Parteikonvent beschließt einstimmig SPD-Programm für die Europawahl
Dirk Bleicker
Im Juni 1979 gab es eine Premiere. Erstmals konnten die Bürgerinnen und Bürger aus den damals neun EU-Staaten das europäische Parlament direkt wählen. Vorher war das Europaparlament aus Vertretern der nationalen Parlamente gebildet worden. Von einem „demokratischen Quantensprung“ spricht am Samstagvormittag Andrea Nahles mit Blick auf die Ereignisse vor 40 Jahren. Die SPD trifft sich in Berlin zu ihrem Parteikonvent, um ihr Programm für die Europawahl am 26. Mai zu beschließen.
Soziales Europa statt Wirtschaftsgemeinschaft
Der Blick der Genossinnen und Genossen geht dabei zunächst zurück. „Europa war die Antwort auf die Geißeln der Vergangenheit“, betont SPD-Chefin Nahles. Und Katarina Barley erinnert daran, dass die Europäische Union als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde. „Es ist an uns, jetzt den nächsten Schritt zu machen“, fordert die Spitzenkandidatin für die Europawahl ihre Partei auf. „Wir brauchen das soziale Europa.“
Für Barley bedeutet das etwa, sich gemeinsam mit den Gewerkschaften für eine starke Arbeitnehmermitbestimmung in Europa einzusetzen. „Wir müssen Dumpinglöhne abstellen und einen europaweiten Mindestlohn einführen“, fordert sie. Im Wahlprogramm schlägt die SPD vor, dass dieser 60 Prozent des mittleren Einkommens betragen soll. „Für Deutschland sind das zwölf Euro pro Stunde“, rechnet Katarina Barley vor. Wenn Arbeitnehmer in ihrem Heimatland einen auskömmlichen Lohn bekämen, müssten sie dieses nicht verlassen“, so Barley.
Jugendgarantie und Wahlalter 16
Besonders hat die Spitzenkandidatin dabei die jungen Europäerinnen und Europäer im Blick. Die sind vor allem in Südeuropa von Arbeitslosigkeit betroffen. „Wir müssen eine starke Zukunft für die junge Generation bauen“, fordert Barley. In ihrem Wahlprogramm fordert die SPD deshalb eine „Jugendgarantie“: allen jungen Menschen unter 25 Jahren sollen innerhalb von vier Monaten konkrete Angebote für ihre berufliche Zukunft gemacht werden, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Außerdem fordern die Sozialdemokraten die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.
Als Verbündeten sieht Katarina Barley dabei Frankreichs Präsident Emmanual Macron. Der sei zwar „wahrlich kein Sozialdemokrat“, aber er habe „verstanden, dass es ohne ein soziales Europa nicht geht“. Dass es als Antwort auf Macrons europapolitische Vorschläge von Bundeskanzlerin Angela Merkel nur „dröhnendes Schweigen“ gebe, kritisiert Barley. Noch schlimmer seien aber die Ideen von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. „Ein Europa der Banken und ein europäischer Flugzeugträger sind nicht unsere Vorstellung von Europa“, so Barley.
Scharfe Kritik an der Union wegen Orban
Noch schärfer attackiert Barley CDU und CSU für ihren Umgang mit Ungarns Regierungschef Victor Orban. Dieser höhle in seinem Land seit Jahren die Demokratie aus und greife europäische Werte zentral an. „Die CDU hat dazu nicht gesagt, die CSU hat ihn sogar regelmäßig zu ihren Parteitagen eingeladen.“ Dass sich die europäische Volkspartei vor einigen Tagen dazu durgerungen hat, Mitgliedshaft von Orbans Fidesz-Partei für ein halbes Jahr auszusetzen, reicht aus Barleys Sicht nicht. „So kann man Rechtsstaatlichkeit in Europa nicht durchsetzen“, ist sie überzeugt.
Die SPD macht sich deshalb in ihrem Wahlprogramm dafür stark, dass Mitgliedsstaaten „bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Standards“ die Zuwendungen aus dem EU-Haushalt „spürbar“ gekürzt werden. „Dieses Frühwarnsystem wird ein wichtiger Baustein sein im Kampf für Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union“, ist Katarina Barley überzeugt.
Bullmann: Mit mir wird es keine Hinterzimmerdeals geben
„Ich glaube fest daran, dass die Hetzer und ewig Gestrigen nicht durchkommen“, sagt auch SPD-Chefin Andrea Nahles und verspricht, die SPD werde mit Herzblut für Europa kämpfen. „Wir lassen uns Europa nicht kaputt machen. Unsere Werte sind stärker.“ Die Antwort auf die unsicherer werdende Welt könne „nur ein starkes und vereintes Europa“ sein. Das bedeute allerdings nicht, europäische Wirtschaftsinteressen über die Frage von Krieg und Frieden zu stellen.
Waffenexporte nach Saudi-Arabien schließt die SPD-Vorsitzende deshalb aus. Zwar stehe die SPD „ohne Wenn und Aber für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, aber „solange im Jemen Woche für Woche Menschen sterben und Kinder hungern, solange Saudi-Arabien dort Kriegspartei ist, solange darf es keine weiteren Waffenlieferungen aus Deutschland dorthin geben“, fordert Nahles. „Wir wollen eine restriktive Rüstungspolitik und Rüstungsexportpolitik, und wir wollen keine europäischen Waffen in Kriegsgebieten.“
Udo Bullmmann wirft am Samstag bereits einen Blick auf die Zeit nach der Europawahl. „Wir werden mit allen vernünftigen Kräften reden“, kündigt der SPD-Spitzenkandidat und Vorsitzende der S&D-Fraktion im Europaparlament an. Einen Automatismus für eine große Koalition mit der EVP gebe es nicht, zumal diese „zu wenige Herzblut für Europa“ habe und „runter vom hohen Ross“ müsse. „Wir können am Tag nach der Wahl ein großes Rad drehen“, sagt Bullmann. „Hinterzimmerdeals wird es mit mir nicht geben.“
Dirk Bleicker
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.