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Olaf Scholz in NRW: Im Endspurt Richtung Kanzleramt

Der Fokus liegt für Olaf Scholz im Wahlkampfendspurt auf dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Drei Tage lang tourt er quer durch Nordrhein-Westfalen. Wir haben einen entschlossenen, aber entspannten SPD-Kanzlerkandidaten begleitet.
von Jonas Jordan · 24. September 2021
Auf dem Bonner Münsterplatz: Ein Foto mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.
Auf dem Bonner Münsterplatz: Ein Foto mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.

Aretha Franklin schrieb ihren wohl größten Hit „Respect“ im Jahr 1967. In diesem Jahr wird er durch die Bundestagswahlkampagne von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz aktueller denn je. Denn Respekt ist dessen zentrales Motiv. Entsprechend geht es auch im „Zukunftsgespräch Extra“ mit der Schriftstellerin Renan Demirkan im Kölner Staddteil Ehrenfeld um das Thema „Respekt in einer offenen Demokratie“. Scholz macht deutlich: „Wenn wir unsere Gesellschaft zusammenhalten wollen, brauchen wir Respekt.“ Den könne man nicht verordnen, sondern dieser müsse im Umgang miteinander geschaffen werden.

Im Austausch mit Schüler*innen

Demirkan sieht das ähnlich. Für sie ist Respekt eine Geisteshaltung, die beinhalte, den anderen so zu nehmen, wie er ist. Entsprechend grenzt sie den Begriff des Respekts scharf von dem der Toleranz ab. „Toleranz ist Duldung, Tyrannei in Häppchen“, sagt Dermirkan. Direkt an Scholz gerichtet sagt sie: „Lieber Olaf, erst mal danke, dass du gekommen bist, damit wir dich aus der Nähe kennenlernen können.“ „Wir“, das sind in erster Linie die Schüler*innen der Kölner Europaschule, die gemeinsam mit Demirkan ein Projekt zum Thema Respekt gestartet haben. Ihre Gedanken dazu tragen die Schüler*innen dem SPD-Kanzlerkandidaten vor.

Der 17-Jährige Walid fordert: „Ich wünsche mir, dass Sie in jeder politischen Entscheidung die Menschen respektieren, die sie betrifft.“ Shania (18) wünscht sich Respekt für alle Frauen, egal ob sie Kopftuch tragen oder sich freizügig kleiden wollen. Linda (18) sagt: „Respekt bedeutet, auf die Schwächsten in der Gesellschaft zu achten.“ Lotta (14) wünscht sich ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Leonard (16) setzt sich für gleiche Bezahlung ein, David (18) fordert „Respekt auch für die Unglücklichen“. Scholz geht auf alle Statements der Schüler*innen individuell ein, nimmt sich Zeit für sie, auf der Bühne werden Fotos gemacht.

Mützenich will mit Scholz Karneval feiern

Dann muss der SPD-Kanzlerkandidat los zum nächsten Termin. Weit hat er es nicht. Nur gut zwei Kilometer sind es bis zur Gartensiedlung im Stadtteil Bickendorf, wo schon etwa 400 Menschen auf Scholz warten. 100 Jahre alt ist die hiesige Genossenschaft jüngst geworden. Bei strahlendem Sonnenschein steht Scholz auf der Bühne, erzählt, dass er während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt selbst einmal Syndikus einer Genossenschaft war und berichtet von seinen ambitionierten Vorhaben beim Wohnungsbau: Mit einem breiten Bündnis will er für jährlich 400.000 neue Wohnungen sorgen. Hier in Bickendorf, wo Rolf Mützenich seit 2002 seinen Bundestagswahlkreis stets direkt gewonnen hat, kommt das gut an. Der SPD-Fraktionsvorsitzende berichtet von Solidarität und Gemeinschaftssinn: „Zu dieser Genossenschaft gehört auch eine Gesellschaft der Karnevalsfreunde“, sagt er und verspricht, den Hanseaten Scholz damit in den kommenden Jahren vertraut zu machen.

Fast hätte er noch am selben Abend Karnevalsatmosphäre hautnah mitbekommen. Denn auf dem Bonner Münsterplatz warten bereits gut 2.000 Menschen auf Scholz. Die Band „Jedöns“ heizt ihnen ein. Vor der Bühne schunkeln der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber, der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann sowie die Juso-Bundesvorsitzende und Bonner SPD-Kandidatin für den Bundestag Jessica Rosenthal zu Hits wie „Nie mehr Fastelovend“ – zwei Monate vor Karnevalsbeginn. Als Scholz kommt, hat die Band bereits eingepackt. Dafür schallen „Olaf, Olaf“-Sprechchöre über den Platz. „Schönen guten Tag! Schön, dass wir alle versammelt sind. Ich merke, da ist Stimmung“, begrüßt er die Zuhörer*innen.

Scholz kritisiert Laschets „Entfesselungspolitik“

Während seiner gut halbstündigen Rede läuft er lässig über die Bühne, reckt immer wieder kämpferisch die Faust in den spätsommerlichen Abendhimmel. Rosenthal steht hinter ihm und klatscht. Sie hatte schon zuvor gefordert: „Es darf keine Frage des Kontostands sein, ob ich mir Wohnen in Bonn leisten kann. Da braucht es handfeste Lösungen. Das geht nur mit einer SPD-geführten Regierung.“ Sie sagt auch: „Diese Stadt ist Zuhause von uns allen. Sie gehört uns allen. Das möchte ich gewährleisten.“ Scholz erneuert sein zuvor in Köln gegebenes Versprechen zum Wohnungsbau: „Wir wollen, dass in Deutschland wieder mehr gebaut wird. Dieses Problem muss gelöst werden und es ist lösbar.“ Zudem kritisiert er die „Entfesselungspolitik“ der Regierung Laschet in NRW, die zu einer Aushöhlung des Mieterschutzes geführt habe: „Das ist nicht in Ordnung. So geht das in Deutschland nicht mit sozialem Wohnen.“

Nach seiner Rede kommt Rosenthal noch mal zum anfänglichen Thema zurück: „Du hast ja die Karnevalsmusik eben verpasst. Deswegen die Frage an dich: Feierst du Karneval und wann können wir wieder Karneval feiern?“ Scholz lässt den ersten Teil der Frage bewusst unbeantwortet. Ansonsten verspricht er, dass es keine weiteren Lockdowns geben soll. Auch auf weitere Fragen aus dem Publikum, sei es zum Mindestlohn, zum Pflegekräftemangel, zur internationalen Zusammenarbeit oder zum Klimaschutz antwortet er routiniert, höflich und verständlich.

Gut gelaunt in Düsseldorf

Am nächsten Morgen ist Scholz früh auf den Beinen. In Düsseldorf joggt er eine Runde durch die Stadt und berichtet später gut gelaunt davon bei einem Arbeitsfrühstück mit etwa 50 Kommunalpolitiker*innen aus ganz Nordrhein-Westfalen. Dort ist die Stimmung gut und optimistisch. Sie betrachten Scholz, der in Hamburg als Bürgermeister die Stadt sieben Jahre lang in Bereichen wie Ganztagesbetreuung oder dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs deutlich vorangebracht hat, als einen von ihnen. Frank Baranowski, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinde für Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen (SGK), sagt beim anschließenden Pressestatement: „Wir haben gespürt, dass sich mit uns ein Kanzlerkandidat unterhalten hat, der Kommunen und Städte kennt und dem man nicht sagen muss, was ein Bebauungsplan ist und wie Ausschreibungen funktionieren. Wir haben festgestellt, dass wir mit Olaf Scholz auf Augenhöhe reden können.“

Freitags ist Scholz schon wieder im Rheinland. In Köln steigt die Abschlusskundgebung der SPD-Wahlkampftournee. Diesmal ohne Karnevalsmusik, aber mit jeder Menge guter Stimmung. Der Platz ist voll, SPD-Fahnen wehen, lange bevor Scholz die Bühne betritt. Im Backstage-Bereich unterhält er sich mit der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die eigens angereist ist. Die Sozialistin möchte im kommenden Jahr Präsidentin von Frankreich werden.

Scholz hat hingegen nur noch zwei Tage bis zur Bundestagswahl. Wieder geht es um sein Herzensthema Respekt. „Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der sich einer als was besseres sieht“, sagt er und fordert: „Wir müssen uns in Deutschland wieder auf Augenhöhe begegnen. Respekt kann man nicht analysieren und beschreiben. Das muss man herstellen und ich will mithelfen, dass das gelingt.“ Der Beifall ist groß. Ebenso die Hoffnung der Menschen, dass das die Rede des künftigen Bundeskanzlers war.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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