Parteileben

Politik am Stammtisch: Wie die SPD in Freiberg im Gespräch bleibt

Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr büßte die SPD in Freiberg Stimmen ein. Und auch sonst haben die Sozialdemokrat*innen in der sächsischen Bergbau-Stadt keinen leichten Stand. Sie halten dagegen, mit einem gewissen Trotz und frischen Ideen.
von Kai Doering · 24. Februar 2020
Unterwegs auf schwierigem Pflaster: Die SPD im sächsischen Freiberg setzt auf den persönlichen Kontakt – und einen monatlichen politischen Stammtisch.
Unterwegs auf schwierigem Pflaster: Die SPD im sächsischen Freiberg setzt auf den persönlichen Kontakt – und einen monatlichen politischen Stammtisch.

Ein leichtes Pflaster war ­Freiberg für die SPD nie. Zwar kann die ­Partei in der Bergbau-Stadt 30 ­Kilometer südwestlich von Dresden auf eine knapp 150-jährige Geschichte zurück­blicken. „Aber fast die Hälfte der Zeit durfte die SPD in Freiberg nicht präsent sein“, weiß Reiner Hoffmann. Der pensionierte Ingenieur ist so etwas wie der Ortsvereinshistoriker. „Dreimal war die Partei verboten: zuerst durch das Bismarcksche Sozialisten­gesetz, dann von den Nazis und schließlich in der DDR.“ Doch bereits im November 1989 wurde die Partei in Freiberg wiedergegründet.

An einer Hauswand in der historischen Altstadt weist eine Bronzetafel auf die erste Gründung am 1. März 1873 hin. Ein paar Meter entfernt, am Amtsgericht, erinnert eine Gedenktafel an einen anderen Sozialdemokraten. Im Sommer 1886 wurde hier August ­Bebel wegen „Geheimbündelei“ zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. Der „Freiberger Anzeiger“ veröffentlichte das mehrseitige Urteil als „Sonntagslektüre“. „Freiberg war eine Beamtenstadt. Da herrschte eine klare Anti-SPD-Stimmung“, sagt Reiner Hoffmann.

Gegenhalten gegen die AfD

Ganz so schlimm ist es heute nicht mehr. Die 90 Mitglieder des Ortsvereins machen seit Jahren das Beste aus ihrer ­Situation. Arnd Böttcher war von Anfang an dabei, Wiedergründungsmitglied 1989, danach elf Jahre Bürgermeister für Wirtschaft, Soziales und öffentliche Ordnung, Finanzbürgermeister und bis heute Stadtrat. „Wir haben entscheidend daran mitgewirkt, die heute existierenden Gewerbegebiete zu entwickeln und viele städtische Betriebe gegründet, die heute erfolgreich wirtschaften“, erzählt er.

Bei der Wahl des Stadtrats im vergangenen Jahr schrumpfte die Fraktion dennoch von fünf auf drei Mitglieder. Der Oberbürgermeister war bereits 2018 aus der SPD ausgetreten. „Wir sind jetzt freier, werden aber auch weniger wahrgenommen“, beschreibt die Fraktionsvorsitzende Alena Raatz die Konsequenzen. Im 34-köpfigen Stadtrat hält die AfD die meisten Mandate. Gemeinsam mit CDU, FDP und ­Freien Wählern haben die vier Parteien die Mehrheit. „Wir verbessern unsere Pressearbeit, um dagegenzuhalten“, sagt Raatz.

„Auch mit denen reden, die nicht unserer Meinung sind“

Vor allem aber setzt die Freiberger SPD auf den direkten Kontakt. Das war besonders im Landtagswahlkampf 2019 zu spüren als der 29-jährige Kandidat ­Alexander Geißler für Furore sorgte. Er lockte nicht nur SPD-Landeschef Martin Dulig nach Freiberg, sondern auch den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und Generalsekretär Lars Klingbeil. Auf dem Obermarkt verteilten beide Eis und kamen dabei mit den Menschen ins Gespräch. „Wir müssen regelmäßige Angebote schaffen, um als SPD sichtbar zu sein“, ist Alexander Geißler überzeugt. Neben Infoständen vor jeder Stadtratssitzung und Sprechstunden bietet der Ortsverein deshalb an jedem 11. eines Monats einen Stammtisch an, der für alle offen ist.

Im Januar sitzen deshalb sieben Männer und eine Frau in der „Stadtwirtschaft“ bei tschechischem Bier und Hausmannskost um einen großen Holztisch und diskutieren über die Bonpflicht, die Ereignisse im Leipziger Stadtteil Connewitz und die Lage im Iran. „Ich habe am Anfang nicht viel von der SPD gehalten“, gibt Maik Wolf zu. „Aber ich diskutiere gern politisch.“ Zum Stammtisch ist er deshalb schon öfter gekommen. „Wir müssen auch mit denen reden, die nicht unserer Meinung sind“, ist ­Alexander Geißler überzeugt. Nur so erfahre die SPD, was die Menschen bewegt.

Viel vor für das neue Jahr

Dass das nicht immer leicht ist, weiß ­Alena Raatz aus eigener Erfahrung. Die besten Gespräche habe sie bisher ­„inkognito“ geführt. „Die Menschen sind offener, wenn man nicht unter einem SPD-Schirm steht“, hat sie beobachtet. Der sei häufig ohnehin überflüssig: In Freiberg kenne jeder jeden.

Für das neue Jahr hat sich der OV vorgenommen, stärker auf die Unternehmen vor Ort zuzugehen. „Wir wollen sie anschreiben und einen Besuch anbieten“, erzählt Jürgen ­Kretzschmar, der OV-­Vorsitzende. „Auch unsere Städtepartnerschaft mit Darmstadt wollen wir wieder intensiver pflegen.“ Und natürlich wird es weiter die monatlichen Stamm­tische geben. „Der Wirt hat uns sogar einen eigenen Wimpel spendiert“, erzählt ­Alexander Geißler.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare