Frieden.

4. Die SPD bleibt die Partei der „guten“ Arbeit

Arbeit 4.0 ist keine Naturkatastrophe, sondern eine Chance. Noch jede industrielle Revolution hat bislang nicht zu weniger Arbeitsplätzen in Deutschland geführt, sondern zu einem Anstieg! Es geht darum, die digitale Revolution auszugestalten und demokratische, politische Entscheidungsoptionen zu bewahren. Die kollektive Absicherung von Arbeit­nehmer­interessen und die Tarifbindung sind keine Instrumente von gestern. Sie sind Anker zur Gestaltung guter Arbeit in der digitalen Zukunft.

5. Soziale Sicherungssysteme solidarischer und zukunftsfest machen

Die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge war ein Irrweg. Die Absicherung von Gesundheit, Pflege und Arbeitslosigkeit dürfen nicht in den Händen privater Investoren liegen. Sie obliegen zuvorderst der staatlichen Fürsorgepflicht. Die Einführung einer Bürgerversicherung kann daher nur ein erster Schritt sein.

6. Bildungsgerechtigkeit herstellen

Das sozialdemokratische Erfolgsmodell und Paradigma von „Aufstieg durch Bildung“ muss hinterfragt werden. Die Vorstellung einer Arbeitsgesellschaft, die sich in unten und oben gliedert, ist nicht mehr zeitgemäß. Sozialdemokraten wollen Menschen ermöglichen, so zu leben und zu lernen wie sie wollen. Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden.

7. Für einen handlungsfähigen Staat sorgen

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass der Staat handlungsfähig ist. Ein handlungsfähiger Staat investiert in seine Infrastruktur, sorgt für innere und äußere Sicherheit, bietet ein lebenswertes Gemeindewesen und finanziert dies durch nach dem Solidarprinzip erhobene Steuern.

8. Kommunale Demokratie stärken

Die Daseinsvorsorge ist eine besondere kommunale Verantwortung, die - wo immer möglich - von demokratisch legitimierten kommunalen Gremien kontrolliert und nicht in fernen Konzernzentralen mit Profitinteressen gesteuert werden sollte.

9. Integration fördern, Demokratiefeinde bekämpfen!

Kulturelle Vielfalt und gemeinsame Identität sind das Gebot einer erfolgreichen Integrations­politik. Sozialdemokratische Politik wird sich immer gegen Ressentiments und Populismus wenden und die Demokratiefeinde konsequent bekämpfen.

10. Auch in der SPD „Mehr Demokratie wagen“

Das Parteileben dieser ältesten demokratischen Partei Deutschlands darf nicht lieblos ver­waltet werden, sondern muss den Stolz auf das Erreichte mit der Diskussion spannender Zukunfts­fragen verbinden. Dafür müssen wir kontroverse Debatten nicht nur zulassen, sondern anstoßen!

11. Bündnisfragen pragmatisch behandeln

Unser Anspruch muss es sein, die politische Vertretung der demokratischen Linken in Deutschland zu sein die mit der Volkspartei Mitte rechts um politische Mehrheiten kämpft.

12. Gute Kommunikation ist der Schlüssel

In der medialen Massendemokratie ist gute Kommunikation eine unabdingbare Voraus­setzung der Politik. Ehrlichkeit und Überzeugungskraft müssen Währung der SPD sein. Wir brauchen Leidenschaft statt Technokratie. Politik heißt, Menschen von der eigenen Haltung zu überzeugen – nicht, sich dem Mainstream anzudienen.

Martin Schulz wird die Erneuerung steuern

Die Erneuerung der SPD ist ein intensiver und langwieriger Prozess für die nächsten Jahre. Martin Schulz wird als Parteivorsitzender diesen Erneuerungsprozess steuern. Wenn wir ihn alle darin unterstützen, kann er gelingen. Die Opposition gegen die Schwarze-Ampel-Koalition auf Bundesebene ist dafür eine gute Startbasis. Entscheidend für das Gelingen dieses Erneuerungsprozesses ist es sicher auch, dass der innerparteiliche Umgang miteinander auch unseren Grundwerten entspricht.

Bei aller Lebendigkeit einer innerparteilichen Diskussionskultur und bei aller gesunden Meinungsvielfalt wäre das Bild, dass die eigentlichen Gegner in der eigenen Partei sind, fatal. Parteiflügel sollen inhaltliche Orientierung geben und unserer SPD helfen, als echte Volkspartei in unterschiedliche Milieus hineinzuwirken. Sie sind keine Schaltstelle für personelle Deals. Anwürfe gegen die Verantwortlichen der Partei aus dem Ruhestand, anonyme Hintergrundgespräche, die Parteikollegen diskreditieren sollen – all das schadet nur der SPD und nützt ausschließlich der politischen Konkurrenz.

Das vollständige Papier „Großbaustelle SPD – Vom Keller bis zum Dach muss saniert werden!“ von Ralf Stegner können Sie hier herunterladen.

Autor*in
Ralf Stegner
Ralf Stegner

ist Vorsitzender des Afghanistan-Untersuchungsausschusses im Bundestag.

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