OV Quarantäne: Wie Sozialdemokrat*innen dem Lockdown trotzen
Dirk Bleicker
Die wunderbare Idee hatte natürlich „Yannick“, sagt Christina Kampmann, SPD-Landtagsabgeordnete aus Bielefeld. Gemeinsam mit Yannick Haan aus Berlin hat sie den Ortsverein Quarantäne gegründet, in dem Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Zeiten von Corona virtuell zusammenkommen können, um sich per Videokonferenz über aktuelle Themen auszutauschen.
Zwei Gastgeber, ein Gast und eine Stunde Diskussion
Haan berichtet von einer E-Mail, die er im März erhalten habe. Darin wurde empfohlen, die Parteiarbeit ruhen zu lassen. Das wollte er nicht. Er wollte ein Format entwickeln für eine andere Art der Parteiarbeit. Heraus kam der Ortsverein Quarantäne. „Ich habe Christina dann gefragt, ob sie nicht Lust hätte mitzumachen“, berichtet er. Die beiden kannten sich durch gemeinsame netzpolitische Aktivitäten.
Bei den Sitzungen gelten feste Regeln: zwei Gastgeber*innen, ein Gast und eine Stunde zum Diskutieren. Das anschließende Feierabendbier muss anders als im klassischen Ortsverein jede*r für sich trinken. „Man merkt bei uns immer, dass man eine gute, straffe und trotzdem niveauvolle Diskussion in einer kürzeren Zeit führen kann, weil alle wissen, dass es eine Stunde geht und wir nicht überziehen“, lobt Kampmann das Format. Der Ortsverein Quarantäne könne „den klassischen Ortsverein nicht ersetzen, aber mit einem Format ergänzen, in dem man schnell über Themen diskutiert“, sagt Haan, der seit kurzem Kreisvorsitzender der SPD in Berlin-Mitte ist.
Digitales Format als Fortschritt
Erstmals tagt der Ortsverein Quarantäne Ende März. Nach einer zwischenzeitlichen Pause und dem erneuten Lockdown kommt es im November zu einer Neuauflage. Bei der ersten Sitzung ist Niels Annen zu Gast, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Hamburg und Staatsminister im Auswärtigen Amt. Etwa 25 Teilnehmer*innen sind per Videokonferenz zugeschaltet. Sie kommen aus ganz Deutschland und darüber hinaus. Aus Berlin, Bielefeld, Mainz, Mecklenburg-Vorpommern und Kairo. Es geht um die USA, wo kurz zuvor Joe Biden in einem Auszähl-Krimi zum neuen Präsidenten gewählt wurde. „In der Zwischenzeit ist viel passiert. Yannick hat in der Berliner SPD Karriere gemacht. Ich habe Kinder bekommen“, sagt Kampmann zur Begrüßung.
Die Landtagsabgeordnete ist kurz zuvor Mutter von Zwillingen geworden. „Es ist gut für mich, weil ich mit den Kindern nicht so einfach zu normalen Ortsvereinssitzungen gehen könnte“, sagt sie. Anderen Eltern gehe es genauso. Insofern sei das Format ein kleiner Fortschritt, was die Vereinbarkeit von Politik und Familie angehe. Teilnehmen können ale, die auf einen Link des Videokonferenzanbieters Zoom klicken.
Klingbeil und Barley zu Gast
Ein weiterer Vorteil ist, dass Kampmann und Haan für ihren Ortsverein Quarantäne auch kurzfristig hochkarätige Referentinnen und Referenten gewinnen können. Neben Annen etwa die Vizepräsidentin des Europaparlamentes Katarina Barley. In der Regel nehmen zwischen 20 und 40 Personen teil. Den Spitzenwert erzielte die Debatte mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, an der fast 70 Menschen teilnahmen. Da werde es schwieriger, miteinander zu diskutieren, sagt Haan.
In der Regel entstehe jedoch eine lebendige Diskussion mit Menschen aus ganz Deutschland. „Weil sie aus so vielen Landesteilen kommen, kann man auch immer darüber sprechen, wie die Situation vor Ort ist“, erzählt Kampmann. Haan ergänzt: „Ich finde es schön, dass die Leute immer an der Sache orientiert sind.“ So ergebe sich eine schnelle Diskussion, die nett in den Abend passe. Zu Beginn im Frühjahr traf sich der Ortsverein Quarantäne wöchentlich. Aktuell gibt es keinen festen Turnus, etwa einmal im Monat findet aber ein Treffen statt, wenn es thematisch passt. „Wir schauen immer, worüber die Leute das Bedürfnis haben zu diskutieren“, so Kampmann. Haan sagt: „Der Vorteil gegenüber dem klassischen Ortsverein ist, dass wir schneller reagieren und im Zweifel innerhalb einer Woche eine Sitzung organisieren können.“
Ortsverein Quarantäne bleibt
Für die kommenden Treffen stehen die Themen Klimaschutz und Arbeitsmarktpolitik auf dem Programm. Auch um das Wahlprogramm der SPD soll es noch gehen. Ob und wie es mit dem Ortsverein Quarantäne nach der Corona-Pandemie weitergeht, ist noch nicht sicher. „Wir hätten auf jeden Fall Lust weiterzumachen, wenn es das Bedürfnis gibt“, sagt Kampmann. Sie ist sich sicher, dass manche Ortsvereine nach der Pandemie mehr ausprobieren werden, zum Beispiel für Mitglieder, die nicht mehr so mobil sind. „Deshalb glaube ich, dass über Corona hinaus etwas vom Ortsverein Quarantäne bleiben wird.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo