Parteileben

Ostkonvent: Wie die SPD Ostdeutschland nach vorne bringen will

Bei einem Ostkonvent in Erfurt hat die SPD über ihr „Zukunftsprogramm Ost“ diskutiert. 30 Jahre nach dem Mauerfall will sie „auch die Tarif- und die Rentemauer“ zwischen Ost und West einreißen. Entscheidend dabei: eine Grundrente ohne Bedarfsprüfung.
von Kai Doering · 6. April 2019
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Vor einigen Tagen war Dietmar Woidke zu Besuch bei der „Tafel“ in Finsterwalde. Als Brandenburgs Ministerpräsident dort hörte, dass die Anzahl der Kunden einen neuen Höchststand erreicht hatte, wunderte er sich. Schließlich liegt die Arbeitslosigkeit im Land auf dem tiefsten Wert seit der Wiedervereinigung. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist binnen eines Jahres um zwölf Prozent gesunken. Die Erklärung war einfach: Immer mehr Rentner nehmen das Angebot der „Tafel“ an.

Die Wähler wieder von der SPD überzeugen

Dietmar Woidke erzählt die Geschichte beim Ostkonvent der SPD in Erfurt. Am Samstag haben sich Vertreter vor allem der ostdeutschen Landesverbände getroffen, um über ein „Zukunftsprogramm Ost“ zu beraten. Auch westdeutsche Genossinnen und Genossen sind dabei. Sogar einige Nichtmitglieder sind gekommen. „Die niedrigen Renten sind eines der sozialen Probleme, an die wir als SPD dringend ranmüssen“, sagte Woidke.

Neben dem brandenburgischen Ministerpräsidenten stehen Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig und dessen thüringischer Amtskollege Wolfgang Tiefensee. In allen drei Ländern wird im Herbst gewählt. Beim Treffen in Erfurt geht es deshalb auch darum, „die Wähler wieder von der SPD zu überzeugen“, wie Tiefensee in seiner Begrüßung sagt.

750.000 Ostdeutsche würden von der Grundrente profitieren

Das „Zukunftsprogramm Ost“ soll dafür die Grundlage sein. Nach einem ersten Aufschlag bei einer Klausur der ostdeutschen Landesverbände in Schwante Anfang des Jahres wurde es in den vergangenen Wochen erarbeitet. Auf 24 Seiten finden sich zwölf „Kernforderungen“ von einem „neuen Pakt für strukturschwache Regionen in Ost und West“, über mehr Ostdeutsche in Führungspositionen bis hin zur Errichtung eines „Zukunftszentrums Ost“ zur Deutschen Einheit.

Und auch die Grundrente, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Anfang des Jahres vorgestellt hatte, findet sich in dem Programm. „Menschen, die 35 Jahre gearbeitet haben, verdienen eine Rente über der Grundsicherung ohne Wenn und Aber“, sagt Andrea Nahles in Erfurt. Mit „Wenn und Aber“ meint die SPD-Vorsitzende eine Bedarfsprüfung, die CDU und CSU fordern, die Sozialdemokraten aber ablehnen. „Die Lebensleistung der Menschen muss anerkannt werden“, sagt Nahles. Rund 750.000 Menschen in Ostdeutschland würden heute profitieren, wenn es Grundrente bereits gäbe.

Ein neuer Pakt für strukturschwache Regionen

Für Martin Dulig ist deshalb klar: „Einer Grundrente mit Bedarfsprüfung kann kein Sozialdemokrat zustimmen. Bei diesem Thema dürfen wir nicht wackeln.“ Damit sich die Frage nach einer Absicherung im Ruhestand künftig am besten gar nicht erst stellt, soll sich aus Sicht der Sozialdemokraten auch bei den Löhnen etwas tun. „In Ostdeutschland wird länger gearbeitet als im Westen, aber schlechter bezahlt“, weiß Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Das müsse sich ändern. „Gleiche Arbeit muss gleich bezahlt werden, egal wo sie geleistet wird.“

Neben einer Angleichung der Löhne in Ost und West fordert die SPD in ihrem Zukunftsprogramm daher eine bessere Tarifbindung und nach dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende dieses Jahres einen „neuen Pakt für strukturschwache Regionen in Ost und West“. „Wir wollen, dass die Menschen im Land gute Arbeit für gute Löhne haben“, sagt Manuela Schwesig. Im 30. Jahr des Mauerfalls müssten nun auch „die Tarif- und die Rentenmauer“ fallen.

Der Bundesparteitag entscheidet

Und es gibt noch eine dritte Mauer, die die Sozialdemokraten zum Einsturz bringen wollen. „Wie können wir den Menschen in Ostdeutschland sagen, dass sie mitgestalten sollen, wenn sie in Führungspositionen kaum vertreten sind?“, fragt Franziska Giffey. Nur zwei Prozent der Führungspositionen in der Wirtschaft seien von Ostdeutschen besetzt – bei 17 Prozent Bevölkerungsanteil, rechnet die Bundesfamilienministerin vor. In ihrem Zukunftsprogramm fordert die SPD deshalb „mehr Menschen mit ostdeutschen Lebenserfahrungen in den Führungsebenen deutscher Institutionen“ und dass neue Bundeseinrichtungen vorrangig in Ostdeutschland angesiedelt werden.

Damit das Wirklichkeit wird, heißt es nun, zunächst die gesamte SPD vom „Zukunftsprogramm Ost“ zu überzeugen. Als Leitantrag soll es auf dem Bundesparteitag im Dezember zur Abstimmung gestellt werden. „Wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn es sich die gesamte Partei zur Aufgabe macht“, ist Martin Dulig sicher. Eine symbolische Unterstützung gibt es in Erfurt bereits: Auf einer großen Tafel mit den zwölf Kernforderungen unterschreiben alle Teilnehmer des Ostkonvents – egal ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen kommen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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