Parteileben

Parteitag: Warum die SPD „Wann wir schreiten…“ nicht mehr singt

Viele Jahre wurden SPD-Parteitage mit dem Lied „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ beendet. Künftig soll es in der Partei nicht mehr gesungen werden. Grund ist die Vergangenheit des Lied-Autors.
von Kai Doering · 10. Dezember 2021
Abschlusslied auf dem Parteitag 2017: Die SPD sucht nach einer Alternative zu „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“.
Abschlusslied auf dem Parteitag 2017: Die SPD sucht nach einer Alternative zu „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“.

Über Jahrzehnte gehörte es zum festen Repertoire jedes SPD-Bundesparteitags. Seit 1982 wurde stets zum Abschluss das Lied „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ gesungen. Der spätere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel sagte, es bringe das „Gemeinschaftsgefühl“ der Partei zum Ausdruck.

In den vergangenen Jahren jedoch mehrte sich Kritik an dem Lied – was weniger mit dem Text zu tun hat als mit dessen Autor. Geschrieben wurde „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ 1914 vom Volksschullehrer und Dichter Hermann Claudius, einem Urenkel von Matthias Claudius, der u.a. das „Abendlied“ („Der Mond ist aufgegangen“) verfasst hat.

Vorerst soll gar nicht mehr gesungen werden

Das Problematische an Hermann Claudius haben die Jusos Bayern bereits vor einigen Jahren in einem Antrag zum Juso-Bundeskongress 2018 zusammengefasst. „In der Weimarer Republik engagierte er (Claudius Anm.d.Red.) sich zunächst in der Jugendarbeit der SPD und in den sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften, schrieb sozialdemokratische Lieder und Stücke. Seine politische Haltung wandelte sich im weiteren Verlauf jedoch grundlegend zum Nationalismus.“ Nach der Machtergreifung der Nationalsozialist*innen wurde Claudius zu einem glühenden Anhänger Hitlers und des NS-Regimes. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bewegte er sich in rechtsnationalen Kreisen.

Die Jusos beantragten deshalb schon damals, „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ solle bei SPD-Veranstaltungen nicht mehr gesungen werden und nach einer Alternative zu suchen. Der Parteivorstand hat sich dem nun angeschlossen, nachdem das SPD-Geschichtsforum sich mit Claudius‘ Vergangenheit beschäftigt und eine Stellungnahme abgegeben hatte. Darin empfiehlt es, „vorerst am Ende des Parteitags nicht zu singen, und zwar so lange, bis ein Lied gefunden werden kann, das keine problematisch Vorgeschichte besitzt und das außerdem das heutige Lebensgefühl von Sozialdemokrat*innen und die Grundhaltung der SPD im 21. Jahrhundert trifft“.

Was bisher auf Parteitagen gesungen wurde

Neu ist das nicht. So wurde beim ersten Nachkriegsparteitag 1946 die „Internationale“ gesungen, von 1947 bis 1950 erhielt der „Sozialistenmarsch“ den Vorzug. Zwischen 1952 und 1959 entschied man sich für „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, 1960 dann für „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“. 1962 blieb der Saal still, 1964 und 1966 erklang die Nationalhymne zum Abschluss der Parteitage, ebenso auf dem außerordentlichen Parteitag im Oktober 1972. Zwischen 1968 und 1980 verzichteten die Delegierten bei ordentlichen Parteitagen gänzlich auf ein Abschlusslied. Und beim digitalen Parteitag am Samstag wäre gemeinsames Singen ohnehin nicht möglich gewesen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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