Es gilt weithin als Gemeinplatz, dass das Thema Ökologie die herkömmliche Unterscheidung zwischen links und rechts in der Politik hinfällig gemacht habe. Und wie die meisten Gemeinplätze ist auch dieser nicht ganz falsch.
Ökologisch engagiert kann man auch als Konservativer sein, wenn einem als überzeugter Christ die Bewahrung der Schöpfung am Herzen liegt. Und ob man sich gegen Atomkraft ausspricht, ist eher eine Frage der Intelligenz denn eine der parteipolitischen Verortung. Umgekehrt sind unter den gewerkschaftlich organisierten, also im üblichen Verständnis linken Arbeitern viele dem alten Fortschrittsmodell verpflichtet und bei ökologischen Fragen besonders schwerhörig.
Dennoch lässt sich an wenigen Überlegungen zeigen, dass der angesichts von Klimawandel und Rohstoffknappheit notwendige Umbau der Gesellschaft im Kern ein eher linkes Projekt ist:
Wer profitiert vom ökologischen Umbau?
Während Reiche und Superreiche, die in Villenvierteln und gated communities wohnen und übers Wochenende in die letzten verbliebenen Inseln unberührter Natur jetten, sich noch für einige Zeit von der Zerstörung der Biosphäre freikaufen können, haben Normalverdiener diese Möglichkeit nicht. Sie sind darauf angewiesen, dass in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung das Wasser trinkbar und die Luft atembar bleibt und sich die Lärmbelästigung in Grenzen hält. Sie sind angewiesen auf Parks und Naherholungsgebiete, auf ein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem, auf öffentliche Kommunikationsräume und darauf, dass Einrichtungen der Daseinsvorsorge zur Verfügung stehen.
Auch wenn es gelegentlich so erscheinen mag als handele es sich bei den ökologischen Fragen um ein Steckenpferd verwöhnter Mittelschichten, so sind es doch vor allem die sogenannten kleinen Leute, die vom ökosozialen Umbau profitieren würden, weil ihre Lebensqualität ganz wesentlich von der Verfügbarkeit öffentlicher Güter abhängt.
„Wenn alle sich auf die Zehenspitzen stellen, sieht keiner besser.“
Schon der amerikanische Ökonom Fred Hirsch hatte mit seinem 1975 erschienenen Buch über die Sozialen Grenzen des Wachstums auf verteilungspolitische Aspekte der ökologischen Wende hingewiesen. Sein Argument: Bei dem wachsenden Anteil von Positionsgütern am Konsum wird die Mehrheit der Konsumenten bei dem Versuch, die Konsumpioniere einzuholen, immer öfter um die erhofften Gratifikationen betrogen, weil diese eben gerade davon abhängen, dass sie in gewisser Weise exklusiv sind.
Man kann sich dies an einigen eingängigen Beispielen verdeutlichen: Wenn schließlich auch Normalverdiener sich ein Häuschen im Grünen leisten können, wohnen sie nicht mehr in der Nähe des städtischen Kulturzentrums mit Blick auf die Rehwiese, sondern in einer endlosen Agglomeration; wenn Arbeiter und Angestellte sich einen eigenen Wagen leisten können, wird das Fahrzeug immer öfter zum Stehzeug, weil in der morgendlichen und abendlichen Rushhour sowie zu Beginn und am Ende der Ferien die Straßen meistens verstopft sind. Der lakonische Kommentar von Fred Hirsch: „Wenn alle sich auf die Zehenspitzen stellen, sieht keiner besser.“
Aufholjagd des Statuskonsums ist nicht zu gewinnen
In der Tat beruht ein erheblicher Teil des modernen Konsums auf einer Statuskonkurrenz, bei der die Mehrheit der Menschen nichts zu gewinnen hat.
Darum ist das gerade unter Sozialdemokraten oft gehörte Argument, das wirtschaftliche Wachstum müsse unter allen Umständen weitergehen, damit die kleinen Leute sich auch einmal gönnen können, was heute nur den Reichen zugute komme, auf fatale Weise falsch. Die große Mehrheit kann ihre Lebenssituation in der vermeintlichen Aufholjagd des Statuskonsums gar nicht verbessern; sie kann nur gewinnen, wenn sie in gemeinsamer – politischer! - Anstrengung ihre Lebens- und Arbeitswelt nach ihren Bedürfnissen gestaltet.
Heute geht es – vordringlich in den hochentwickelten Industriegesellschaften - darum, die zerstörerische Dynamik des Marktradikalismus zu bändigen und die Voraussetzungen für ein Leben in nachhaltigem Wohlstand, Frieden und gleicher Freiheit zu schaffen. Das kann nur gelingen, wenn der Primat der Politik gegenüber der (Finanz-)Wirtschaft durchgesetzt wird. Eine Forderung, die von der Linken seit langem erhoben wird. Zugleich erweist es sich als unerlässlich, die psychologischen Wachstumszwänge durch eine Politik größerer Gleichheit abzubauen, wie es Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem Buch Gleichheit ist Glück: Warum gerechtere Gesellschaften für alle besser sind mit guten Gründen empfehlen.
Weltweit soziale Verantwortung übernehmen
Ein größeres Maß an primärer Gleichheit ist sowohl unter sozialem wie unter ökologischem Gesichtspunkt das Gebot der Stunde. Mindestlöhne, gleicher Lohn für Frauen und Männer, für Leiharbeiter und Kernbelegschaften, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Anhebung des Spitzensteuersatzes – das sind Forderungen, die auch unter ökologischem Gesichtspunkt aktuell sind.
Erst recht plausibel wird die Verbindung der ökologischen mit der sozialen Frage, wenn wir die globale Dimension der Umbauaufgabe in den Blick nehmen.
Die Klimakatastrophe lässt sich ohne beträchtliche Umverteilung zugunsten der benachteiligten Regionen der Welt nicht verhindern. Die nachholende Industrialisierung in den Schwellenländern China, Indien und Brasilien erhöht den Druck auf die westliche Welt enorm, ihre Wirtschafts- und Lebensweise zu verändern. Wenn in absehbarer Zeit neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern, werden wir halbwegs zivilisiert und angstfrei nur leben können, wenn wir weltweit soziale Verantwortung übernehmen.
Umverteilung von oben nach unten als Voraussetzung
Umverteilung von oben nach unten ist ein klassisch linkes Thema. Das gilt auch für die Umverteilung politischer und wirtschaftlicher Macht. Dass ein sozialökologischer Kurswechsel ohne eine wirksame demokratische Kontrolle des Finanzsektors nicht möglich ist, wird kaum jemand bezweifeln. Auch im Energiesektor ist die erforderliche Effizienzrevolution und die Wende zu den regenerierbaren Energien nur gegen die geballte Macht der Stromkonzerne durchsetzbar.
Der Ausbau der Wirtschaftsdemokratie, dezentrale Versorgungsstrukturen, die Revitalisierung der Nahbereiche, die Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch Elemente direkter Demokratie – all diese Forderungen sind eng mit der ökologischen Frage verknüpft – und in der europäischen Tradition eher bei der Linken angesiedelt.
Ökologischer Umbau als Chance für die Sozialdemokratie
Schließlich erweist sich der sozialökologische Umbau auch als ein wesentliches Moment einer nachhaltigen Friedenspolitik. Nur durch eine radikale Erhöhung der Energie- und Stoffeffizienz und den Aufbau einer ökologischen Kreislaufwirtschaft kann eine sich heute bedrohlich abzeichnende Ära ruinöser Ressourcenkriege verhindert werden. Wie Willy Brandt und Egon Bahr einst mit ihrer Ost- und Entspannungspolitik die Welt des 20. Jahrhunderts vor einer möglichen kriegerischen Katastrophe bewahrten, so wäre heute unter den veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts eine neue friedenspolitische Anstrengung nötig, die die Lösung der ökologischen Frage zur Voraussetzung hat.
Für die Sozialdemokratie ergibt hier ihre vielleicht letzte große Chance. Wenn sie begreift, dass das heute alles beherrschende Thema der Ökologie im Kern ein linkes und damit ihr Thema ist, kann sie noch einmal zur politisch gestaltenden Kraft werden. Bleibt es aber bei Halbheiten, gelingt es ihr nicht, ihre traditionelle Orientierung an der gleichen Freiheit aller konzeptionell mit den ökologischen Fragen zu verbinden, wird sie allenfalls noch als Partner in einer schwarz-roten oder grün-roten Koalition eine Weile die bescheidene Rolle der Mehrheitsbeschafferin spielen können.
ist Politologe, Schriftsteller und Publizist. Von 1970 bis 1975 war er stellvertredender Bundesvorsitzender der Jusos und einer ihrer wichtigsten Vordenker. Ab 1995 war er Generalsekretär des deutschen PEN-Clubs und von 2002 bis 2013 dessen Präsident.