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OB-Kandidatin Jutta Steinruck: „Ludwigshafen ist auch Europa“

Einmal Brüssel und zurück: Seit 2009 sitzt die Ludwigshafenerin Jutta Steinruck im Europaparlament. Jetzt ist sie in ihrer Heimatstadt SPD-Spitzenkandidatin für die Oberbürgermeisterwahl 2017. Ein Porträt über die Frau, die sich als das „soziale Gewissen meiner Fraktion“ bezeichnet.
von Robert Kiesel · 1. Juli 2016
Jutta Steinruck
Jutta Steinruck

Zugegeben, Ludwigshafen ist keine Stadt, die ortsfremden Besuchern das Herz reflexartig höher schlagen lässt. Von den eigenen Einwohnern als „kleine Schwester Mannheims“ betitelt, erschließt sich der Charme der wahlweise als Chemie- oder Industriestadt bezeichneten City auf den zweiten, vielleicht auch eher dritten Blick. Das räumt selbst Jutta Steinruck ein. Wie viel attraktiver kommt da Brüssel daher, Herzkammer der Europäischen Union, die neben Manneken Pis und Atomium auch den auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste verewigten Grand Place zu bieten hat.

Steinruck verbindet beides. Im Jahr 2009 wurde die gebürtige Ludwigshafenerin ins Europäischen Parlament gewählt, seit 2014 ist sie Beschäftigungspolitische Sprecherin der Europäischen Sozialdemokraten. Selbst bezeichnet sie sich als „das soziale Gewissen meiner Fraktion“. Sie hat es geschafft: Brüssel statt Ludwigshafen, Europa statt Rheinland-Pfalz.

OB-Kandidatin aus Liebe zu Ludwigshafen

Aber Vorsicht: Weil die Spitze der SPDLudwigshafen „ihre Jutta“ Anfang ­April einstimmig zur Spitzenkandidatin für die Oberbürgermeisterwahl 2017 gekürt hat, könnte es für die 53-Jährige bald wieder Ludwigshafen statt Brüssel heißen. Vorbehaltlich der Nominierung durch eine erstmalig zu diesem Zweck einberufene Vollmitgliederversammlung und der eigentlichen Wahl, versteht sich.

Wer sich mit Steinruck über ihre Nominierung unterhält, merkt schnell, dass die Kandidatur in ihrer Geburts- und Heimatstadt eine echte Herzensangelegenheit ist. „Ich liebe diese Stadt und lebe in ihr. Ludwigshafen ist mein ­Lebensmittelpunkt, ganz klar“, sagt Steinruck. Tatsächlich wohnt sie ­gemeinsam mit ihrem Sohn und den eigenen Eltern in Ludwigshafen-West, einem Stadtteil, der im ohnehin von überdurchschnittlich hoher Langzeitarbeitslosigkeit gebeutelten Ludwigshafen als sozialer Brennpunkt gilt. Ein Leben irgendwo in der Pfalz, im Grünen, fernab der rauchenden Schornsteine von BASF und Co – für Steinruck undenkbar. „Ich wasche meine Wäsche hier, kaufe hier ein. Brüssel ist mein Arbeitsort, mehr nicht“, erklärt sie.

Weil das so ist, kennt die Betriebswirtin, die nach dem Studium erst in Personalabteilungen verschiedener Mannheimer Unternehmen arbeitete und später in das Lager der Gewerkschaften wechselte, keine Berührungsängste. „Ich will die Oberbürgermeisterin sein, die mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt und in die kleinen Ecken sieht“, sagt Steinruck. Mit Leidenschaft und Bürgernähe will sie die Partei aktivieren und Wähler überzeugen. Das eigene Wahlprogramm soll gemeinsam mit den Einwohnern Ludwigshafens erarbeitet werden. Stadtteilforen ­sollen dabei helfen. Der eigene Anspruch, „Kümmerer für die Stadt“ zu sein, soll den auch in Ludwigshafen aktiven Parteien rechts von der CDU den Wind aus den Segeln nehmen. „Ludwigshafen ist eine rote Stadt. Wir wollen sie wieder rot regieren“, sagt Steinruck kämpferisch.

In Brüssel die Behäbigkeit der EU gespürt

Wer fragt, ob der mögliche Wechsel von Brüssel nach Ludwigshafen ein Rückschritt sei, politisch wie atmosphärisch, bekommt von Jutta Steinruck eine klare Antwort: „Ludwigshafen ist auch Europa. Hier lässt sich Europa vielleicht noch viel besser vertreten als in Brüssel.“ Was sie damit meint: „Unmittelbar Politik machen ist etwas Wunderschönes. Wenn du siehst, dass direkt etwas passiert. Wenn du morgen anfassen kannst, was du gestern beschlossen hast. Ich mache leidenschaftlich gern Kommunalpolitik“, so Steinruck. An Erfahrung fehlt es ihr nicht: Nach dem ehrenamtlichen Engagement im Stadtteilverein IG West saß Steinruck von 1996 bis 2006 im Stadtrat von Ludwigshafen, unter anderem als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Später wechselte sie in den Landtag nach Mainz, schließlich nach Brüssel.

Daraus, dass sich ihre Begeisterung für die Kommunalpolitik auch aus Erfahrungen mit der Behäbigkeit der EU speist, macht Steinruck keinen Hehl. „Die Politik, die wir in Brüssel machen, kommt viel später an als die konkrete Politik vor Ort. Wohl auch deshalb kriegen die Menschen viel zu wenig mit, wie Europa wirkt.“ Den pauschalen Vorwurf, Europa sei zu kompliziert, aufgeblasen und verkopft, weist sie zurück. „Europa wird in der Kommunikation, auch der medialen, zu oft gedankenlos vergessen“, so Steinruck. „Wenn wir deutlicher machen würden, was ohne Europa alles nicht möglich wäre, dann hätten weniger Menschen die Wahrnehmung ‚Wir Deutsche zahlen ja nur‘.“

Eine leidenschaftliche Botschafterin des europäischen Gedankens

Nach Beispielen für Erfolg und Wirken der EU muss sie nicht lange suchen. Der zur Normalität gewordene Frieden in Europa, der Wegfall von Grenzkon­trollen, die über Staatsgrenzen hinweg geknüpften Freundschaften, Partnerschaften, Beziehungen: „Vieles von dem, was heute selbstverständlich ist, haben wir durch Europa überhaupt erst möglich gemacht“, so Steinruck. Und auch Ludwigshafen als Stadt profitiert: Ob bei der Modernisierung von Theaterplatz und Stadtbibliothek, der Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser oder der Betreuung junger Schulabgänger, überall hilft Europa, das alles umzusetzen – diskret im Hintergrund.

Klar ist: Sollte Steinruck Oberbürgermeisterin des „roten Ludwigshafen“ werden, steht der Stadt eine leidenschaftliche Botschafterin des europäischen Gedankens vor. Eine, die über Probleme der EU, über Mitgliedstaaten, die mit nationalen Alleingängen „die EU kaputt machen“, nicht schweigt, sie offensiv anprangert. Eine, die weiß, dass Europa auch und erst recht vor der eigenen Haustür, im eigenen Sprengel gelebt werden muss. Denn wie antwortet Jutta Steinruck auf die Frage, ob sie sich eher als Ludwigshafenerin oder mehr als ­Europäerin fühle: „Das kann ich wirklich nicht sagen, ich bin ja beides.“

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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