Parteivorsitz: So schlugen sich die Bewerber in Hannover
Thomas Imo / photothek
Für den zweiten Termin der unsereSPD-Tour hatten sich die Organisatoren etwas Besonderes einfallen lassen. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor der Hans-Böckler-Stiftung, befragte die Teams und den Einzelbewerber für den SPD-Vorsitz zu den Themen Investition und Schuldenbremse. „Wir kennen marode Autobahnen, Schulgebäude in die es reinregnet", erläuterte er dem niedersächsischen Publikum. Und wenn Ingenieure im Stau ständen, koste das nunmal Geld und damit Produktivität, ergänzte der Wissenschaftler. „Das kann nicht sein."
In diesem Zusammenhang brachte Dullien die Investitionspolitik auf die Agenda, die schon in Saarbrücken hitzig diskutiert worden war. „Der Staat muss aktuell weniger Geld bezahlen, als er in die Hand nimmt", erklärte er. Würde die Bundesrepublik also heute Kredite aufnehmen, müsste sie in 30 Jahren nur einen Teil davon zurückzahlen. Aufgrund der Schuldenbremse, die vor einigen Jahren ins Grundgesetz geschrieben wurde, können aber nur begrenzt Kredite aufgenommen werden.
Konsens bei Investitionen, Dissenz bei Schulden
Nach Dulliens Reihenfolge durften als erstes Christina Kampmann und Michael Roth antworten. Für das Kernanliegen der Sozialdemokraten tauge die Schuldenbremse nicht mehr, meinte Roth und erklärte mit Blick auf Dulliens Beispiele: „Es gibt wahnsinnig viel zu tun." Es müsse jetzt investiert werden in Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung. Steuererhöhungen, um die Einnahmen zu erhöhen, würden, so Roth, nur dann Sinn machen, wenn das Geld auch investiert werde.
Steuererhöhungen waren für Karl-Heinz Brunner hingegen das erste, was ins Auge gefasst werden sollte, um die notwendigen Investitionen stemmen zu können, „bevor wir neue Schulden aufnehmen", erklärte er seine Vorstellung von Haushaltspolitik. „Wenn das Geld nicht ausreicht, dann wird erst nach neuen Einnahmequellen gesucht."
Beim Duo Boris Pistorius und Petra Köpping antwortete zunächst Pistorius: „Wir müssen der nachfolgenden Generation eine intakte Infrastruktur hinterlassen", forderte er, deswegen müsse auch die Schuldenbremse in Frage gestellt werden. „Denn dafür müssen wir Schulden aufnehmen." Köpping ergänzte: „Vor allem für den ländlichen Raum."
Hirschel: Das Geld liegt auf der Straße
Dierk Hirschel erneuerte die Kritik gegenüber Mitbewerber Olaf Scholz, die er schon in Saarbrücken formuliert hatte. Das Geld, so Hirschel, während seine Kollegin Hilde Mattheis nickte, würde auf der Straße liegen. „Bück dich und heb die Scheine auf!", forderte er Scholz auf.
Auch Karl Lauterbach gestand bei der Schuldenbremse Fehler ein, die nun überwunden werden müssten. Die Erklärung dafür rechnete Nina Scheer am Beispiel Klimaschutz vor: „Jeder Euro, den wir jetzt nicht in den Klimaschutz investieren, wird uns später sieben Euro kosten."
„Die schlimmsten Schulden", meinte auch Norbert Walter-Borjans, „sind eine marode Infrastruktur und eine zerstörte Umwelt." Partnerin Saskia Esken verband die Kritik mit der Verteilungsgerechtigkeit und forderte einen handlungsfähigen Staat: „Nur reiche Bürger können sich einen schlanken Staat leisten!"
Scholz: Wir nutzen die geringen Zinsen schon
Das Duo Klara Geywitz und Olaf Scholz verteidigte hingegen die gegenwärtige Finanzpolitik: „Wir nutzen die geringen Zinsen schon", erklärte Scholz anhand eines Multimilliarden-Investitions-Programms für die kommenden Jahre. „Mit solider Haushaltspolitik geht schon einiges." Er erinnerte auch an die Finanzkrisen in der Vergangenheit und ergänzte: Auch in solchen Situation müsse der Staat handlungsfähig bleiben.
Im Anschluss warnten Ralf Stegner und Gesine Schwan vor Träumereien. „Wir haben die Schuldenbremse mitbestimmt", sagte zunächst Schwan, „das war ein erheblicher Fehler." Aber – und an dieser Stelle ergänzte Ralf Stegner: Für eine Grundgesetzänderung fehle gegenwärtig die Mehrheit im Parlament. „Investitionen sind mit höheren Steuern möglich", sagte er mit Blick auf die geplante Vermögensteuer und andere Ideen, „aber die Schuldenbremse kriegen wir nicht weg."
Anders als in Saarbrücken debattierten die Bewerber in der niedersächsischen Landeshauptstadt vor allem über die Themen Finanzen, Wohnungsbau und Arbeitsmarkt, bevor im Anschluss erneut das Publikum individuelle Fragen stellen konnte.
Mehr Mitglieder, mehr als 120.000 schon online für Abstimmung registriert
Gastgeber waren dieses Mal der SPD-Landesvorsitzende Stephan Weil und der Bezirksvorsitzende Matthias Miersch. Beide konnten sich über einen ausgebuchten Saal freuen, jeder Sitzplatz im großen Veranstaltungssaal des Hotels Wienecke war belegt. „Diese Partei lebt", sagte der umjubelte Miersch: Seit Beginn des Verfahrens sei die Zahl der Parteieintritte deutlich gestiegen. Deswegen, so Miersch, sei das neue Auswahlverfahren für den Parteivorsitz genau richtig.
Außerdem würde die Rückmeldung von der Online-Registrierung zeigen: „Die Digitalisierung ist in der Partei angekommen." Denn für die digitale Abstimmung hätten sich schon jetzt Genossen quer durch die Bank entschieden, unabhängig vom Alter. Mit 120.000 ist außerdem mehr als jeder Vierte bereits online angemeldet.
Weil fordert Zusammenhalt auch nach der Wahl
Dass die Mitgliederbefragung ein Erfolgsrezept der SPD ist, daran erinnerte auch Weil: „Wir haben schon 2012 unsere Mitglieder befragt", sagte der Ministerpräsident mit Blick auf die Spitzenkandidatur zur damaligen Landtagswahl. Seine Erkenntnis damals: „Egal wer gewinnt, am Ende ist die Unterstützung der ganzen Partei da." Das solle auch für das Rennen um den Parteivorsitz der Bundes-SPD gelten.