Parteileben

Peer Steinbrück: „Wir können den Wechsel schaffen“

von Susanne Dohrn · 21. September 2014

„Klartext Open Air“ ist angekündigt und Peer Steinbrück spricht Klartext. Zum SPD-Wahlkampfauftakt mit Olaf Scholz in Hamburg kündigt der SPD-Kanzlerkandidat an: „Wir können die Regierung ablösen.“ Mitgebracht hat er die sechs Frauen seines Kompetenzteams

Hamburg, Michelwiese, 18 Uhr, 2500 sind gekommen, um vor allem ihn zu hören: Peer Steinbrück. „Wenn er Kanzler werden will, muss ich wissen, was er zu sagen hat“, sagt Peter Kuczera (76). Silke Brüggemann (43) geht einen Schritt weiter: „Ich bin hier, um mich überzeugen zu lassen, dass ich die SPD wähle.“ Hamburg ist SPD-Hochburg. Hier regieren der Erste Bürgermeister Olaf Scholz und die SPD mit absoluter Mehrheit, hier ist Peer Steinbrück aufgewachsen, hier im Schatten der Hauptkirche St. Michaelis findet sein Wahlkampfauftakt statt.

In Hamburg kennt der SPD-Kanzlerkandidat sich aus. Das macht er gleich zu Anfang seiner Rede klar. „Um die Ecke ist der Laden mit den schönsten Schiffsmodellen, die man in Deutschland kaufen kann“, sagt er und zeigt auf eine kleine Straße abseits der Michelwiese. Da spricht noch Peer Steinbrück der Privatmann, der Bastler, der als Kind Schiffsmodelle gebaut hat. Dann folgt Peer Steinbrück der Wahlkämpfer. Klartext hat er versprochen und Klartext wird geliefert: „Wir können diese Regierung ablösen mit mir als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.“ Applaus brandet auf. Das wollen sie hören, die wie in einer Manege dichtgedrängt an roten Tischen und Bänken sitzen und stehen.

Nah dran am Kandidaten

Sie erleben einen angriffslustigen Kanzlerkandidaten. Die Bundesregierung nennt er die „zerstrittenste und tatenloseste“ seit der Wende 1989 – eine Regierung, die aussitzt, statt zu gestalten, die trotz sprudelnder Steuereinnahmen die Neuverschuldung um 100 Milliarden Euro erhöht hat und wichtige Probleme – vom Pflegenotstand über Altersarmut bis zur maroden Infrastruktur – auf die lange Bank geschoben hat. Eine Regierung, die die Energiewende gegen die Wand gefahren hat und ein „unsägliches Betreuungsgeld“ einführt, statt dafür zu sorgen, dass Frauen Beruf und Familie vereinbaren können.

Dagegen stellt Peer Steinbrück das Programm der SPD. Ganz oben auf seiner Liste: ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro. „Sieben Millionen Menschen in Deutschland arbeiten für weniger als 8,50 Euro. 1,4 Millionen arbeiten Vollzeit und können davon nicht leben“, kritisiert er. Sie müssen aufstocken, was die Steuerzahler jährlich zehn bis elf Milliarden koste. „Deshalb ist der Mindestlohn nicht nur sozial gerecht sondern auch ökonomisch vernünftig.“

Der SPD-Kanzlerkandidat will Leiharbeit und Werkverträge eindämmen und mit einem „Entgeldgleichheitsgesetz“, dafür sorgen, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden. Er will eine Mietpreisbremse einführen und dass den Makler der bezahlt, der ihn bestellt. Applaus brandet auf, als der sagt: „Ich habe kein Problem damit, die Kavallerie zu satteln, um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu bekämpfen.“ Steinbrück will das Betreuungsgeld abschaffen und mit der Summe 200 000 zusätzliche Kita-Plätze finanzieren. Er will mehr Geld in die Bildung investieren und in die Infrastruktur. Und er will, dass Deutschland von seinen Schulden herunterkommt. Dazu sollen – auch – die Steuern erhöht werden, „für alle die, die als Eheleute mehr als 200 000 Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr verdienen“. Mancher, auch in seiner Partei, habe ihm von so einer Ankündigung abgeraten, gibt er zu, aber er sehe das anders. „Das anzukündigen, ist aufrichtig, das ist ehrlich“, sagt er. „Klartext“, tönt es aus der Menge zurück „Danke“, sagt Steinbrück.

Das Team der starken Frauen

45 Minuten spricht der SPD-Kanzlerkandidat, dann mischt er sich unter das Publikum, wie schon zuvor die Hamburger Bundestagskandidaten, während Olaf Scholz die Frauen des Kompetenzteams vorstellt. Brigitte Zypries, die Ex-Bundesjustizministerin, ist für Verbraucherschutz zuständig. Sie fordert eine Ampel bei Fertiggerichten, damit die Verbraucher auf den ersten Blick sehen, ob die Produkte ungesunde Mengen von Fett, Salz oder Zucker enthalten. Yasemin Karakaşoğlu, Professorin in Bremen und zuständig für Bildung und Wissenschaft, fordert eine Berufsausbildungsgarantie, denn immer noch hätten ein Fünftel der jungen Erwachsenen keine Ausbildung. Christiane Krajewski, Unternehmensberaterin, erklärt das Zukunftsinvestitionsprogramm, mit dem in Bildung, in wirtschaftsnahe Infrastruktur, in den Breitbandausbau investiert werden soll – 80 Milliarden jährlich, die mehrheitlich aus privaten Investitionen kommen sollen. Manuela Schwesig, Ministerin in Mecklenburg-Vorpommern, kündigt an: „Das Betreuungsgeld ist Anfang 2014 weg.“ Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, fordert „keine Waffenexporte in Krisengebiete“ und Gesche Joost, Professorin für Designforschung, und zuständig für Netzpolitik, bezieht ganz aktuell Stellung: „Es kann nicht sein, dass alle unsere Mails Freiwild sind.“

Jetzt geht es richtig los

Wer bislang geglaubt hatte, der Wahlkampf sei ohnehin entschieden, wird in Hamburg eines besseren belehrt. Peer Steinbrück: „Wir können den Wechsel schaffen mit Rot-Grün und mit mir als Bundeskanzler. Deshalb bitte ich Sie um ihre Stimme.“ Das wird er nicht nur in Hamburg tun, sondern demnächst auf 40 Klartext-Veranstaltungen in ganz Deutschland. Bis zum 22. September können es noch spannende Wochen werden.

Autor*in
Avatar
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare