Parteileben

Neue deutsche Vielfalt

Ihre Wurzeln liegen im Ausland, ihren Aufstieg verdanken sie der SPD. Im September wollen Karamba Diaby, Macit Karahmetoglu und Cansel Kiziltepe in den Bundestag einziehen. Wir haben sie getroffen.
von Kai Doering · 7. Juni 2013

Die Entscheidung, in die SPD einzutreten, traf Karamba Diaby tief in der Nacht. Im Fernsehen lief eine Dokumentation über Willy Brandt, Diaby war schon ein wenig weggedämmert. Doch plötzlich war er wieder hellwach. „Wow, das ist deine Partei“, dachte Diaby, als er den Kanzler in Warschau knien sah. Der Computer lief noch. Diaby gab die SPD-Adresse in den Internet-Browser ein und füllte dort das Beitrittsformular aus. Das war 2008.

Knapp fünf Jahre später steht Karamba Diaby auf einer Bühne und spricht über Kleingärten. Die SPD in Halle feiert den 150. Geburtstag der ­Partei und hat zu ­einem Straßenfest eingeladen. Diaby ist erst kurz vorher aus Berlin zurückgekommen. Er war beim Bundespräsidenten. Zwei Tage später wird er Bill Clinton treffen. Dann geht es um Hilfsprojekte in Afrika. Aber an diesem Nachmittag sind Kleingärten das Thema. „Eine Kleingartenanlage ist ungemein so­zial“, sagt Diaby. „Wo sonst treffen sich der Professor und die Reinigungskraft am Gartenzaun?“

Kleingartenpolitischer beschäftigen ihn

Kleingärten beschäftigen Diaby schon seit den 90er Jahren. 1985 war er als Student aus dem Senegal mit einem Stipendium in die DDR gekommen. Nach einem Jahr in Leipzig ging es nach Halle. 1996 schloss er hier seine Doktorarbeit in Chemie ab. „Die Schadstoffbelastung deutscher Schrebergärten am Beispiel Halle“, lautete der Titel. 2009, ein Jahr nach seinem Eintritt in die SPD, wurde Diaby in den Stadtrat von Halle gewählt. Kein Wunder, dass er sich auch hier um die Kleingärtner kümmert – „immerhin haben rund 13 000 Hallenser einen Garten“, wie er betont.

Der Titel „kleingartenpolitischer Sprecher“ ist zwar eher ein Scherz – eigentlich kümmert sich Diaby um Bildung und Umwelt – aber der 51-Jährige trägt ihn dennoch mit einem gewissen Stolz. „Ich bin im Stadtrat bewusst nicht in den Sozialausschuss gegangen, weil der sich auch um Integration kümmert“, sagt Diaby. Denn das ist das Problem: Wegen seiner Herkunft und nicht zuletzt seiner Hautfarbe, sehen die meisten in Diaby den geborenen Integrationspolitiker. „Ich möchte aber nicht auf dieses Thema reduziert werden.“

Stattdessen möchte sich Karamba Diaby um die Themen Arbeit, Bildung und Umwelt kümmern – am liebsten auch im Bundestag. Denn wenn am 22. September ein neues Parlament gewählt wird, könnte Karamba Diaby der erste Bundestagsabgeordnete aus Schwarzafrika werden. Er steht auf Platz drei der Landesliste in Sachsen-Anhalt. „Aber meinen Wahlkreis Halle, Kabelsketal, Landsberg und Petersberg möchte ich trotzdem direkt gewinnen.“

Deutsch lernen im Sportverein

Direkt in den Bundestag einziehen möchte auch Macit Karahmetoglu. Er tritt in Ludwigsburg bei Stuttgart für die SPD an. „Wenn die Sozialdemokraten Bildungs- und Integrationspolitik nicht gelebt hätten, wäre ich heute nicht da, wo ich bin“, sagt der 44-Jährige. Vor 33 Jahren kam Karahmetoglu aus Rize in der Türkei nach Deutschland „ohne ein Wort Deutsch zu können“. Er kam in die Hauptschule. „Meine Eltern haben gesagt, ich soll in den Sportverein gehen und mir deutsche Freunde suchen“, ­erinnert sich Karahmetoglu. Er lernte im Spielmannszug Trompete spielen und im Sportverein Tischtennis. Nach einem Jahr sprach er fließend Deutsch.

Und auch in der Schule ging Karahmetoglu seinen Weg: Nach dem Hauptschulabschluss machte er die Mittlere Reife, ging aufs Technische Gymnasium und begann ein Jura-Studium. Heute hat er eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in Ditzingen und eine zweite in Stuttgart. „Ohne die Unterstützung meiner Mitschüler und Lehrer und ohne Bafög hätte ich das nie geschafft.“

Von Ottmar Schreiner geprägt

„Ich habe Freundinnen scheitern sehen, die nicht so viel Glück hatten wie ich“, sagt Cansel Kiziltepe. Sie wurde 1975 in Kreuzberg geboren. „Ich bin ein echtes Kiezkind“, betont sie. Auch ihre Eltern wanderten aus der Türkei ein, wollten, dass es der Tochter einmal besser geht. „Nur hatten sie nicht die Mittel, die im sogenannten Bildungsbürgertum zum alltäglichen Leben gehören.“ Also musste die Schule ran. Bücher, Theater, Ausstellungen – all das lernte die kleine Cansel in einer der ersten Ganztagsgrundschulen Berlins kennen. „Ohne die SPD hätte ich kein Abitur gemacht und nicht studiert“, ist Kiziltepe überzeugt. „Davon möchte ich nun etwas zurückgeben und gleichzeitig zeigen, dass sozialer Aufstieg möglich ist.“

Im Herbst möchte Cansel ­Kiziltepe für Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost in den Bundestag einziehen. Sie wäre die erste Migrantin, die den Szenebezirk für die SPD im Parlament vertritt. Doch auch sie möchte sich nicht auf ihre türkischen Wurzeln festlegen lassen. „Die Ökonomie ist das zentrale politische Feld“, ist die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin überzeugt. Ihre Themen sind Wirtschaft und Soziales.

Nachname als gutes Omen

„Ich möchte die junge Generation für eine solidarische Alterssicherung sensibilisieren.“ Geprägt wurde sie dabei von Ottmar Schreiner, dessen Bundestagsbüro sie sieben Jahre lang leitete, ehe sie im vergangenen Jahr als Referentin des Arbeitsdirektors zu Volkswagen wechselte. „Ich war erst Gewerkschafterin und dann Parteimitglied.“ Kiziltepe gehört der SPD seit 2005 an. Dabei liegt die Verbundenheit zur Sozialdemokratie schon in ihrem Namen, wie sie mit einem Lächeln erzählt. „Er bedeutet übersetzt ‚roter Berg‘.“

SPD ve biz heißt auf Deutsch ‚SPD und wir‘“, erklärt Macit Karahmetoglu. Es ist der Name einer Initiative, die er 2006 in Baden-Württemberg gegründet hat und die mittlerweile auch in anderen Bundesländern Ableger hat. „Wir sind die Türöffner der SPD in die türkische Gemeinde“, erklärt Karahmetoglu die Aufgabe. Im Landtagswahlkampf 2011 klappte das sehr gut. Die Gruppe organisierte im ganzen Land Veranstaltungen mit Migranten und SPD-Politikern. Die größte fand mit rund 500 Teilnehmern in Stuttgart statt. SPD-Chef Sigmar Gabriel und Spitzenkandidat Nils Schmid kamen. Schmid sagte damals einen Satz, den Macit Karahmetoglu seither gern zitiert: „Es kommt darauf an, was man will und nicht, woher man kommt.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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