Mit einer Umfrage wollten die Genossen herausfinden, was die Hansestädter stört – und kamen so zu vielen neuen Einsichten.
Nach einer kurzen Pause bricht es aus ihm heraus. „Wir vermüllen immer weiter“, schimpft der bärtige Mann im blauen Seemannspullover. „Und es kümmert sich kein Mensch. Ich habe so eine Wut im Bauch.“ Andreas Kerath, der Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion, blickt den Bärtigen nachdenklich an. Gerade hatte Kerath gefragt, ob einer der Bürger, die trotz des Schneegestöbers den Weg ins „Haus der Begegnung“ im Greifswalder Ostseeviertel gefunden haben, eine Frage hat. Nun sucht er nach einer Antwort. „Für das Müllproblem habe ich auf Anhieb leider auch keine Lösung“, gibt er zu. „Aber wir wollen einen kommunalen Ordnungsdienst aufbauen, der auch hierauf ein Auge hat.“
Der kommunale Ordnungsdienst ist ein Ergebnis der Bürgerbefragung der Greifswalder SPD. Unter der Überschrift „Greifswald zuliebe“ haben die Genossen im April 2012 angefangen, 22 000 Karten an nahezu alle Haushalte der Hansestadt zu verteilen. Die Bürger konnten dort Schulnoten für den Zustand von Spielplätzen, Grünflächen oder des Busverkehrs vergeben. Und sie konnten selbst Wünsche für ihren Stadtteil und für die gesamte Stadt formulieren. Wer keine Karte ausfüllen wollte, konnte auch im Internet mitmachen.
„Die große Anzahl der Rückmeldungen hat uns sehr gefreut und überrascht“, erzählt der Ortsvereinsvorsitzende Thomas Lange den Menschen im „Haus der Begegnung“. Sie erfahren an diesem ungemütlichen Februarabend, dass innerhalb eines halben Jahres mehr als 630 Antworten mit mehr als 1000 Vorschlägen bei der SPD eingegangen sind – für Umfragen wie diese eine sehr gute Zahl. Es ist die dritte von insgesamt vier nach Stadtteilen getrennten Ergebnispräsentationen. Die SPD hat die Antworten grafisch aufbereitet und in einer Dia-Show zusammengefasst.
Fehlende Parkplätze und Freizeitmöglichkeiten ärgern die Greifswalder am meisten. Auch kaputte Fahrradwege nerven. „Wir haben deshalb in der Bürgerschaft durchgesetzt, dass in diesem Jahr 50 000 Euro zusätzlich für neue Radwege ausgegeben werden“, berichtet Andreas Kerath – und das, obwohl die SPD nur sechs der 43 Sitze in der Bürgerschaft hat. Und die Radwege sollen nur ein Anfang sein. „Natürlich können wir nicht überall gleichzeitig ansetzen“, sagt Kerath. „Aber wir haben einen Weg begonnen, den wir kontinuierlich weitergehen werden.“
„Wir wussten nicht, was mit der Befragung auf uns zukommt“, sagt Ulf Dembski. Er ist aktives OV-Mitglied und zweiter stellvertretender Oberbürgermeister. „Es sind oft die kleinen Dinge, die die Menschen bewegen“, hat er gelernt und gibt zu: „Das wird von der Politik häufig unterschätzt. Da müssen wir umdenken.“ Als eine Konsequenz möchte er beim Ordnungsamt der Stadt eine Beschwerdestelle einrichten.
Die Idee für die Aktion „Greifswald zuliebe“ kam für den mit 190 Mitgliedern größten Ortsverein in Mecklenburg-Vorpommern aus Köln. Dort wollte der OV Ehrenfeld wissen, was sich im Stadtteil ändern müsste. „Wir haben die Aktion aber etwas anders aufgezogen und hatten das Glück, vom Innovationsfonds der Bundespartei unterstützt zu werden“, sagt Vize-OV-Vorsitzender Thomas Behm. So konnte der Ortsverein nicht nur Fragebögen drucken, sondern auch die Stadtteilveranstaltungen finanzieren, sowie Werbeanzeigen, Flyer, Kugelschreiber und Aufkleber mit dem Schriftzug „Greifsald zuliebe“ gestalten. „Letztere kleben mittlerweile auf vielen Greifswalder Autos und machen weiter Werbung für unsere Aktion.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.